Es war schon spät, als Sabine sich schlafen legen wollte, doch dann klingelte es unerwartet an der Tür. Vor ihr stand ein Mann, den sie nie wiederzusehen erwartet hatte.
„Du?“, entfuhr es ihr überrascht, als sie die Tür öffnete.
Da stand er: ihr Ex-Mann, Markus. Derselbe, der vor eineinhalb Jahren die Tür hinter sich zugeschlagen und alles für eine junge Geliebte aufgegeben hatte.
„Ich“, erwiderte er grinsend. „Darf ich rein? Bin ja schließlich kein Fremder hier.“
Sabine trat zur Seite. Was auch immer er vorhatte – diesem Gespräch würde sie nicht entkommen.
„Ich hab ein Angebot für dich. Du wirst nicht nein sagen“, begann er mit einem undurchsichtigen Lächeln und setzte sich auf das alte Sofa, als gehöre es ihm noch immer.
Sabine hörte schweigend zu. Mit jedem seiner Worte wurden ihre Augen größer. Ein Angebot? Die Wohnung verkaufen, in der sie seit seiner Abreise mit ihrer Tochter lebte, damit er sich ein neues Zuhause kaufen konnte. Die Wohnung, die er damals freiwillig aufgegeben hatte – aus vermeintlicher Großzügigkeit.
„Du hast gesagt, du hättest keinen Anspruch auf die Wohnung. Du bist gegangen, hast alles hinter dir gelassen“, erinnerte sie ihn leise.
„Damals war ich verliebt“, winkte er ab. „Jetzt ist alles anders.“
Sabine holte tief Luft. Vor ihr saß nicht mehr der Markus, den sie einst geliebt hatte. Dieser Mann war fremd, gierig, nervös. Er forderte, drohte, manipulierte.
„Ich verkaufe nichts“, sagte sie entschlossen. „Diese Wohnung gehört dir längst nicht mehr. Nicht einmal deiner Mutter, Anna Müller. Sie hat sie mir überschrieben, bevor du deine Julia geheiratet hast.“
Markus sprang auf.
„Du hast dich absichtlich bei ihr eingeschmeichelt! Hast sie um den Finger gewickelt! Jetzt ist klar, was du vorhattest!“
„Ich hatte nichts vor. Ich habe nur eine kranke Frau nicht im Stich gelassen – anders als du. Und ja, sie wollte es so. Ihr Wille, nicht meiner.“
Markus lief wie ein wildes Tier im Zimmer hin und her. Er hatte verloren. Er war gekommen, um zu fordern, um das Seine einzutreiben. Doch jetzt ging er mit leeren Händen.
„Du warst schon immer egoistisch!“, brüllte er beim Gehen.
„Und du ein Feigling. Der keine Ahnung hat, was Liebe bedeutet“, antwortete Sabine ruhig. „Geh. Und komm nicht wieder.“
Er stand noch ein paar Sekunden vor der Tür, als hoffe er, sie würde es sich anders überlegen. Doch sie tat es nicht. Sie schloss einfach die Tür. Für immer.
Sabine lehnte sich gegen das kalte Holz, schloss die Augen. In ihrer Brust war kein Schmerz, nicht einmal Wut. Nur Leichtigkeit. Und plötzlich wurde ihr klar: Alles fing jetzt erst an. Ein Leben ohne ihn – und endlich für sich selbst.
Manchmal ist Verlust der Anfang von etwas Besserem.