Frühstück für Zwei

Der Morgenstisch für zwei

Jeden Morgen genau um sieben tauchte er im Café auf. Pünktlich, ohne Hast. Er setzte sich an den kleinen Tisch beim Panoramafenster, wo das Morgenlicht sanft auf die abgenutzte Tischdecke fiel. Bestellte schwarzen Tee und ein Omelett – zwei Eier, ohne Speck, mit einer Scheibe Roggenbrot. Immer allein. In dieser Einfachheit lag ein Ritual – streng, fast heilig, als klammere er sich daran, um nicht in der Leere zu versinken.

Die Kellnerin, neu in diesem Café an der Küste, dachte zuerst, er warte auf jemanden. Sein Blick verfing sich immer wieder an der Eingangstür, als könnte sie sich jeden Moment öffnen und diejenige eintreten, für die er hier war. Seine Schultern waren angespannt, wie bei jemandem, der bereit ist aufzuspringen und ihr entgegenzulaufen. Doch niemand kam. Nicht am frostigen Montag, nicht am trüben Sonntag.

Nach zwei Wochen fasste sie sich ein Herz.

»Soll ich einen zweiten Teller bringen?«

Er sah sie an, als hätte er sie erst jetzt bemerkt. Seine Augen – tief, müde, mit einem Schatten von Schmerz, der nicht losließ.

»Nein. Sie kommt nicht.«

Sagte es leise, fast gleichgültig. Doch seine Stimme zitterte, ein Riss, den er nicht verbergen konnte. Dann wandte er sich wieder dem Fenster zu, wo feiner Regen nieselte. Tropfen liefen das Glas hinunter, hinterließen dünne Spuren, als schriebe jemand Unsichtbares eine Botschaft – stumm, sinnlos. Er starrte nicht auf die Straße, sondern weit darüber hinaus, dorthin, wo sie nicht mehr war.

Er hieß Friedrich. Etwas über vierzig, sauber gekleidet, aber ohne Aufhebens. Immer mit einem Buch – alt, mit abgegriffenem Einband, einem Lesezeichen, das verblasst war. Doch er las nicht. Das Buch lag auf derselben Seite aufgeschlagen, wie ein stummer Zeuge. Als halte er es nicht für sich, sondern für die, deren Platz gegenüber leer blieb.

Manchmal sprach er halblaut. Flüsterte etwas, kaum hörbar. Der Kellnerin kam es vor, als rede er mit ihr – der, die nicht kam. Erzählte, wie sein Tag gewesen war, was er in der Stadt gesehen hatte, woran er dachte. Oder vielleicht bat er einfach nur um Vergebung.

Nach einem Monat wagte sie es erneut. Still stellte sie einen zweiten Teller auf den Tisch. Friedrich widersprach nicht. Schob nur seinen Teller etwas zur Seite, machte Platz – mit einer Sorgfalt, als erwarte er einen wichtigen Gast.

Am nächsten Tag bereitete sie zwei Tees zu. Einen mit Zitrone, einfach so, einer Eingebung folgend. Er starrte auf die zweite Tasse, erstarrte, dann sah er sie an. Und nickte. Ohne Worte. Doch in diesem Nicken war etwas Lebendiges, fast Dankbares, wie ein schwacher Lichtstrahl in einem dunklen Zimmer.

An einem feuchtkalten Morgen, als der Wind welke Blätter über die Straßen jagte, begann er zu sprechen:

»Wir haben immer gemeinsam gefrühstückt. Auch nach Streit. Besonders dann. Es war unsere Regel – uns an den Tisch zu setzen, selbst wenn die Worte fehlten.«

Sie schwieg, hörte aber aufmerksam zu, ohne den Blick abzuwenden.

»An dem Tag…« Er stockte. Seine Lippen zitterten, die Stimme wurde leiser. »Ich sagte, ich würde gehen. Sie schwieg. Vielleicht ließ ich sie nicht antworten. Ging, schlug die Tür zu. Dachte, ich käme bis zum Abend zurück. Aber… dann war es zu spät. Viel zu spät.«

Er trank den Tee aus. Stand auf. Seine Hände zitterten, als er ein Foto aus der Tasche zog und es auf dem Tisch liegen ließ. Alt, mit abgegriffenen Ecken. Ein Mann und eine Frau auf der Terrasse, im Morgenlicht. Er – jung, lächelnd. Sie – mit leisem Lachen, eine Tasse in der Hand. Ihr Glück war greifbar, lebendig, als könnte es ewig dauern.

»Danke«, sagte er, die Kellnerin ansehend. Seine Stimme war schwach, aber klar. »Das ist mein letztes Frühstück hier. Ich bin bereit, weiterzuleben. Allein. Aber ohne diesen Schmerz.«

Sie nickte. Räumte den zweiten Teller weg – langsam, mit Respekt, wie man Abschied nimmt von jemand Wichtigem, selbst ohne seinen Namen zu kennen.

Er ging, ließ ein üppiges Trinkgeld da. Nicht nur Geld – eine Geste des Abschieds. Als dankte er nicht nur für das Essen, sondern für das Schweigen, das manchmal mehr sagt als Worte.

Am nächsten Tag war sein Tisch leer. Doch die Kellnerin deckte trotzdem für zwei. Stellte die Tassen ordentlich hin, richtete die Serviette, legte die Löffel gerade. Nicht, weil sie ihn erwartete. Sondern weil sie bewahren wollte – die Erinnerung, die Stille, dieses Ritual, das nicht verschwindet.

Weil es Morgen gibt, an denen man nicht allein sein sollte. Selbst wenn nur Schatten und Luft neben einem sitzen. Selbst wenn dieser Tisch nun auf einen anderen wartet, der mit dem gleichen Schmerz in den Augen kommt.

Gerade dann.

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