Hast du es nicht verdient?

**Tagebucheintrag**

„Hast du es nicht verdient?“

„Hans, hör zu – handle nach deinem Gewissen. Damit du später nicht vor dir selbst erröten musst“, flüsterte Helene ihrem Mann zu, strich ihm über die Wange und suchte in seinen strengen, eisgrauen Augen nach einem vertrauten Funken.

Was auch immer die Leute hinter seinem Rücken tuschelten, sie kannte ihren Hans wie ihre Westentasche. Jede Falte, jeden Gedanken, jedes stumme Zweifeln. Seit fast dreißig Jahren Seite an Seite. Sie hatten alles durchgemacht: das hektische Berlin, endlose Umzüge, verschlafene Dörfer mit kurzen Tagen und langen Abenden. Doch egal wohin es sie verschlagen hatte – sie hielten zusammen. Ein Haus hatten sie gebaut, aus harzigem Holz, solide. Der Duft von Kiefern überdeckte selbst die schwärzesten Erinnerungen.

Kinder hatte ihnen der Herrgott nicht gegeben. Enkel erst recht nicht. Dafür aber einander – jeden Tag, in guten wie in schlechten Zeiten. Und das Gerede der Leute? Das war wie der Wind – ein Wehen, ein Raunen, dann Stille. Sie würden es überstehen. Und wenn nicht – egal. Hauptsache, das Gewissen blieb rein.

Doch diese Hunde… diese verdammten Hunde…

Seit einem Monat redete die ganze Dienststelle von ihnen. Von den sieben Diensthunden, die laut Befehl „entsorgt“ werden sollten. Einfacher gesagt: eingeschläfert. Alt, abgetragen. Wer brauchte sie noch? Futterkosten – zu hoch, ein Zuhause – unauffindbar, die Tierheime waren längst überfüllt. Wer würde schon einen Befehl verweigern? Niemand. Und Oberst Hartmann – tat es nicht.

Er verlas das Schreiben, fragte, ob jemand die Hunde zu sich nehmen wolle. Schweigen. Nur der Wind pfiff durch die Fenster. Da nickte er und befahl, die Tierärzte zu rufen.

Das war’s. Kalt. Militärisch. Wie immer.

Hartmann… ein Knochentrockener. Der Spitzname „Der Harte“ klebte an ihm, seit er aus Berlin hierhergekommen war. Stolz in den Schultern, Stahl in der Stimme, Röntgenblick. Durchschaute jeden. Gnade – Fehlanzeige. Nur Dienst, nur Ehre. Kein Wunder, dass er innerhalb eines Jahres die Hälfte der alten Truppe ersetzt hatte. Ja, kompetent. Ja, ehrlich. Doch wer glaubte schon, ein Mensch könne ohne Schwäche sein? Ohne einen Funken Wärme?

Natürlich tuschelten die Frauen: „Gut, dass er keine Kinder hat! Was für ein Vater wäre das? Er würde sie mit seiner Strenge zu Tränen treiben. Der hat Kinder nicht verdient. Der ist es nicht wert!“

Währenddessen stand Hans-Jürgen draußen im Hof und sah zu, wie der letzte Hund in den weißen Transporter verladen wurde. Ein weißer Schäferhund – schneeweiß wie ein Wintertag. Bodo.

Seine schwarzen Augen – glänzend wie Knöpfe – starrten den Oberst fragend an. Als wollte er wissen: Warum? Warum darf ich nicht bleiben? Und Hartmann schwieg.

„Fahr los, Klaus“, murmelte er dumpf und stieg ins Dienstfahrzeug. Der Transporter ruckelte, fuhr langsam durchs Tor, unter den stechenden Blicken der Kollegen. Jemand zischte: „Gut so! Dem Harten ein hartes Ende. Soll er damit leben.“

Der Wagen erreichte die Tierklinik. Fuhr vorbei.

Als sie von der Landstraße abbogen, zitterten dem Fahrer die Hände. Doch als sie schließlich vor Hartmanns Haus hielten, platzte es aus ihm heraus:

„Herr Oberst? Was… was soll das?“

„Den Befehl hab ich ausgeführt. Abgeschrieben vom Bestand. Aber wohin – das geht keinen was an.“

Hartmann stieg aus. Am Tor stand Helene. Schweigend. Ein Taschentuch in der Hand, Sorge im Herzen. Er nickte und sagte nur:

„Lad sie aus. Hier bleiben sie.“

„Nach deinem Gewissen, Hans?“

„Nach meinem Gewissen, Helene.“

Die Hunde sprangen einer nach dem anderen aus dem Wagen. Vorsichtig schnüffelten sie im Hof, gewöhnten sich ein. Hans drückte seine Frau fester. „Keine Enkel, klar. Aber genauso wild. Volieren bauen wir. Warme Hütten. Holz ist noch da vom Bau…“

Seine Gedanken wurden vom Fahrer unterbrochen.

„Und was sagen wir den Leuten?“

„Was denn? Lasst sie reden. Den Hunden den Schwanz, den Menschen die Zunge. Niemand kann’s allen recht machen. Ich bin heute hier gebraucht. Helene schafft das nicht allein.“

Klaus fuhr davon. Doch abends kam er zurück. Nicht wegen eines Befehls. Wegen des Gewissens. Wegen des Herzens.

Und er kam nicht allein. Mit Frau und Söhnen. Holte Stefan aus der Buchhaltung, Alex aus der Technik, Ute mit ihren Zwillingsmädchen. Sie brachten Kuchen, Wasser, bauten die Volieren. Weil man nicht so leben kann – kalt, ohne Seele. Weil „der Harte“ nicht hart war. Er handelte nur… nach seinem Gewissen.

Und wenn danach noch einer wagte zu sagen, der Oberst habe Kinder nicht verdient – dann sollten sie es nur versuchen. Die anderen würden ihnen die Zunge herausreißen. Denn Hartmann hatte Kinder. Nicht durch Blut. Durch Wahrheit. Durch Güte. Durchs Herz.

Und das zählte.

Оцените статью
Hast du es nicht verdient?
Schatten der Vergangenheit: Ein dramatisches Aufeinandertreffen