Eine unerwartete Wendung des Schicksals
Elisabeth kehrte von einer langen Dienstreise nach Hause zurück. Ihr Herz klopfte vor Vorfreude: „Wie wird sich Paul freuen, wenn er sieht, dass ich früher zurück bin!“, dachte sie, während sie hastig über den Bahnsteig des Kölner Hauptbahnhofs eilte. Mit ihrem Schlüssel öffnete sie die Wohnungstür und rief lächelnd:
„Schatz, ich bin da!“
Doch ihre Freude zersprang wie eine Glasvase, die zu Boden fällt. Aus dem Badezimmer trat ein fremder Mann in einem dunkelblauen Bademantel, der sich gelassen die Hände mit einem Handtuch abtrocknete.
„Wer sind Sie?“, fragte Elisabeth mit zitternder Stimme, während ihr fast die Tasche aus der Hand glitt.
„Ich bin Matthias“, antwortete der Mann ruhig. „Und Sie müssen wohl Lisa sein, Pauls Frau?“
„Ja“, presste sie hervor, als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Und was tun Sie in meiner Wohnung?“
„Hat Paul Ihnen nichts gesagt?“, fragte er mit einem Hauch von Bedauern in der Stimme.
„Gesagt? Was denn?“, starrte Elisabeth ihn an, unfähig, das Geschehene zu begreifen.
Noch gestern hatte alles so vertraut gewirkt. Elisabeth lag auf dem Sofa, an die Schulter ihres Mannes geschmiegt, der gebannt ein Hockeyspiel im Fernsehen verfolgte.
„Paul, hilfst du mir beim Kofferpacken?“, bat sie sanft.
Ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, antwortete er gereizt:
„Lisa, mach das doch nach dem Spiel. Du fährst erst morgen, nicht heute. Bring mir lieber ein paar Nüsse aus der Küche.“
Elisabeth seufzte, gehorchte aber und holte die Nüsse, wobei sie sich selbst ein Glas kalten Saft einschenkte. Zurückgekehrt, reichte sie Paul die Tüte und beobachtete zärtlich, wie er darin knabberte, ohne vom Spiel abzulassen. Der Gedanke an die bevorstehende Trennung von vier Monaten schnürte ihr das Herz zu. Ihre Arbeit mit den ständigen Dienstreisen durch ganz Deutschland war ihre Leidenschaft, doch jeder Abschied hinterließ eine Spur von Sehnsucht nach Paul, der zu Hause blieb.
„Paul, wirst du mich vermissen?“, fragte sie leise und drückte sich an ihn.
„Natürlich, Liebes“, antwortete er mit einem flüchtigen Lächeln und einem schnellen Kuss auf ihre Schläfe.
„Ich möchte dich nicht so lange allein lassen“, ihre Stimme bebte. „Wenn wir doch bloß Kinder hätten…“
„Lisa, fang nicht schon wieder damit an“, wich er zurück, sein Ton wurde schärfer. „Das haben wir tausendmal besprochen.“
„Ich weiß, es ist noch zu früh“, antwortete sie traurig. „Aber darf ich nicht wenigstens träumen?“
Elisabeth seufzte schwer. Ihr Eheleben schien fast perfekt, doch ein Schatten trübte ihr Glück – Pauls Weigerung, überhaupt über Kinder zu sprechen. Zwei Jahre Ehe, zwei Jahre sein beharrliches „Es ist zu früh, wir sollen erst für uns leben“. Sie wartete geduldig, dass er seine Meinung ändern würde, ohne ihn zu bedrängen.
Am nächsten Tag reiste Elisabeth ab. Die Gedanken an Paul verließen sie nicht, die Trennung schmerzte. Sie überlegte sogar, ihren Job zu wechseln, um näher bei ihm zu sein. Doch das Projekt, das man ihr anvertraut hatte, faszinierte sie. Ihr Team schaffte die Aufgabe in drei statt vier Monaten. Die Freude war groß: eine Prämie, Lob des Chefs und die Chance, früher zurückzukehren. Im Zug schloss sie die Augen und stellte sich vor, wie Paul sie umarmen würde. Doch die Realität war grausam.
Elisabeth stürmte in die Wohnung, erwartete eine glückliche Wiedervereinigung, doch statt Paul stand ihr ein Fremder gegenüber. Matthias, der sich so nannte, sah sie leicht verwundert an.
„Wer sind Sie?“, wiederholte sie, als würde der Boden unter ihr wegbrechen.
