Zu schön zum Glück
Sie trafen sich in der Stadtbücherei – er suchte nach einem Sportlexikon, sie hingegen stöberte wie immer in der Klassikerabteilung. Lukas sah aus wie ein Model von der Titelseite eines Magazins: groß, durchtrainiert, mit schwarzen Locken, smaragdgrünen Augen und Wimpern, die länger waren als die der meisten Mädchen. In diesem Moment war Anna sogar sprachlos – er wirkte zu perfekt, um sie überhaupt zu bemerken.
Sie war nicht hässlich, schlank, mit zarten Gesichtszügen, blondem Haar und einer sanften Stimme. Doch neben Lukas wirkte sie unscheinbar. Als sie anfingen, sich zu treffen, wunderten sich ihre Freundinnen offen:
„Der ist doch nichts für dich, Anna. Solche Typen bleiben nie lange… Der wird dich irgendwann fallen lassen.“
Doch Anna war glücklich. Er überschüttete sie nicht mit Blumen oder schönen Worten, aber er war da, brachte sie nach Hause, ging mit ihr ins Kino und umarmte sie so leidenschaftlich, dass ihr die Knie weich wurden.
Als sie ihn das erste Mal mit nach Hause brachte, sah sie, wie ihre Mutter sich verspannte. Helga, eine kluge und besonnene Frau, zog sie nach dem Essen beiseite:
„Glaubst du wirklich, es ist ihm ernst?“
„Ja, Mama. Ich liebe ihn. Er ist der Richtige.“
„Annchen… Ein schöner Mann ist immer ein Mann für alle. Immer wird jemand hinter ihm her sein. Und in ständiger Eifersucht zu leben – das ist die Hölle.“
Anna wurde rot:
„Sagst du das wegen Papa? Verurteile nicht alle wegen einem! Lukas ist anders.“
„Aber überstürze nichts. Wahre Liebe hält der Zeit stand.“
Anna versprach es, doch in ihrem Herzen zweifelte sie nicht an ihm. Die beiden blieben ein Paar, doch mit der Zeit wurde Lukas immer unzuverlässiger: Fitnessstudio, Schwimmbad, Treffen mit Freunden. Anna, die nicht zurückstehen wollte, ging mit, auch wenn es ihr gar nicht lag.
Im Schwimmbad starrte er Mädchen in knappen Badeanzügen hinterher, im Fitnessstudio genoss er jedes Anflirten. Und sie? Sie fühlte sich unsichtbar. Einmal erkältete sie sich nach dem Training so schwer, dass sie tagelang flachlag.
„Du bist auch ein echtes Sensibelchen“, lachte Lukas. „So was ist einfach nichts für dich.“
Immer öfter dachte Anna an die Worte ihrer Mutter. Lukas wurde kälter, sie litt. Die Treffen wurden seltener. Und eines Tages war er einfach weg. Kein Anruf, kein Abschied. Als hätte es nie etwas gegeben.
Als ihre Mutter sah, wie die Tochter verkümmerte, sagte sie streng:
„Ab zum Friseur! Und dann Stoff kaufen – du brauchst was Neues.“
Anna widersprach nicht. Sie schnitt sich die Haare, nähte ein neues Kleid und wagte sich wieder unter Leute. Auf einem Tanzabend wurde sie bemerkt. Männer sprachen sie an. Einer – Thomas – war ganz anders als Lukas: schlicht, unscheinbar, aber mit gütigen Augen. Nach einem Monat machte er ihr einen Antrag.
„Liebst du ihn?“, fragte die Mutter.
„Er ist der Einzige, der nur mich ansieht. Ist das nicht Liebe?“
Die Hochzeit war einfach, aber schön. Ein Jahr später kam ihre Tochter zur Welt, drei Jahre danach ihr Sohn. Und Anna… sie war endlich glücklich. Ein Zuhause, Kinder, ein Mann, der sie schätzte und behütete.
Manchmal fiel Lukas’ Name in Gesprächen. Freundinnen erzählten, er habe bereits eine Frau für eine Geliebte verlassen, er sei immer noch derselbe – schön, aber leer. Anna schüttelte nur den Kopf:
„Nun, jeder geht seinen Weg. Wichtig ist, jemanden zu finden, der bei dir bleibt – und nicht nur bei sich selbst.“
Und zu Hause erwarteten sie vertraute Stimmen, Hände, Blicke. Und die Mutter. Dieselbe weise Mutter, die sie einst vor einem schönen, aber leeren Traum bewahrt hatte.