Verlassen und Vergessen

Gina saß in ihrer gemütlichen Wohnung im Herzen Münchens, als ihr klar wurde, dass sie verlassen worden war. Drei Jahre hatte sie ihr Leben mit einem Mann geteilt, der kam und ging wie ein Schatten. Manchmal blieb er über Nacht, half bei Kleinigkeiten, und sie nannte ihn ihren Mann. Ein halbes Jahr lebte er sogar bei ihr, und insgeheim träumte sie davon, dass er ihr Ehemann werden würde. Beide waren über vierzig – ein Alter, in dem man sich Stabilität wünscht.

Doch etwas an ihm beunruhigte sie. Er hatte einen Abschluss in Wirtschaft, aber in seinem Beruf arbeitete er kaum. Mal war er Taxifahrer, dann Hilfsarbeiter, oder er saß untätig bei seinen Eltern in einem Dorf vor den Toren Münchens. Und die Eltern, seltsamerweise, ernährten ihn – ihren erwachsenen Sohn, der über vierzig war. Und er nahm es als selbstverständlich hin, ohne mit der Wimper zu zucken.

Trotzdem war er nicht unbedingt ein schlechter Mensch. Man konnte stundenlang mit ihm reden – klug, belesen, kein Egoist. Gina hoffte, dass ihre Beziehung zu etwas Größerem führen würde. Sie musste an ihre Zukunft denken, an eine Familie. Tief im Herzen sah sie in ihm eine Stütze.

Ihr Leben war nicht unglücklich. Ihre Urgroßmutter hatte ihr eine Einzimmerwohnung hinterlassen – hell, ordentlich, mit Blick auf die Isar. Es herrschte Gemütlichkeit: Bücher, warmes Licht der Stehlampe, eine flauschige Katze namens Loki. Die Katze war ihr Schatten – zurückhaltend, treu, aber wie alle Katzen verbarg sie ihre Gefühle hinter einer Maske der Unabhängigkeit.

Geld reichte ihr. Sie arbeitete als Buchhalterin, niemand störte sie oder ging ihr auf die Nerven. Doch ihr Verstand flüsterte: „Du bist über vierzig. Zeit zu heiraten.“ Und dieser Mann, auch wenn er kein Ideal war, wurde ein Teil ihres Lebens. Drei Jahre Ungewissheit, und sie hatte sich an ihn gewöhnt.

Zusammen war es ruhiger als allein. Oder hatte sie sich das nur eingeredet? Die Wahrheit entglitt ihr wie ein ferner Traum.

Er hatte einen Schlüssel zu ihrer Wohnung. Er kam und ging, wie es ihm passte. Keine Versprechen, keine Verpflichtungen. Doch Gina glaubte: Daraus konnte etwas Ernstes werden. Vielleicht würde er sich ändern? Das Leben ist unberechenbar.

Dann kam der Zusammenbruch. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Eine einfache OP, nur fünf Tage. Die Nachbarin Hanna kümmerte sich um Loki. Aber ihr Mann – er rief nicht an, er besuchte sie nicht. Das schmerzte, aber sie redete es sich schön: „Typisch Männer, denken nicht nach.“

Ein Monat verging. Kein Wort von ihm. Dann plötzlich ein Anruf:

„Gina, ich habe eine andere kennengelernt. Lass uns treffen, ich gebe dir den Schlüssel zurück.“

Sie erstarrte, brauchte einen Moment, um es zu begreifen. Auf dem Weg zum Treffen hatte sie nur eine Angst: Was, wenn er mit dieser Frau kam? Ihr spöttischer Blick oder gespielte Gleichgültigkeit wären unerträglich gewesen.

Doch er kam allein. Schweigend reichte er ihr den Schlüssel und sagte nur:

„Alles Gute.“

Gina betrat ein Café in der Nähe. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand überkam sie die Schmerzen. Sie verstand: Sie war verlassen worden. Plötzlich wurde ihr so übel, dass ihre Beine nachgaben. Sie fuhr zu ihrer Freundin Petra. Sie legte sich auf das Sofa, unfähig zu sprechen. Petra schwieg, tröstete sie nicht, zitierte nur Rilke: „Verlassen ist wie ein erfundenes Wort.“

Nach Hause kehrte sie bleich und zerschlagen zurück. Drei Jahre ihres Lebens – plötzlich nichts. Verlassen. Wort oder Gefühl – was macht das für einen Unterschied? Der Schmerz war real.

An der Tür wartete Loki. Er strich um ihre Beine, schnurrte. Gina füllte mechanisch sein Fressen, doch die Katze, anders als sonst, rührte es nicht an. Seltsam.

Eine Schwäche überkam sie. Ihre Beine versagten, ihr Kopf war wie benebelt. Sie legte sich hin, schloss die Augen. Dann spürte sie ein Gewicht auf ihrer Brust. Offene Augen – Loki starrte sie an. Sein Blick war tief, fast menschlich. Am rechten Auge glänzte etwas wie eine Träne.

Gina richtete sich auf, küsste die Katze auf die Stirn. Und plötzlich – Erleichterung. Der Schmerz verflog. Er war gegangen? Gut so. Dann war es wohl das Richtige. Das Schicksal hatte ihn aus ihrem Leben gestrichen, um sie vor größerem Leid zu bewahren. Loki, sein weiches Fell und seine weisen Augen, schienen es zu bestätigen.

Katzen sind rätselhaft. Sie wirken einfach, doch sie verstehen mehr, als wir denken. Loki kannte ihren Schmerz und teilte ihn. Manche Katzen sind fast wie Menschen. Wir erkennen es nur nicht immer.

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