„Ich bin Matthias“, sagte er erneut. „Sie sind wohl Lisa, Pauls Frau?“
„Ja“, ihre Stimme zitterte. „Was tun Sie hier?“
„Paul hat Sie nicht informiert?“, runzelte er die Stirn. „Er hat mir die Wohnung untervermietet und ist weg. Ich habe für ein Jahr im Voraus bezahlt. Er sagte, Sie würden später Ihre Sachen holen. Sind Sie dafür hier? Die sind im Schlafzimmer.“
„Meine Sachen holen?“, schrie Elisabeth fast, ihre Stimme bebte vor Wut und Verzweiflung. „Das ist mein Zuhause! Was meinen Sie mit einem Jahr im Voraus? Wo ist Paul? Ist das ein Scherz? Ich rufe die Polizei!“
Sie griff zum Telefon und wählte Pauls Nummer, doch er war nicht erreichbar. Wütend warf sie das Handy auf das Regal und griff sich an den Kopf, um das Ganze zu begreifen. Nach einigen Minuten und einem Schluck Wasser fragte sie kalt:
„Mit welchem Recht hat Paul Ihnen meine Wohnung vermietet? Das dürfen Sie nicht! Das ist mein Eigentum!“
Matthias zog schweigend Papiere aus einer Mappe und reichte sie ihr. Mit zittrigen Händen begann Elisabeth zu lesen. Der Mietvertrag, Unterschriften – alles sah legal aus. Aber wie? Die Wohnung gehörte ihr, nicht Paul!
„Ihr Mann zeigte eine Vollmacht, die ihn berechtigt, über die Wohnung zu verfügen“, erklärte Matthias. „Alles rechtmäßig. Was zwischen Ihnen beiden vorgeht, geht mich nichts an.“
Elisabeth spürte, wie ihr die Tränen kamen. Hatte Paul Dokumente gefälscht? Sie betrogen? Sie setzte sich auf einen Stuhl, unfähig, den Verrat zu glauben.
„Verstehen Sie, ich habe kein anderes Zuhause“, fuhr Matthias fort. „Ich habe bezahlt. Entweder Sie geben das Geld zurück, oder ich bleibe.“
Elisabeth wusste, sie hatte die Summe nicht. Sie musste die Wohnung mit einem Fremden teilen, bis sie die Illegalität des Vertrags beweisen konnte. Mit zusammengebissenen Zähnen teilte sie Matthias mit, dass sie bleiben würde, und zog sich ins Schlafzimmer zurück. Er schlief im Wohnzimmer.
Die Nacht war schlaflos. Elisabeth starrte an die Decke und fragte sich, wie Paul das tun konnte. Am nächsten Morgen, ohne Frühstück, eilte sie zu einem befreundeten Anwalt, der helfen wollte. Stunden später, müde und hungrig, blieb sie auf der Küchenschwelle stehen. Der Duft von gebratenem Fleisch lag in der Luft.
„Lisa, wie stehen Sie zu Hähnchen mit Kräutern?“, fragte Matthias, während er das Gericht aus dem Ofen holte.
Elisabeth, hungrig, schluckte unwillkürlich, doch sagte:
„Danke, ich bin nicht hungrig.“
„Lisa, kommen Sie“, lächelte Matthias. „Das ist zu viel für mich allein. Die guten Sachen sollen nicht verkommen.“
Widerwillig setzte sie sich an den Tisch. Beim Essen erzählte Matthias, dass er einst ein kleines Geschäft besaß, doch ein Freund ihn betrog und er alles verlor. Nach Köln gezogen, mietete er die Wohnung, um neu anzufangen. Seine Offenheit und sein Humor ließen Elisabeth unwillkürlich lächeln.
Während die Ermittlungen liefen, verbrachten sie Abende zusammen. Sie staunte, wie viel sie gemeinsam hatten: Wanderungen, Geschichte. Eines Abends klingelte das Telefon. Elisabeth ging ans Fenster, ihr Gesicht wurde immer düsterer. Nach dem Gespräch stürmte sie schluchzend ins Schlafzimmer. Matthias klopfte.
„Lisa, was ist passiert?“, fragte er, als er ihre Tränen sah.
„Paul“, schluchzte sie. „Man hat ihn gefunden.“
„Das ist doch gut, jetzt muss er sich verantworten“, versuchte er zu trösten.
„Er war nicht allein“, ihre Stimme bebte“Doch als sie in seinen Augen dieselbe Wärme sah, die sie längst bei Paul vermisst hatte, verstand sie, dass manche Abschiede kein Ende, sondern einen neuen Anfang bedeuten.“