Das Schicksals-Puppen: Rettung in schweren Zeiten
Marlene war schon fast eingeschlafen, als das Telefon die Stille durchbrach. Verschläfen blickte sie auf den Bildschirm – ihre jüngere Schwester Katja rief an. „Wieder mal Ärger“, schoss es ihr durch den Kopf. Müde nahm sie ab:
„Katja, wir schlafen schon.“
„Hallo, sorry, nur ganz kurz. Könntest du mir bis zum Gehalt etwas leihen, bitte! Tom hat wieder keinen Unterhalt geschickt.“
„Wie viel brauchst du?“
„Nur ein bisschen, damit ich mit Sophie bis Montag über die Runden komme. Ich kriege dann Vorschuss. Stell dir vor, im Kindergarten-Chat haben sie geschrieben, dass morgen Geld für das Fest eingesammelt wird. Hilfst du mir?“
„Okay, Katja, ich überweise es dir gleich.“
„Danke, Schwesterherz, ich liebe dich!“ Katja gab ein Kussgeräusch in die Leitung und legte auf.
Marlene drehte sich auf die andere Seite, doch der Schlaf wollte nicht mehr kommen. Der Anruf hatte ihre Gedanken aufgewühlt. Katjas Leben war seltsam verlaufen. Als Kind hatte ihr alles geglückt: Schule, Sport, Freunde – sie hatte immer Glück gehabt. Doch nach der Hochzeit mit Tom ging es bergab. Vielleicht war es falsch, so zu denken, aber die Scheidung war eine Erleichterung. Mit Tom schien Katja sich selbst verloren zu haben, als wäre sie nur noch ein Schatten.
Mit diesen Gedanken an ihre Schwester und die kleine Nichte schlief Marlene schließlich ein.
Am nächsten Abend kam Katja zu Marlenes kleiner Wohnung in einem Vorort von Leipzig.
„Hallo, ich brauche einen Rat“, sagte sie und zog einen Ring aus der Tasche. „Ich will meinen Ehering zum Pfandhaus bringen. Gestern habe ich alles durchsucht, was ich verkaufen könnte. Diesen Ring von Tom brauche ich wirklich nicht mehr.“
„So schlimm?“
„Ja. Ich hatte auf eine Beförderung gehofft – die Stelle war frei. Der Chef hat mich gelobt, gab mir anspruchsvolle Aufgaben. Und dann nahmen sie Larissa Meier. Die macht kaum was, geht immer früh nach Hause. Mir sagten sie: ‚Du hast ein Kind, bist oft krank.‘ Einfach Pech, Marlene! Was meinst du zum Ring? Bekomme ich wenigstens etwas dafür?“
„Der Ring ist schön, mit Stein, wie neu. Sie sollten dir einiges geben. Aber es geht nicht ums Geld, Katja. So einen Ring aus einer gescheiterten Ehe solltest du loswerden. Das bringt Unglück. Geh zum Pfandhaus, und zwar schnell.“
Der Gutachter im Pfandhaus musterte den Ring genau und bot einen guten Preis. „Warum verkaufen Sie? Geldprobleme? Geschieden? Beides? Werden Sie ihn nicht zurückkaufen? Ach so, verstehe. Haben Sie eine Tochter? Das ist schön.“
Während der alte Mann die Papiere ausfüllte, schaute Katja sich die Vitrinen an. Unter Glas lagen Handys, Tablets, Schmuck. Ihr Blick blieb an einer bemalten Matrjoschka hängen.
„Handarbeit, antik“, bemerkte der Gutachter. „Ein Sonderling hat sie gebracht. Steht lange hier, niemand will sie. Wer sie abgegeben hat, holt sie nicht zurück. Nimm sie, ich gebe sie dir günstig. Deiner Tochter wird sie gefallen.“
Katja hatte nicht vor, etwas zu kaufen. Doch ohne zu wissen warum, zahlte sie und nahm die Puppe mit.
Sophie war begeistert von der Holzpuppe. Solche Spielsachen waren längst aus der Mode, und das Mädchen hatte noch nie eine gesehen.
Es klingelte an der Tür. Katja öffnete – Marlene mit vollen Einkaufstüten.
„Marlene, du bist unermüdlich! Danke, Schwesterchen!“
„Wie soll ich ruhig sein, wenn ich weiß, dass der Kühlschrank meiner Mädels leer ist?“ Marlene packte Milch, Brot, Käse, Wurst und Joghurt aus.
Marlene, schau mal, was ich habe!“ Sophie rannte heran, griff nach dem Joghurt und zeigte die Matrjoschka.
„Wie schön! Guck, Sophie, sie öffnet sich – plopp! Und drin ist noch eine Puppe. Und in der – noch eine. Gefällt’s dir? Versuch selbst.“ Marlene gab die Puppe zurück.
„Marlene, ich habe Tee gemacht, trinkst du mit uns?“ Katja schnitt Käse und Wurst.
„Mama, die Puppen sind alle“, sagte Sophie enttäuscht und hielt die kleinste Matrjoschka.
„Nein, Sophie, schau, die geht auch auf, sie ist nur fest zu“, Marlene drehte die Figur mit etwas Kraft. „Oh, Katja, sieh mal!“
Darin lagen zusammengerollte Scheine und ein Zettel:
„Danke denen, die mir halfen. Ich gebe die Schuld zurück, an jemanden, der sie mehr braucht. Wenn dein Leben besser wird, mach es genauso.“
„Sollen wir sie zurückbringen?“ Katja drehte den Zettel in der Hand.
„Unmöglich! Du hast sie gekauft. Wem denn? Die Matrjoschka ist ein Symbol für Leben und Wohlstand. Wenn sie zu dir kam, darfst du sie nicht weggeben“, sagte Marlene entschieden.
Sie behielt recht. Katjas dunkle Zeit endete, und das Glück kehrte zurück.
Sie kündigte bei der Firma, die sie nicht wertschätzte, und schickte Bewerbungen raus. Das Geld aus der Puppe half über die schwierigen Tage. Bald bekam sie einen neuen Job – gut bezahlt, mit netten Kollegen.
Ihre Mutter, die Katja die Ehe mit Tom nie verziehen hatte, wurde plötzlich weicher. Sie bot an, Sophie zu nehmen, wenn der Kindergarten geschlossen war, damit Katja arbeiten konnte.
Und in der neuen Firma lernte Katja den IT-Spezialisten Andreas kennen – einen charmanten Typen, den ihre Energie und ihr Lächeln sofort beeindruckten.
Alles wurde wie früher: Katja meisterte alles, was sie anpackte.
Als ihr Leben wieder in Ordnung war, erinnerte sie sich an den Zettel. Sie legte den gleichen Betrag beiseite und steckte ihn in die Matrjoschka. Jeden Morgen ging sie auf dem Weg zur Arbeit an einem Spielplatz vorbei, wo eine junge Mutter mit ihrem Sohn im Rollstuhl spazierte. Eines Tages, als der Junge eingeschlafen war, legte Katja die Puppe leise in den Rollstuhl und eilte weiter.
Ihr Herz hüpfte vor Freude. Sie stellte sich vor, wie überrascht die beiden sein würden. Katja hatte ihre Schuld bei dem unsichtbaren Wohltäter beglichen, der ihr in der Not geholfen hatte. Manchmal kann selbst eine kleine Geste Wunder bewirken – und so eine magische Matrjoschka, das Symbol des Lebens und der Hoffnung, erst recht!