Verrat hinter verschlossener Tür
Markus steckte den Schlüssel in das Schloss seiner Wohnung in Leipzig, das Herz pochte vor Vorfreude. Er stellte sich vor, wie seine geliebte Frau Sabine gleich vor Freude ausflippen würde. Fast ein Jahr war er nicht zu Hause gewesen – die Arbeit in einer anderen Stadt hatte ihn länger festgehalten als geplant. Ursprünglich war es nur ein kurzer Aufenthalt, doch dann wurde er unerwartet verlängert. Nun endlich hatte er eine Woche Urlaub bekommen, um sie zu besuchen. Ohne Vorwarnung wollte er sie überraschen. Leise zog er die Schuhe aus, ließ die Tasche im Flur stehen und versteckte einen Strauß Rosen hinter dem Rücken. Er folgte Sabines Stimme, die aus der Küche klang. Doch als er die Tür erreichte, erstarrte er wie vom Donner gerührt.
Die Überraschung gelang – aber nicht die, die er geplant hatte. Am Küchentisch saßen Sabine und ein fremder Mann mit gepflegter Erscheinung, der gelassen seinen Tee schlürfte. Als Sabine ihren Mann erblickte, erstarrte sie, ihre Augen weit vor Schreck. Der Gast dagegen lächelte nur und sagte völlig unbeeindruckt:
„Guten Tag. Willkommen zurück.“
„Guten Tag…“, stammelte Markus und blickte seine Frau an. „Sabine, ich bin da…“
„Markus!“, rief sie, sprang auf und stürzte auf ihn zu, um ihn zu umarmen. „Warum hast du nichts gesagt?“
„Ich sehe, wie sehr du dich freust“, erwiderte er sarkastisch und drückte ihr die Rosen in die Hand. Dann drehte er sich mit unterdrückter Wut zu dem Fremden. „Und wer sind Sie?“
„Keine Sorge, Markus“, antwortete der Mann ruhig. „Ich bin Tobias Wagner, ein Kollege von Sabine. Wir arbeiten im selben Team. Ich wollte nur nach ihr sehen – sie war krank.“
„Krank?“, Markus’ Stimme wurde scharf. „Seit wann sind Sie ihr Arzt?“
„Markus, beruhige dich“, mischte sich Sabine ein, ihre Stimme zitterte. „Tobias geht gleich. Stimmt’s, Tobias? Entschuldigung, mein Mann ist müde von der Reise…“
„Natürlich“, lächelte der Mann. „Ich esse nur noch ein Stück von deinem berühmten Apfelkuchen, Sabine. Wie immer unübertrefflich.“
„Wie immer?“, Markus fixierte seine Frau mit durchdringendem Blick. „Isst er hier etwa regelmäßig deinen Kuchen?“
„Markus“, fuhr Tobias fort, „deine Frau versorgt unseren Büroflur seit Monaten mit ihren Backwaren. Nach deiner langen Abwesenheit waren wir für sie eine Stütze. Übrigens – wie lange bleibst du? Eine Woche? Oder für immer? Dein Kollege Stefan hat etwas erwähnt…“
„Stefan?“, runzelte Markus die Stirn. „Woher kennen Sie ihn?“
„Ein alter Freund“, antwortete Tobias gelassen. „Arbeitet mit Ihnen in derselben Abteilung. Er spricht oft von Ihnen. Ein humorvoller Typ. Und Sie, Markus – sind Sie humorvoll?“
„Schluss jetzt!“, fuhr Markus ihn an, die Geduld verlierend. „Fünf Minuten, dann ist dein Kuchen gegessen, und du verschwindest!“
„Markus, nicht so!“, rief Sabine, doch er schnitt ihr mit einem Blick das Wort ab.
„Mit dir werde ich später reden. Was für eine wundervolle Überraschung du mir bereitet hast. Danke.“
„Über Überraschungen könnte ich einiges erzählen, Markus“, grinste Tobias frech. „Stefan sagt, Sie seien ein Meister darin. Ich bin sicher, Sie haben etwas Großes für Sabine geplant. Also – länger oder nicht?“
„Genug!“, Markus ballte die Fäuste. „Komm mit auf den Flur. Wir reden.“
„Mit Vergnügen“, nickte Tobias und ging zur Tür.
Draußen auf dem Treppenabsatz zischte Markus, kaum noch Herr seiner Wut:
„Pass auf, du Schlauberger. Du verschwindest jetzt und lässt dich hier nie wieder blicken. Verstanden?“
Tobias grinste kalt.
„Verstanden. Aber jetzt hör du zu. Heute erzählst du Sabine die Wahrheit. Oder ich tue es für dich. Unmännlich, aber notwendig.“
„Welche Wahrheit?“, Markus wurde blass. „Wovon redest du?“
„Von deinem anderen Leben“, wurde Tobias’ Stimme hart. „Von der Frau, mit der du seit einem halben Jahr zusammenlebst. Von Laura, die ein Kind von dir erwartet. Du hast ihr doch gesagt, du kommst nur zurück, um dich von Sabine scheiden zu lassen, stimmt’s?“
Markus taumelte, als hätte ihn ein Schlag getroffen.
„Woher… Wer hat dir das…“
„Stefan“, unterbrach ihn Tobias. „Laura ist seine Schwester. Sie erzählt ihm alles, und er macht sich Sorgen. Deshalb bin ich hier. Und weil ich von deiner Rückkehr wusste. Du hast einen Tag, Markus. Sag Sabine die Wahrheit, lasst euch scheiden, und quäl diese Frau nicht länger. Sie bedeutet mir viel. Verstanden?“
„Und wenn ich bei Sabine bleiben möchte?“, stieß Markus hervor, die Stimme brüchig.
„Ich bezweifle, dass sie das will“, antwortete Tobias eisig. „Nach der Wahrheit.“
Damit drehte er sich um und ging die Treppe hinab. Markus blieb wie versteinert stehen, spürte, wie seine Welt zerbrach. Als er zurück in die Wohnung ging, sah er Sabine. Ihr Gesicht war aschfahl, die Augen voller Tränen.
„Hast du alles gehört?“, flüsterte er.
Sie nickte.
„Alles?“
„Alles“, hauchte sie.
„Und du willst die Scheidung?“ Er wusste die Antwort bereits.
„Schon lange“, sagte sie und wandte sich ab.
Markus starrte sie an, ohne Worte zu finden. Sein Leben, einst so vertraut und sicher, stürzte wie ein Kartenhaus zusammen – und er hatte keine Ahnung, wie er es wieder aufbauen sollte.