In einem kleinen Dorf im Norden des Harzes, wo winterliche Schneestürme die Häuser in weiße Decken hüllten, schien Elfriedes Leben nur noch aus Enttäuschungen zu bestehen. Sie und ihr Mann, Wilhelm, hatten sich seit Jahren ein Kind gewünscht, doch das Schicksal blieb unerbittlich. Jedes Gespräch über Kinder endete mit ihren Tränen, und der Gedanke an eine Adoption, der ihr Herz erwärmte, stieß auf Wilhelms taube Ablehnung. Ihre Freundin, Gisela, wagte kaum, ihre Freude zu teilen – sie heiratete bald den gutmütigen Heinrich und träumte von einer großen Familie. Elfriede hingegen zog sich immer mehr in sich zurück, verschlungen von der Sehnsucht nach dem unerfüllten Mutterglück.
Eines späten Abends saß sie allein im dämmrigen Licht ihrer Wohnung. Wilhelm, wie so oft, blieb länger auf Arbeit. Die Einsamkeit war ihr ständiger Begleiter geworden, doch sie klammerte sich noch an einen Funken Hoffnung. Als er endlich heimkam, wagte sie es erneut, das schmerzhafte Thema anzusprechen.
„Willi, Schatz, lass uns nochmal über eine Adoption reden. Wäre es nicht schön, einem Kind ein Zuhause zu geben?“ Ihre Stimme bebte vor Erregung.
„Elfriede, hör auf! Wie oft denn noch?“ fuhr Wilhelm sie an und warf seine Jacke über einen Stuhl.
„Aber wir haben immer noch keine Entscheidung getroffen! Du weißt, wie sehr ich mir das wünsche!“ Ihr Schluchzen drohte, die Worte zu ersticken.
„Das sind keine Puppen, Elfriede! Was, wenn das Kind Säufer als Eltern hat? Bist du darauf vorbereitet?“ Seine Augen funkelten vor Zorn.
„Nicht alle Kinder haben solche Eltern! Soll ich mein Leben allein verbringen?“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Wilhelm seufzte müde und legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Verzeih mir, Liebes. Ich tu, was ich kann“, murmelte er, doch seine Stimme klang hohl.
Nach solchen Gesprächen versank Elfriede in Verzweiflung. Sie weinte sich in den Schlaf, starrte die Decke an und fühlte, wie ihr Leben an ihr vorbeirann. Unterdessen heiratete Gisela, und als sie erfuhr, dass sie ein Kind erwartete, fiel es ihr schwer, Elfriede die Neuigkeit mitzuteilen.
„Glückwunsch, Gisela“, brachte Elfriede mühsam heraus, hinter ihrer Tränen versteckt. Ihr Herz barst vor Schmerz, doch sie wollte der Freundin die Freude nicht nehmen.
Dann, an einem ungewöhnlich ruhigen Abend, zerriss das Knallen der Haustür die Stille. Elfriede fuhr zusammen – Wilhelm kam nie so früh heim. Im Flur blieb sie wie versteinert stehen: Neben ihm standen zwei Kinder – ein Junge von etwa sechs Jahren und ein kleines Mädchen, kaum vier Jahre alt.
„Was soll das?“ Ihre Stimme bebte, ihr Blick irrte zwischen den Kindern und Wilhelm hin und her.
„Das sind meine Kinder. Sie bleiben hier“, erklärte er kalt, ohne sie anzusehen.
Elfriede spürte, wie der Boden unter ihr schwankte. Die Welt drehte sich, und sie krallte sich an der Wand fest.
„Deine?! Wie sollen sie hier bleiben?“ flüsterte sie, angstvoll die Antwort erahnend.
„Genau so! Was ist daran unklar?“ brüllte Wilhelm, und die Kinder begannen zu weinen.
Elfriede sah die Kleinen an: Der Junge hielt seine Schwester fest an der Hand, ihre Augen weit vor Angst. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter und kniete sich vor sie hin.
