Heute hatte ich wieder diese Situation mit Markus. Wir sagen immer, wir streiten nicht, sondern „reden nur so“. Aber unser Sohn hört doch mehr, als wir denken.
„Markus, was habe ich dir gesagt? Brot kaufen! Wo ist es?!“, rief ich genervt von der Tür aus.
Mein Mann, der im Sessel saß und auf sein Handy starrte, blickte langsam hoch:
„Habe ich vergessen. Und jetzt?“
„Vergessen“, ahmte ich ihn im Tonfall nach. „Und was gibt es jetzt zum Abendessen? Ohne Brot? Und was streichst du morgen auf dein Frühstücksbrot?“
„Du hättest es selbst kaufen können“, begann er zu rechtfertigen. „Du bist doch am Laden vorbeigekommen.“
„Natürlich, ich mach’s ja auch alles. Putzen, kochen, mich um den Kleinen kümmern, arbeiten – und das Brot soll ich auch noch holen! Wofür hast du eigentlich dein Gehalt und zwei Beine, Markus?“
„Ich geh’ jetzt nicht mehr los, klar?“
„Dann sitzt du halt ohne Abendbrot da. Mir egal.“
Solche Wortgefechte sind bei uns fast täglich. Wir nehmen sie nicht mal mehr als Streit wahr. Laut werden, ein paar spitze Bemerkungen – und dann sitzen wir wieder gemeinsam am Tisch, als wäre nichts gewesen.
Dabei war alles mal anders.
Vor sieben Jahren waren wir das Traumpaar in unserem Freundeskreis. Jung, verliebt, zärtlich und aufmerksam. Kennengelernt haben wir uns in der Uni, aber näher gekommen sind wir erst danach, als wir uns zufällig in einer Buchhandlung trafen.
Erst ein Ein Date, dann ein zweites … Markus brachte mir einfach so Blumen mit, ich kochte ihm Abendessen, selbst nach einem anstrengenden Tag. Unser Urlaub in den Alpen war wie aus einem Film – damals dachten wir noch, alles würde für immer so bleiben.
Dann kam die Hochzeit. Zuerst lebten wir zu zweit – glücklich, wie im Märchen. Doch dann wurde unser Tim geboren. Und mit ihm änderte sich etwas.
Unmerklich, wie zwischen den Zeilen – die Überraschungen, spontanen Spaziergänge und nächtelangen Gespräche verschwanden. Übrig blieb der Alltag. Ich zu Hause, Markus auf der Arbeit. Abends kam er müde und genervt heim, ich war gereizt und träumte immer öfter von der Zeit „davor“.
Die Streitereien wurden normal. Er hatte genug von Vorwürfen, ich von seiner Gleichgültigkeit. Erst kleine Sticheleien, dann ganze verbale Schlachten. Tim wurde älter, ging in den Kindergarten. Ich fing wieder an zu arbeiten – es wurde etwas leichter. Als hätten wir wieder Luft zum Atmen.
Doch die Gewohnheit des Streitens blieb. Keiner von uns bemerkte mehr, wie leicht uns bissige Kommentare über die Lippen kamen. Es war normal geworden.
Bis sich eines Tages alles änderte.
„Mama, habt ihr euch wieder gestritten?“, fragte Tim leise beim Abendessen. „Du hast doch gesagt, ihr redet nur so …“
„Wir reden wirklich nur so“, versuchte ich zu lächeln. „Papa hat das Brot vergessen, ich habe ihn daran erinnert.“
„Aber du sagst doch immer, du musst alles alleine machen. Und Papa sagt, du bist immer sauer“, erwiderte Tim ernst.
Markus senkte den Blick. Ich erstarrte mit der Gabel in der Hand. Keiner von uns hatte gemerkt, wie unsere Worte seine Wirklichkeit geworden waren.
Ein paar Tage später holte ich Tim aus dem Kindergarten ab. Die Erzieherin hielt mich zurück.
„Frake Schneider, können wir kurz reden?“
Mir schoss durch den Kopf: „Was jetzt? Geld, Bastelmaterial, Kostüm?“ Doch ihr Gesicht war ernst.
„Tim ist ein wunderbarer, lieber Junge. Aber in letzter Zeit redet er mit den anderen Kindern … wie ein Erwachsener. Schroff. Mit Vorwürfen. Heute hat er beim Rollenspiel Lena angeschrien: ‚Hast du etwa kein Brot gekauft? Ich bin übrigens müde!‘“
Mir wurde eiskalt.
„Und gestern mit Ben. Er schimpfte, Ben sei zu langsam, sie kämen deswegen zu spät. Dann sagte er: ‚Ich rede nicht mit dir. Wir reden, wenn du dich beruhigt hast.‘“
„Er … er meint das nicht so“, flüsterte ich.
„Natürlich nicht. Aber Kinder saugen Verhalten auf wie ein Schwamm. Vielleicht merken Sie und Ihr Mann gar nicht, dass für ihn das die Art ist, wie eine Familie miteinander umgeht.“
Auf dem Heimweg kamen mir die Tränen. Wie oft hatten wir uns vor Tim gestritten? Wie oft hatte er unsere bissigen Bemerkungen gehört? Unsere Worte, die uns selbst nicht mehr wohl waren?
Tim hielt meine Hand an diesem Abend besonders fest. Und zum ersten Mal seit Langem hetzte ich nicht nach Hause.
„Mama, musst du nicht noch Abendessen machen?“
„Heute bestellen wir Pizza. Und jetzt gehen wir erstmal spazieren, ja?“
Tim glaubte es zunächst nicht. Aber vor Glück hüpfte er. Seine Mama hatte einmal keine Eile.
Als Markus nach Hause kam, war er wie immer auf eine neue Runde Haushaltskrieg eingestellt. Doch ich begrüßte ihn ruhig. Tee, Decke, Stille.
„Ist etwas passiert?“, fragte er schließlich.
Ich schloss die Küchentür und erzählte leise von dem Gespräch mit der Erzieherin. Davon, wie unser Sohn von uns lernt – von seinen Eltern.
„Wir müssen uns ändern. Sofort. Bevor es zu spät ist“, sagte ich.
„Ich meine es doch nicht böse … Du weißt, ich liebe dich. Wir sind nur … müde. Wir haben vergessen, wie wir mal waren.“
„Dann wird es Zeit, uns daran zu erinnern.“
Wir beschlossen, nicht nur unseren Ton zu ändern, sondern auch unser Leben. Jedes Wochenende etwas gemeinsam unternehmen: Park, Kino, einfach durch die Stadt bummeln. Jeden Freitagabend einen Familienfilm – mit Decke, Popcorn und Nähe. Erst aus Pflichtgefühl. Dann aus Liebe.
Ich lächelte wieder öfter. Markus hörte auf zu motzen. Selbst den Müll brachte er ohne Aufforderung raus. Wir fragten einander: „Wie war dein Tag?“ – und hörten wirklich zu.
Und Tim? Er schimpfte nicht mehr beim Spielen. Die Erzieherin lächelte und sagte, er sei ruhiger, freundlicher, aufmerksamer geworden. Ich dankte ihr von Herzen.
Jeden Abend, wenn unser Zuhause vom Duft von Kakao und Lachen erfüllt ist, denke ich daran, wie leicht man das Familienleben zerstören kann … und wie wichtig es ist, es zu bewahren.
Denn Kinder hören nicht zu – sie ahmen nach. Und wenn wir schreien, hören sie nicht: „Wir reden nur so.“
Sie hören: So muss es sein.