**Tagebucheintrag – Ein unerwarteter Besuch**
Es war ein ruhiger Samstagabend in München. Mein Mann, Markus, war schon bei Sonnenaufgang mit seinen Freunden zum Angeln gefahren. Ich, Lina, blieb allein zu Hause und freute mich auf einen seltenen Tag der Ruhe. Unsere Tochter verbrachte das Wochenende bei ihrer Oma, und ich hatte meine beste Freundin Anna eingeladen. Seit dem Frühjahr hatten wir uns kaum gesehen – Arbeit, Haushalt, Familie. Heute sollte endlich der perfekte Tag für Tee und ein Schwätzchen in unserer gemütlichen Wohnung werden. Doch kaum hatte ich den duftenden Tee eingeschenkt, klingelte es hartnäckig an der Tür – einmal, zweimal, dreimal. Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir auf: Wer konnte das sein?
Ich öffnete die Tür und erstarrte. Vor mir stand meine Schwiegermutter, Helga Schneider, mit strengem Gesichtsausdruck. „Guten Tag, Lina. Du siehst ja gar nicht erfreut, mich zu sehen. Wo ist Markus?“ begann sie, ohne auch nur zu grüßen. Ich versuchte, meine Verärgerung zu verbergen: „Er ist heute Morgen mit seinen Freunden zum Angeln gefahren. Für zwei Tage, mit Übernachtung.“ Helga blinzelte misstrauisch: „Mit Übernachtung? Und du lässt ihn ziehen? Hast du wenigstens geprüft, ob er eine warme Jacke eingepackt hat? Der Frühling ist noch kalt!“
Ich zuckte mit den Schultern: „Er hat sich selbst vorbereitet. Ich habe ihm Essen gemacht, wie er es wollte.“ Meine Schwiegermutter runzelte die Stirn: „Essen? Und was hast du ihm gegeben?“ „Belegte Brote, Kartoffeln, Frikadellen, Schmalz, Tee in der Thermoskanne, Kaffee“, zählte ich auf. „Und warme Socken? Ersatzsocken?“ bohrte Helga weiter. „Nein, die habe ich ihm nicht gegeben. Wenn er welche braucht, hätte er sie selbst eingepackt“, antwortete ich ruhig, doch innerlich kochte ich bereits vor Wut.
„Eigentlich bin ich gekommen, um über deine Fürsorge für meinen Sohn zu sprechen“, verkündete sie und warf Anna einen vielsagenden Blick zu, die verlegen am Tisch saß. „Reden Sie ruhig, Helga. Anna ist auch verheiratet, es könnte sie interessieren“, sagte ich und bemühte mich, die Fassung zu wahren. Meine Schwiegermutter begann: „Fangen wir mit der Ernährung an. Was hat Markus letzte Woche am Samstagabend gegessen?“
Ich überlegte kurz: „Letzten Samstag hat er mit seinen Freunden Fußball geschaut. Sie haben Pizza bestellt, Chips, Nüsse und Bier getrunken.“ Helga rang die Hände: „Pizza? Chips? Konntest du nicht etwas Ordentliches kochen? Suppe, Frikadellen mit Kartoffelpüree?“ „Ich habe gekocht und sie gefragt, aber sie wollten nicht“, erwiderte ich. „Und es wäre dir zu schwergefallen, ihnen einfach Teller ins Wohnzimmer zu bringen?“ empörte sie sich.