„Wie heißt ihr denn?“ fragte sie sanft.
„Ich bin Benno, und das ist Lotte“, antwortete der Junge leise und wischte sich die Nase.
„Kommt, ich zeige euch einen Zeichentrickfilm“, sagte Elfriede mit einem gezwungenen Lächeln. Als die Kinder im Wohnzimmer saßen, kehrte sie zu Wilhelm zurück. Er saß da, den Kopf gesenkt, und sah aus, als wäre er um Jahre gealtert.
„Erklär mir alles“, verlangte sie, ihren Zorn mühsam bändigend.
Wilhelm gestand: Nach einem Streit über die Adoption hatte er eine Affäre begonnen. Die Frau hatte ihm diese Kinder geboren, war aber vor kurzem gestorben und ließ sie allein zurück.
„Du kannst mich rausschmeißen, Elfriede, aber ich lasse sie nicht im Stich“, flehte er.
„Und ihre Mutter?“ hauchte sie.
„Es gibt sie nicht mehr“, antwortete er dumpf.
Elfriede keuchte und presste eine Hand gegen den Mund. In diesem Moment wusste sie: Diese Kinder waren unschuldig. Sie würde ihr Leid nicht zulassen. Von da an änderte sich ihr Leben. Elfriede umsorgte Benno und Lotte, und bald verloren sie ihre Angst vor ihr. Sie liebte sie wie ihre eigenen und fand in ihrem Lachen neuen Lebensmut. Mit Wilhelm jedoch wurde alles anders: Unter einem Dach lebend, wurden sie zu Fremden. Sie fragte nicht mehr, wo er die Abende verbrachte – ihr Herz gehörte nun den Kindern.
Gisela war entsetzt, als sie erfuhr, was geschehen war. „Lass sie adoptieren, Elfriede“, riet sie. „Wer weiß, was Wilhelm noch einfällt.“ Elfriede willigte ein. Nach einigem Zureten wurde sie offiziell Bennos und Lottes Mutter. Und diese Entscheidung sollte sich als schicksalhaft erweisen.
Kurz darauf erkrankte Lotte schwer, und die Ärzte konnten keine Diagnose stellen. Sie schlugen einen Gentest vor.
„Ich bin nicht ihre leibliche Mutter“, gab Elfriede zu.
„Dann soll der Vater den Test machen“, erwiderte der Arzt.
Trotz seines Widerstands überredete sie Wilhelm. Als die Ergebnisse kamen, zitterten ihre Hände, während sie ihm die Papiere reichte.
„Willi, Lotte… sie ist nicht deine Tochter“, stammelte sie.
Wilhelms Gesicht lief rot an, seine Züge verzerrten sich vor Wut.
„Hat mich diese Frau etwa mit einem fremden Kind betrogen?!“ brüllte er.
„Leise, Lotte könnte dich hören!“ zischte Elfriede, doch er hörte nicht auf.
„Dann muss Benno auch getestet werden! Bestimmt auch nicht meiner!“
Der zweite Test bestätigte das Schlimmste: Auch Benno war nicht sein Sohn. Wilhelm geriet außer sich.
„Raus mit ihnen! Ins Waisenhaus, egal wohin!“ schäumte er.
Elfriede sah ihn mit eisiger Ruhe an. In diesem Moment wusste sie: Ihre Ehe war tot.
„Das sind meine Kinder, Willi. Ich werde sie großziehen. Und wenn dir das nicht passt, dann verschwinde aus meinem Haus“, sagte sie mit fester Stimme.
Wilhelm ging, die Tür hinter sich zuschlagend. Elfriede blieb mit Benno und Lotte zurück – und zum ersten Mal seit Jahren war ihr Herz nicht von Schmerz, sondern von Hoffnung erfüllt. Sie wusste: Diese Kinder waren ihr Schicksal, und sie würde alles tun, um sie glücklich zu machen.