Der Fall der Pfauenmaske

Die Pfauenmaske fällt

An diesem Morgen rief Valentina Sergejewna ihre Tochter direkt bei der Arbeit an. Ihre Stimme klang rau und gebrochen:

„Nastja… mir geht es schlecht, mir wurde plötzlich schwindlig auf der Straße…“

„Mama, wo bist du? Ich hole mir gleich frei! Hast du Papa angerufen?“

„Er ist mit Freunden zum Angeln gefahren. Sein Handy hat keinen Empfang. Ich bin ganz in der Nähe deiner Wohnung… aber schaffe es nicht allein.“

Fünfzehn Minuten später führte Nastja ihre Mutter bereits am Arm zum Hauseingang. Die Sorge schnürte ihr die Kehle zu – in letzter Zeit hatte das Herz ihrer Mutter öfter Probleme gemacht, und jede solche Nachricht war wie ein Alarmsignal. Oben angehalten, steckte sie den Schlüssel ins Schloss und… erstarrte.

Aus dem Schlafzimmer hörte sie unmissverständliche Geräusche. Sie stürmte hinein, riss die Tür auf – und sah, wie ihr Mann Denis, der selbsternannte „geniale Künstler“, hastig unter der Decke hervorkroch, während eine fremde junge Frau eilig ihre Sachen zusammensuchte.

„Du?!“, Nadjas Stimme zitterte. „Wie konntest du? Und du hast behauptet, du wärst die ganze Nacht im Atelier. Und Mama hast du als Paranoikerin bezeichnet!“

„Reg dich doch nicht gleich so auf!“, jammerte Denis und verbarg sich hinter der Decke. „Das passiert halt. Wir sind Künstler. Inspiration, Impuls, Leidenschaft…“

„Impuls?!“, schrie Nastja. „Pack deine Sachen und verschwinde zu deiner Mama! Oder in dein eiskaltes Atelier, wo du deine ‚Meisterwerke‘ schaffen kannst!“

Schon lange gab es einen stillen Krieg zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn. Valentina Sergejewna hielt ihn für einen aufgeblasenen Poseur, einen Schaumschläger der angesagten Kunstszene. Lila Haare, ein Dreitagebart, glänzende Hosen und ewige Reden über „Kunst ohne Grenzen“ – das alles nervte sie maßlos.

„Wann findest du endlich einen anständigen Job?“, knurrte sie regelmäßig. „Das hier ist doch kein Broterwerb, nur Krickelkrakel. Alle halbe Jahre kauft dir jemand ein Bild. Was kommt dann?“

„Valentina Sergejewna“, zog er dann genervt, „Sie verstehen das nicht. Nastja hat Glück mit mir. Ich bin ein Unikat. Ein Nonkonformist. Und Sie… sind eine Spießerin.“

Schon beim ersten Treffen hatte er sie gekränkt. Sie hatte Fleisch gebraten und einen Preiselbeerkuchen gebacken – doch er reagierte nur:

„Das esse ich nicht. Fleisch kommt mir nicht auf den Tisch. Die Form des Tisches erstickt meinen Geist.“

Doch eine Woche später sah sie ihn vor einem Burgerladen stehen, genüsslich einen Doppelburger verzehrend. Da keimte erstmals Verdacht: Was verbarg er noch?

Nastja winkte ab:

„Mama, vielleicht hast du dich getäuscht? Oder es war jemand anders…“

„Wen soll ich denn schon mit diesem Pfauen in der Neonjacke verwechseln?“

Dann ging es Schlag auf Schlag: laute Partys in der Wohnung, die Nastja von der Oma geerbt hatte, Besuche halbnackter „Muse“, beschwerdeführende Nachbarn. Einmal, nach erneuten Klagen, kam Valentina Sergejewna unangemeldet vorbei. Und fand beim Öffnen der Tür eine ganze Künstlerclique vor: Mädchen mit Shisha, Kerle mit Flaschen und Denis im Mittelpunkt, das Glas in der Hand.

„Was soll das?!“, fauchte sie. „Alle raus, sofort!“

„Wir feiern den Start eines Kunstprojekts!“, entgegnete Denis. „Tausende würden hier sein wollen!“

„Dann sollen sie weiter träumen!“, knurrte die Schwiegermutter. „Und du – nimm dir einen Lappen und mach hier blitzblank! Keine weiteren Künstlertreffen mehr!“

Offenbar war seine Taktik: lächeln, ausharren. Er lud sie sogar zu einer Ausstellung ein. Doch als sie sich in eine Fensternische zurückzog, hörte sie im Halbdunkel eine Stimme:

„Wann sehen wir uns?“, kicherte ein junges Mädchen.

„Sobald Nastja Nachtschicht hat, schreibe ich dir.“

„Ich hab dir Fotos geschickt… Ich vermisse dich. Verlass deine Frau!“

„Mal sehen…“, gähnte Denis.

Valentina Sergejewna trat aus dem Schatten. Denis zuckte nicht einmal:

„Wirst du es deiner Tochter sagen? Na viel Glück. Sie glaubt dir nicht. Für sie bist du immer nur die Nörglerin. Und ich – der Geliebte. Also halt den Mund, Oma.“

Doch sie schwieg nicht. Obwohl Nastja ihr damals nicht glaubte und meinte, sie solle sich „nicht in ihre Ehe einmischen“, begann Valentina Sergejewna zu handeln. Sie gewann eine Nachbarin aus dem Nebenhaus als Zeugin. Dann kam der Anruf am Abend:

„Er hat eine Frau mitgebracht. Mit einer Tasche. Das Licht ist aus – sie bleiben über Nacht.“

Ihr Herz hämmerte. Nastja war in der Nachtschicht. Valentina Sergejewna zog ihren Mantel an, ging hinaus, rief ihre Tochter an und flüsterte:

„Nastja, mir geht es schlecht. Ich glaube, es ist mein Herz… Ich bin in der Nähe deiner Wohnung…“

Nastja war in fünfzehn Minuten da. Sie gingen hoch. Öffneten die Tür. Und dann geschah, was geschehen musste. Schreie, Vorwürfe, Tränen. Die Fremde wurde rausgeworfen. Denis, nur notdürftig angezogen, versuchte sich zu rechtfertigen – doch Nastja hörte nicht mehr zu.

Am nächsten Morgen waren die Schlösser ausgewechselt, die Schlüssel eingesammelt. Die Scheidungspapiere wurden eine Woche später eingereicht. Erst einen Monat später sprach Nastja wieder mit ihrer Mutter:

„Mama… hast du damals alles nur erfunden? Oder warst du wirklich krank?“

Valentina Sergejewna sah ihrer Tochter in die Augen. Atmete tief ein.

„Natürlich war ich krank. Wie hätte ich wissen sollen, wen er mitbringt?“

Und Nastja nickte und umarmte ihre Mutter zum ersten Mal seit langem.

Valentina Sergejewna sagte nichts. Es war nicht der Moment, zuzugeben, dass sie für ihre Tochter alles tun würde. Sogar eine kleine, aber nützliche Lüge.

Оцените статью