Meine Wangen brannten: „Ich bin kein Dienstmädchen. Ich habe angeboten – sie haben abgelehnt. Also was willst du von mir?“ Helga hob die Stimme: „Was ich will? Wenn Markus sich so ernährt, ruiniert er bald seine Gesundheit! Du bist seine Frau, du trägst Verantwortung! Erinnerst du dich noch, wie er im Winter ohne Mütze rausging und dann eine Ohrenentzündung bekam?“
Jetzt hielt ich nicht mehr zurück: „Helga, gehen Sie doch bitte in den Flur! Da liegen zwei Mützen von Markus – eine gestrickte und eine mit Fell. Soll ich ihm jeden Morgen selbst eine aufsetzen? Ihr Sohn ist ein erwachsener Mann, 34 Jahre alt! Ich achte darauf, dass unsere Tochter warm angezogen ist, aber Markus kann sehr wohl für sich selbst sorgen!“
Doch meine Schwiegermutter ließ nicht locker: „Genau das meine ich! Du achtest nicht auf ihn! Im Flur hängt deine neue Jacke, aber Markus trägt seine alte schon seit vier Jahren! Dir kaufst du etwas, aber für ihn nichts? Oder gibst du das ganze Geld für dich aus?“ Ich presste die Zähne zusammen: „Ich hatte eine Prämie bekommen und habe mir eine Jacke und unserer Tochter neue Stiefel gekauft. Die alten waren ihr zu klein. Markus habe ich eine neue Jacke angeboten, aber er sagte, er wolle lieber eine Angelrute und Ausrüstung kaufen. Seine Entscheidung. Und überhaupt, hör auf, dich in unser Leben einzumischen! Ich bin seine Frau, nicht seine zweite Mutter. Ich werde ihn nicht erziehen, nur damit er mich nicht mit dir verwechselt!“
Nach einigen gemurmelten Worten über Undankbarkeit trank Helga noch zwei Tassen Tee und verschwand endlich. Anna, die die ganze Zeit still gewesen war, atmete erleichtert aus: „Lina, wie hältst du das aus? Ich mache meinem Thomas ständig Vorwürfe: Wechsle das Hemd, putz die Schuhe, wasch das Auto. Und hätte er statt einer Jacke Angelausrüstung gekauft, hätte ich ihm eine Szene gemacht!“
Ich lächelte: „Warum denn? Willst du ihn umerziehen? Es gibt ein Sprichwort: Wie der Junge, so der Mann. Das gilt für Männer. Entscheide einfach, ob du mit ihm leben willst oder nicht. Ständiges Nörgeln zerstört eine Beziehung. Kocht er den Reis falsch – gibt es halt Brei statt Pilaw. Kauft er billige Maultaschen – dann isst du sie eben. Ach, übrigens, hast du unsere Lichtschalter gesehen?“
Anna stutzte: „Welche denn?“ „Schau mal“, sagte ich und deutete darauf. Anna trat näher, sah genauer hin und stutzte: „Die sind ja verkehrt herum eingebaut!“ Ich lachte: „Markus hat sie selbst angeschlossen. Ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. Er ist zufrieden, und ich meckere nicht. Warum die Stimmung verderben?“
Anna dachte nach: „Streitet ihr euch denn überhaupt nie?“ Ich schüttelte den Kopf: „Doch, natürlich. Neulich sah Markus, wie die Tochter seines Kollegen beim Eiskunstlauf-Wettbewerb auftrat. Plötzlich wollte er unbedingt unsere Sophie aufs Eis schicken. Wir mussten sie gemeinsam bremsen. Sophie tanzt leidenschaftlich gerne, aber Eiskunstlauf bedeutet Verletzungen und Stress. Sie sagte zu ihm: ‚Papa, komm lieber zu meinem Tanzauftritt, dann filmst du es und zeigst es deinen Kollegen.‘ Es ist ein Unterschied, ob man gemeinsam entscheidet oder ständig herumnörgelt: Das ist falsch, jenes nicht richtig.“
Anna seufzte: „Weißt du, mein Bruder hat sich deswegen scheiden lassen. Seine Frau und deren Mutter haben ihn ständig kritisiert: Wie er sitzt, wie er isst. Erst flüchtete er zu unseren Eltern, dann verließ er sie ganz. Deine Schwiegermutter scheint aus demselben Holz geschnitzt zu sein. Aber ist Markus denn glücklich mit dir?“
Ich lächelte: „Scheinbar schon. Und ich bin glücklich, dass er selbst entscheidet, was er anzieht oder wofür er sein Geld ausgibt. Lieber lasse ich ihn angeln, als ihn mit einer Mütze zu erdrücken.“