Die Schatten der Vergangenheit auf der verschneiten Straße…
Ein eiskalter Morgen in einem Dorf nahe München. Der Schnee knirschte unter den Füßen. Lukas war schon bei Tagesanbruch aufgestanden, um seine Schwester Mia am Bahnhof abzuholen, die von der Universität zurückkehrte. Doch sein alter Golf blieb im Schnee stecken. Während er und sein bester Freund Felix das Auto mühsam anschieben, erscheint seine Mutter, Tante Helga, mit spöttischem Lächeln: „Na, ihr Helden, habt ihr sie schon? Mit euch kann man sich ja wirklich nicht verlassen! Mia hat schon angerufen, sie sucht jetzt ein Taxi!“ – „Mama, das ist das erste Mal, dass das passiert“, murrt Lukas und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Alles unter Kontrolle.“ Der Wagen befreit sich endlich aus dem Schnee, doch Mia war nirgends zu sehen. Eine beklemmende Angst stieg in ihm auf. Als sie sich dem Bahnhof näherten, entdeckten sie ein Auto am Straßenrand. Sie stiegen aus, und Felix erstarrte, als er ins Innere blickte – als hätte er ein Gespenst gesehen.
„Oma, wann kommt Mama endlich?“ fragte der kleine Felix, während er sich über eine Portion Bratkartoffeln mit dick Butter und Himbeermarmelade hermachte. Oma Gisela deckte ihn liebevoll mit einer Decke zu: „Natürlich kommt sie, mein Schatz. Sie ist schön, lieb und hat dich sehr gern.“ Doch in ihren Augen verbarg sich ein Schmerz. Felix schlief nach einem Tag voller Spiel ein, während Gisela den Ofen anfachte und an ihre Tochter Sabine dachte, die spurlos verschwunden war und ihren Sohn bei ihr zurückließ.
Gisela gab ihr Bestes. Sie trug Kürbisse und Kohl in den kalten Schuppen, damit im Winter genug zu essen da war. Felix half, so gut er konnte: er schnitt Kohl, raspelte Karotten und naschte heimlich davon, aus Angst, seine Oma würde es bemerken. Er wuchs heran, doch Sabine kam nicht zurück. Kein Brief, kein Anruf, kein Geld. Um Felix nicht zu verletzen, kaufte Gisela von ihrer Rente Geschenke und erzählte ihm, sie seien von seiner Mutter. Erst kürzlich hatte sie ihm den Baukasten mit Fenstern und Dach gekauft, von dem er so lange geträumt hatte. Felix baute ein kleines Haus, stellte eine Taschenlampe hinein und strahlte: „Oma, schau, wie es leuchtet! Wenn ich groß bin, baue ich uns ein richtiges Haus! Für dich, für mich… und für Mama, falls sie zurückkommt.“ Gisela nickte und verbarg ihre Tränen: „Sie wird zurückkommen, mein Junge. Und du wirst deine große Liebe finden, heiraten, und wir werden alle in deinem Haus wohnen.“
Felix wuchs stark, aber einsam auf. Er wusste, dass er keinen Vater hatte, und dass seine Mutter, deren Foto an der Wand hing, wohl nie zurückkehren würde. Nachbarin Tante Helga gab oft die alten Kleider ihres älteren Sohnes Max an Lukas und Felix weiter. Da Felix größer war, bekam er die besseren Stücke, Lukas trug die abgelegten Sachen. Sie wuchsen wie Brüder auf, während Tante Helga beide gleichbarsch beschimpfte, egal, wer schuld war. Einmal sagte sie zu Lukas, ohne zu bemerken, dass Felix zuhörte: „Was hast du nur mit dem Waisenkind zu schaffen? Kein Vater, keine Mutter – was kann er dir schon beibringen?“ Als sie Felix bemerkte, verstummte sie, doch die Worte hatten ihn bereits verletzt. „Und ihr seid auch nicht besser!“ schimpfte sie. „Ihr habt Mia geweckt, mit euch gibt’s kein ruhiges Leben mehr!“
Mia, Lukas‘ kleine Schwester, war eine echte Rackerin. Doch als sie Felix‘ leuchtendes Häuschen sah, war sie verzaubert. Sie quengelte so lange, bis er ein Bettchen und Stühle für ihre Puppen baute. Felix brummte zwar, bastelte aber geduldig, während Mia stundenlang spielte, als wäre sie in einer Märchenwelt. Oma Gisela lachte: „Endlich ist das Mädchen mal ruhig! Komm, Mia, ich stricke Kleider für deine Puppen, und du hältst die Wolle. Man weiß nie, wofür man das später braucht.“
Als Teenager begann Felix auf dem örtlichen Sägewerk zu arbeiten, schleppte Bretter und sparte jeden Cent. Abends zeErst als er eines Tages die Zeichnungen eines Traumhauses unter dem Bett hervorholte und Oma Gisela mit einem entschlossenen Lächeln sagte: „Ich werde Zimmermann lernen und dieses Haus für uns bauen“, fühlte er zum ersten Mal, dass die Zukunft nicht mehr leer und kalt war.