Zu spät erkennen…

Zu spät begriffen…

Als Jens aus seiner Dienstreise aus dem heimischen Dortmund zurückkehrte, zeigte die Uhr 18:30. In der Wohnung war es ungewohnt still.

„Komisch… Wo ist nur Anne?“, dachte er und warf seine Tasche auf den Boden.

Er ging durch die Zimmer, schaute ins Bad, die Küche, das Kinderzimmer. Keine Spur. Der Herd kalt, der Wasserkocher aus, doch der Kühlschrank quoll über mit Tupperdosen voller fertiger Mahlzeiten.

„Schon lange weg… Aber wohin?“

Er rief seine Frau an – keine Antwort. Er zuckte mit den Schultern, holte eine Portion Sauerbraten aus dem Kühlschrank und setzte sich zum Abendessen hin. Eine Stunde später versuchte er es erneut – nur das Freizeichen.

„Na toll… macht wohl einen Abstecher. Hat sich wohl einen Liebhaber geholt?“, brodelte die Wut in ihm. „Wenn sie heimkommt, gibt’s eine Standpauke.“

Gegen neun Uhr abends war sich Jens sicher: Sie betrügt ihn. Fragmente alter Vorwürfe tauchten auf – wie er sie für jeden Kratzer am Auto anschrie, wie er Rechenschaft für jeden ausgegebenen Euro verlangte.

„Sie arbeitet nicht mal, ich schaffe alles. Sie lebt wie im Schlaraffenland. Und jetzt will sie wohl Freiheit schnuppern?“

Er durchsuchte die Wohnung, warf einen Blick in den Kleiderschrank – alles an seinem Platz. Die Autoschlüssel hingen am Haken.

„Also ist sie nicht mit dem Auto gefahren? Wo zum Teufel ist sie dann?“

Gegen elf war er kurz vor dem Explodieren. Sein Herz pochte in den Schläfen. Er wählte erneut ihre Nummer.

„Wo treibst du dich rum, du Flittchen?!“, brüllte er ins Telefon, als die Verbindung hergestellt wurde.

„Hallo… Guten Abend. Hier spricht Schwester Lena aus der Notaufnahme des Krankenhauses. Wer ist am Apparat?“

„Was soll denn diese Nummer? Haben Sie den Verstand verloren?“

Die Leitung wurde unterbrochen. Jens, zitternd vor Zorn, rief sofort wieder an. Diesmal meldete sich eine männliche Stimme.

„Hören Sie auf, unser Personal anzupampen. Falls Sie der Ehemann von Anne Meier sind, kommen Sie bitte unverzüglich in die chirurgische Abteilung. Sie müssen Dokumente unterschreiben.“

„Was für Dokumente?! Was labern Sie da?“

„Wir haben alles getan, was möglich war. Unser Beileid. Das Herz Ihrer Frau hat aufgehört zu schlagen.“

Jens sank auf das Sofa.

„Was soll das heißen… sie hatte doch keine Herzprobleme… Das kann nicht sein…“, murmelte er.

Wie sich herausstellte, hatte das Krankenhaus Anne am Nachmittag angerufen – sie sollte dringend vorbeikommen, die Untersuchungsergebnisse waren da. Während Jens durch Deutschland reiste, ging seine Frau allein hin… und verließ das Gebäude, ohne zu wissen, wie sie das Gehörte verdauen sollte.

Sie sSie setzte sich auf eine Bank vor dem Eingang, noch immer unter Schock, mit dem Gedanken: „Ich muss mich zusammenreißen – ich schaff es noch, für Jens Essen für die Woche vorzukochen und seine Hemden zu bügeln, bevor ich ins Krankenhaus gehe…“ doch sie kam nie wieder.

Оцените статью