Nie hätte ich gedacht, meiner Tochter zur Last zu fallen…

**Tagebucheintrag**

Ich hätte nie gedacht, dass ich meiner Tochter eines Tages zur Last fallen würde…

Mein Name ist Friedrich Bauer. Mein ganzes Leben verbrachte ich mit meiner geliebten Frau Margarete. Doch vor vier Jahren verließ sie mich, und ich blieb allein zurück. Oder besser gesagt – nicht ganz allein. Meine Tochter Anika lebte mit ihrer Familie noch in unserem alten Haus am Stadtrand von Leipzig.

Margarete und ich taten alles, um Anika ein gutes Leben zu bieten. Wir erzogen sie mit Liebe, kümmerten uns darum, dass es ihr an nichts fehlte. Jeden Sommer fuhren wir an den Bodensee, genossen die Natur und die gemeinsame Zeit. Anika wuchs heran, studierte und fand einen soliden Job. Später heiratete sie Tobias, und sie bekamen einen Sohn, meinen Enkel Jonas. Margarete und ich waren überglücklich, Großeltern zu sein. Doch ihr Tod zerbrach mir das Herz, und bis heute kann ich diesen Schmerz nicht verarbeiten.

Ich bin 66, und eigentlich fühle ich mich noch fit. Natürlich spüre ich mein Alter – mal schmerzt der Rücken, mal macht der Blutdruck Probleme. Aber ich beschwere mich nicht. Ich lebte weiter in unserem Haus mit Anika, Tobias und Jonas. Es ist nicht groß, nur drei Zimmer, aber gemütlich. Doch dann erklärte Anika eines Tages, ich sei zur Belastung geworden. Jonas macht bald Abitur, und laut ihr wird es im Haus zu eng.

Ich merkte bald, wie meine Anwesenheit die Familie störte. Entweder war der Fernseher zu laut, oder ich nahm zu viel Platz im Wohnzimmer ein, oder ich störte Tobias beim Homeoffice. Um nicht im Weg zu stehen, verbrachte ich die Tage draußen – spazierte im Park, ging am Rhein angeln oder saß auf einer Bank am Marktplatz. Doch selbst das half nicht. Anika war trotzdem unzufrieden.

Eines Tages kam das unvermeidliche Gespräch. Sie schlug vor, ich solle in ein Seniorenheim ziehen. Ich war geschockt. *„Anika, wie kannst du das sagen? Das ist mein Haus! Ich habe mein Leben lang gearbeitet, um es zu halten. Warum kannst du nicht zu Tobias’ Eltern ziehen? Die haben eine große Wohnung im Zentrum und leben allein!“*

Sie wurde wütend: *„Mit seinen Eltern komme ich nicht klar! Seine Mutter und ich sind wie Hund und Katze. Und du, Vater, musst verstehen – wir brauchen Platz. Jonas geht bald studieren, und du… du bist im Weg!“*

Ich versuchte zu widersprechen: *„Anika, man kann sich mit jedem arrangieren, wenn man will. Du willst mich nur loswerden, um das Haus für dich zu haben!“*

Sie gab mir drei Tage Zeit und drohte, mich im Zweifel in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Ich war entsetzt. Wie konnte meine eigene Tochter so etwas tun? Aus Angst stimmte ich schließlich zu.

Noch am selben Tag brachte sie mich in ein Altersheim am Stadtrand. Mein Zimmer war klein, aber sauber. Ich versuchte, nicht zu verzweifeln – ging täglich in den Park, beobachtete die Vögel. Dort traf ich auf Helga Schneider. Sie sprach mich an, weil ich neu war.

*„Sie sind erst seit Kurzem hier, oder? Ich habe Sie noch nie gesehen.“*
*„Ja, erst eine Woche.“*
*„Auch zur Last geworden?“*, fragte sie mit bitterem Lächeln.
*„Woher wissen Sie das?“*
*„Mir ging es genauso. Ich bin Helga. Und Sie?“*
*„Friedrich.“*

Wir kamen ins Gespräch. Wir hatten viel gemeinsam – beide hatten unsere Partner verloren, beide fühlten uns von unseren Kindern verraten. Helga erzählte, dass ihr Sohn und ihre Tochter sie seit zwei Jahren nicht besucht hatten. Wir stützten uns gegenseitig, und ihre Gesellschaft machte die Tage erträglich.

Ein Jahr verging. Eines Tages hörte ich im Park eine vertraute Stimme: *„Onkel Friedel? Was machen Sie hier?“* Es war Lisa, eine Freundin von Anika. Sie starrte mich fassungslos an.

*„Ich wohne hier, Lisa. Wie geht’s Anika? Sie meldet sich nie.“*
Lisa runzelte die Stirn: *„Anika sagte, Sie seien aufs Land gezogen, hätten sich ein Häuschen gekauft. Was tun Sie dann hier?“*
*„Sie hat dich angelogen, Lisa. Für sie war ich nur Ballast, also hat sie mich hier abgeschoben.“*

Lisa, Ärztin von Beruf, war nur vertretungsweise im Heim. Zwei Wochen später kam sie zurück. Sie erzählte, dass sie kürzlich ihre Mutter verloren hatte und nun ein leer stehendes Haus in einem Dorf bei Leipzig besaß.

*„Onkel Friedel, ziehen Sie doch dorthin. Das Haus ist solide. Ich habe keine Familie, es wäre schade, wenn es verfällt. Sie könnten einen Garten anlegen, angeln im Fluss. Wollen Sie?“*

Ich war gerührt von ihrer Güte. Meine eigene Tochter hatte mich verstoßen, doch Lisa, fast eine Fremde, bot mir eine Zukunft. *„Lisa, darf ich Helga mitnehmen? Auch ihre Kinder haben sie vergessen.“*
*„Natürlich! Sie soll ihre Sachen packen.“*

Helga willigte sofort ein. Wir fuhren mit Lisa ins Dorf. Das Haus war traumhaft – geräumig, mit großem Garten und Blick auf den Wald. Lisa sagte lächelnd: *„Der Fluss ist voller Fische, und im Wald gibt es Pilze. Genießt es!“*

Vor ihrer Abreise bat ich sie: *„Wenn du Anika siehst, sag ihr nicht, wo ich bin. Sie hat mich hintergangen, und ich will sie nie wiedersehen. Aber du, Lisa, besuch uns oft. Wir freuen uns immer!“*

Drei Jahre sind vergangen. Helga und ich leben in Frieden. Wir bestellen den Garten, halten Hühner, sogar ein paar Kaninchen. Lisa kommt oft vorbei, bringt kleine Geschenke und Stadtneuigkeiten. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie uns ein neues Leben schenkte. Jetzt haben wir ein Zuhause, Ruhe und die Gewissheit, dass es noch Güte in dieser Welt gibt.

**Die Lektion? Manchmal kommt Hilfe von denen, von denen man es am wenigsten erwartet – und Familie ist nicht immer das, was das Blut verbindet, sondern das, was das Herz erwärmt.**

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