Als Johanna im Krankenhaus aufwachte, fühlte es sich an, als wäre die Welt in Stücke zerbrochen. Überall blendende Lampen, ihr ganzer Körper schmerzte, und die Schwester tropfte gleichgültig etwas in den Infusionsbehälter. Draußen war es still. Unangenehm still, wie nach einem Sturm. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff – das war kein gewöhnlicher Sturm gewesen. Das war das Ende.
Ihr Mann, Heinrich, hatte nicht nur ihr Herz gebrochen. Er hatte ihren Selbstrespekt zerstört, ihr Bild von Familie getrübt und ihre Gewissheit genommen, mehr zu sein als nur ein bequemer Schatten – ein lebendiger Mensch.
Sie hatten geheiratet, als Johanna einundzwanzig war. Kleine Hochzeit, eine Wohnung im Studentenwohnheim, der erste Sohn – alles wie bei anderen. Heinrich war einer dieser Männer, die in der Öffentlichkeit charmant reden konnten, aber zu Hause schwiegen. Zuerst sah sie es als Charakterzug. Dann als Mauer. Irgendwann begann diese Mauer sie zu erdrücken. Er umarmte sie nie ohne Grund. Fragte nie, wie ihr Tag war. Sah ihr nie in die Augen. Doch als Vater war er gut – oder versuchte es zumindest.
Als sie zum zweiten Mal schwanger wurde, änderte Heinrich sich plötzlich. Er kam spät nach Hause, verschloss sich. Auf ihre Fragen folgte Schweigen. Als ihre Tochter geboren wurde, kam er nicht einmal ins Krankenhaus.
„Arbeit“, sagte er kurz ins Telefon. „Kommt schon allein klar.“
Johanna kam allein klar. Stand nachts auf, kochte, trug das Kind auf dem Arm. Und er? Schweigen. Er lebte neben ihr, aber irgendwo in weiter Ferne.
Eines Tages fand sie Nachrichten auf seinem Handy. „Schatz“, „meine kleine Maus“, „ich vermisse dich“, „wann fährt deine Frau wieder weg?“ – und es waren nicht nur Worte. Fotos. Geld. Treffen. Alles war da.
Sie machte keinen Streit. Sie setzte sich einfach in die Küche, starrte auf die kalte Tasse Tee und schwieg. Er kam nach Hause wie immer, warf die Schlüssel hin, zog die Schuhe aus.
„Reden wir?“ fragte sie ruhig.
„Worüber?“ Er hob nicht einmal den Blick.
„Über die Frau, der du jeden Tag schreibst. Die weder Freundin noch Schwester ist, sondern einfach eine Fremde.“
„Übertreib nicht. Das ist nur ein bisschen Spaß“, wehrte er ab.
„Du schickst ihr Geld.“
„Und du bist jetzt meine Buchhalterin?“
In dieser Nacht packte sie die Sachen der Kinder und ging. Sie schrie nicht. Sie bettelte nicht. Sie ging einfach. Zu ihrer Mutter, in eine andere Stadt, in eine kleine Mietwohnung. Und fing ein neues Leben an.
Die Zeit verging. Die Kinder wuchsen. Johanna fand einen Job. Bekannte versuchten, sie zu verkuppeln, aber sie konnte nicht. Jede Berührung eines Mannes ließ sie zurückzucken. Ihre Hände zitterten, wenn jemand ihre Schulter berührte. Sie hatte Angst. Angst, wieder nur bequem zu sein. Angst, wieder betrogen zu werden. Sie gestand es sich selbst ein: Nach ihm hatte sie verlernt zu lieben.
Dann sah sie zufällig bei einem Klassentreffen Tobias wieder. Früher ihr Mitbewohner im Studentenwohnheim – immer lächelnd, ein bisschen tollpatschig. Jetzt war er ruhig, erwachsen, klug. Sie redeten bis spät in die Nacht, und zum ersten Mal seit Jahren lachte sie von Herzen.
Tobias drängte nicht. Er blieb einfach da.
„Johanna, du musst mir nichts beweisen. Es ist einfach schön, bei dir zu sein.“
„Und wenn ich kaputt bin?“ flüsterte sie.
„Kaputte Menschen schweigen. Du redest. Du bist lebendig.“
Ein Jahr später zogen sie zusammen. Die Kinder mochten ihn. Zum ersten Mal spürte sie Wärme im Haus. Manchmal hatte sie noch Angst – sie packte zu, wenn er spät heimkam, starrte nervös auf sein Handy. Doch er nahm geduldig ihre Hand.
„Ich bin hier. Und ich bleibe.“
Und sie glaubte ihm.
Heinrich rief eines Tages an. Sagte, es tue ihm leid. Dass man ihn betrogen habe. Dass er alles zurückhaben wolle.
„Nein“, antwortete Johanna ruhig. „Du hast nicht unsere Familie zerstört. Du hast meinen Glauben an mich selbst zerstört. Und es hat lange gedauert, ihn zurückzugewinnen. Jetzt bin ich jemand anderes. Und du bist mir fremd.“
Er schrie noch etwas in den Hörer, aber sie hörte nicht mehr zu. Denn zum ersten Mal seit Langem war sie sicher: Sie hatte keine Angst mehr. Und sie wusste endlich, was es hieß, wirklich zu lieben.