Das Aroma des Brotes

**Der Atem des Brotes**

Als Lukas die schwere Haustür aufschob, empfing ihn ein Geruch nach feuchtem Putz und etwas ganz Leichtem, Warmem – wie frisch gebackenes Brot. Seltsam. Dieses Haus hatte lange die Düften des Lebens vergessen. Alles hier war verblasst, erstarrt, als hätte die Zeit diese Wände verlassen und nur ein kaltes Echo seiner Schritte zurückgelassen.

Er war nach achtzehn Jahren zurückgekommen. Die Stadt hatte sich verändert, war ihm fremd geworden – so wie er sich selbst. Sein Vater war im Herbst gestorben. Die Beerdigung war still verlaufen, fast unmerklich, wie bei jenen, die das Leben längst aus der Erinnerung der Nachbarn gestrichen hat. Die Nachbarin, Gertrud Schmidt, mit ihrem alten Kopftuch und abgenutztem Einkaufsbeutel, hatte ihm die Schlüssel überreicht:

„Der Sohn soll entscheiden, was nun geschieht.“

Er zögerte. Monatelang. Es ging nicht nur um die Wohnung, sondern um etwas Größeres – um Erinnerungen, um Schmerz, um den Jungen, der einst durch diese Gänge gerannt war und geglaubt hatte, dass alles für immer bleiben würde.

Nun stand er im düsteren Flur, wo er sich früher vor seiner Schwester beim Fangen versteckt hatte. Auf dem alten Sideboard lagen Mutters Nadelgarn, eine Streichholzschachtel, ein vergilbter Kalender und eine Haarklammer in Form eines Gänseblümchens. Alles noch da. Sogar das Gänseblümchen. Als wäre die Zeit stehen geblieben, während er selbst gealtert war – nicht mehr mit kindlicher Freude, sondern mit erwachsener Melancholie, schwer wie nasser Schnee.

Im Zimmer roch es nach Vergangenheit. Der Duft hatte sich in die Tapeten, die Vorhänge, die alte Decke auf dem Sofa eingeschlichen, als hielten sie alle an den Erinnerungen fest. Die Luft war dick, fast greifbar, als bewahre sie den Atem vergangener Jahre. Er knipste das Licht an – die Lampe zischte widerwillig auf und tauchte den Raum in mattes Licht. Alles wie damals, nur staubiger. Und eine Stille, so tief, dass er das Schlagen seines Herzens hörte – ein stummer Vorwurf unausgesprochener Worte.

In der Küche hingen alte Zeitungsabrisse an der Wand: Rezepte für Kuchen, Haushaltstipps, ein Gebet, mit einer rostigen Nadel befestigt. Topflappen mit verblassten Mustern hingen am Haken, als warteten sie auf ihre Besitzerin. Auf der Fensterbank stand ein Aloe-Topf, der irgendwie überlebt hatte – mit ein paar zähen Blättern, als klammerten sie sich ans Leben, wie die Erinnerung an den Vater. Der Wasserkocher stand auf dem Herd, in ein altes Tuch gewickelt, genau wie damals, wenn der Vater zur Arbeit ging und die Mutter leise etwas vor sich hinsummte. Lukas füllte Wasser ein, setzte sich an den Tisch, starrte aus dem Fenster. Im Haus gegenüber rauchte jemand auf dem Balkon, die Zigarettenglut leuchtete auf wie ein Signal aus der Vergangenheit. Die Welt schien den Atem anzuhalten wie vor einem Sturm, und nur dieses Zimmer, voller Erinnerungen, blieb unverändert – eine Insel im Vergessen.

Er fand eine Schachtel mit Fotos. Da war er – der Junge im blauen Mantel. Der Vater – mit müdem Lächeln, schwieligen Händen, die nach Mehl und Tabak rochen. Die Mutter. Lukas betrachtete ihr Bild lange: ihre leicht zusammengekniffenen Augen, warm und doch streng. Der Vater war gegangen, als Lukas neun war. „Auf Arbeitssuche“, hatte die Mutter gesagt. Er kam nicht zurück.

Er klappte die Schachtel zu. Zu schmerzhaft. Zu plötzlich.

Am nächsten Morgen traf er im Hof einen alten Mann. Gebückt, mit grauen Augenbrauen, in einer abgetragenen Mütze. Etwas an ihm kam Lukas bekannt.
„Bist du der Sohn von Heinrich?“ fragte er und kneif die Augen.
„Ja. Lukas.“
„Hab gedacht, du kommst nie zurück. Dein Vater hat nicht weit gewesen. Jenseits des Flusses. War Bäcker. Hat Brot gemacht – so gut, dass Leute von weit her kamen. Dann ging’s bergab. In den Neunzigern, heißt es, ist er von den Gerüsten gefallen. Hat sich den Kopf gestoßen. Gedächtnis weg. Hat bei einer Frau gewohnt, die hat sich um ihn gekümmert wie um ein Kind.“

Lukas erstarrte.
„Wo ist er jetzt?“
„Weg. Letzten Winter. Ganz allein. Sie hat erzählt, er hat manchmal an den Jungen gedacht. ‚Lukas‘, hat er gesagt. Hat von ihm geträumt. Warst du das?“

Dieser Tag war wie im Nebel. Lukas ging am Ufer entlang, der Wind peitschte ihm ins Gesicht, und in seinem Kopf dröhnte nur: „Warum?“ Warum war sein Vater nicht zurückgekommen? Warum hatte er nicht gesucht? Warum hatte er ihn mit dieser Leere zurückgelassen?

Abends betrat er die Dorfbäckerei. Klein, mit dem Duft von warmem Teig und Hefe. Die VerkDie Verkäuferin, eine ältere Frau mit freundlichen Augen, erkannte ihn: „Du bist Heinrichs Sohn? Er kam immer hierher, kaufte ein Brot, legte es auf euer Fensterbrett und sagte: ‚Damit der Junge weiß, wie Brot duftet.'“

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Treppe ins Nichts