Mein 35-jähriger Sohn lebt noch bei mir und fordert viel von mir. Freunde raten mir, ihn rauszuwerfen, aber ich bin unsicher.

Mein 35-jähriger Sohn lebt immer noch in meinem Haus und hängt mir wie ein Klotz am Bein. Freunde raten mir, ihn rauszuschmeißen, aber ich weiß einfach nicht, wie ich den Mut dafür aufbringen soll.

Ich heiße Ingrid Bauer und wohne in Bamberg, wo sich die fränkischen Gassen gemütlich um den Fluss schlängeln. Heute Morgen bin ich wieder vor dem Wecker aufgewacht, um das Haus aufzuräumen, während mein Sohn Jannik noch schläft. Er ist 35 und wohnt schon eine halbe Ewigkeit bei mir. In der Küche türmt sich das schmutzige Geschirr, im Wohnzimmer liegen seine Sachen verstreut herum – als ständige Erinnerung daran, dass er hier feststeckt wie ein Auto im Stau. Als hätte jemand auf Pause gedrückt und vergessen, weiterzuspielen. Ich möchte ihm sagen: „Es ist Zeit, dein eigenes Leben zu leben.“ Doch jedes Mal bleibt mir das Wort im Hals stecken, und mein Herz wird schwer.

Als Jannik klein war, zog ich ihn alleine groß. Mein Mann verließ uns, und ich musste gleichzeitig Mutter, Vater und Brotverdienerin sein. Ich sorgte mich um jeden Kratzer auf dem Spielplatz, jede schlechte Note in der Schule. Ich tat alles, damit er sich in unserem Zuhause sicher fühlte. Doch mit den Jahren wurde dieser Schutz zu seinem goldenen Käfig. Sein Körper wuchs, aber seine Seele blieb ein Kind, das sich unter meinem Flügel verkroch. Irgendwann merkte ich nicht mehr, wie ich ihn zu einem ewigen Junge gemacht hatte, der darauf wartet, dass Mama alles regelt.

Neulich bat mich eine Freundin, beim Umräumen alter Möbel zu helfen. Ich rief Jannik: „Kannst du mal mit anpacken?“ Er zuckte nur mit den Schultern: „Mama, ich hab grad zu tun, vielleicht nächstes Mal?“ Dann vergrub er sich wieder in seinem Computer und seinen Endlos-Spielen. In diesem Moment sah ich unser Leben wie in einem Spiegel: Ich würde alles für ihn tun, und er lebt in der Illusion, dass Mama schon alles richtet. Meine Freundinnen meinen wie aus einem Mund: „Ingrid, es ist dein Haus, deine Regeln! Schmeiß ihn raus – anders lernt er es nie.“ Ihre Worte sind hart, aber wahr. Doch wenn ich mir vorstelle, wie ich die Tür hinter ihm zuschlage, wird mir eiskalt. Das ist doch noch derselbe Junge, der mit aufgeschürften Knien zu mir rannte, der weinte, wenn ihn die anderen hänselten, der auf mich wartete, damit wir zusammen zu Abend essen.

Langsam merke ich, wie ich zur nörgelnden Oma werde. Jeden Morgen murmele ich: „Wieder den Müll nicht rausgebracht, wieder alles vollgeräumt.“ Der Mutterinstinkt kämpft mit der Müdigkeit, weil ich alles alleine schultern muss. Jannik hat keinen festen Job – er jobbt hier und da, verliert aber schnell die Lust. Geld, wenn überhaupt welches da ist, fließt in seine Hobbys. Es beschämt mich, jeden Cent umzudrehen, und noch mehr, dass er nicht mal versucht, mir zu helfen.

Vor ein paar Tagen wagte ich ein Gespräch. „Jannik, so kann es nicht weitergehen“, sagte ich mit zitternder Stimme. „Die Zeit läuft, und du trittst auf der Stelle. Ich bin nicht ewig – was wird, wenn ich nicht mehr bin?“ Er runzelte die Stirn, stand wortlos auf, knallte die Tür zu und schloss sich in seinem Zimmer ein. Aus dem Dialog wurde nichts, und in mir blieb das Gefühl, ihn zu verraten. Doch die Gedanken lassen mich nicht los: Vielleicht haben meine Freundinnen recht? Vielleicht muss ich ihn gehen lassen, auch wenn es mir das Herz bricht? Andere Frauen in meinem Alter haben längst Enkelkinder, während ich ihm noch Schnitzel mache, Hemden bügle und leeren Versprechen lausche, dass sich „morgen“ alles ändert. Dieses „Morgen“ zieht sich seit Jahren hin. Ohne meinen Schritt wird sich nichts bewegen.

Manchmal denke ich, es geht nicht darum, ihn „rauszuschmeißen“, sondern die richtigen Worte zu finden, die in ihm den Wunsch wecken, selbstständig zu leben. Aber wie sagt man das, ohne zu verletzen? Er ist empfindlich, voller Ängste und Vorwürfe. Vielleicht hat meine übertriebene Fürsorge ihn an dieses Haus gefesselt. Aber ich bin auch nur ein Mensch – ich bin müde, ich will Ruhe, ich will nicht länger die Verantwortung für einen erwachsenen Sohn tragen. Heute, während ich am Spülbecken stand, erinnerte ich mich daran, wie der kleine Jannik mir half, die Einkäufe wegzuräumen. Er war vielleicht fünf, gab sich Mühe, auch wenn es noch holprig war. Damals waren wir ein Team. Jetzt ist er ein Mühlstein um meinen Hals, und ich weiß nicht, wie ich ihn loswerde.

Die Zeit wartet nicht. Ich glaube, dass Jannik irgendwann den Mut findet, in eine Welt ohne mein Sicherheitsnetz zu treten. Aber dafür muss ich den Schritt wagen, den ich am meisten fürchte. Wie finde ich diesen Mut? Ich weiß es nicht. Doch ich verstehe: Es ist nicht grausam, es ist meine Pflicht – ihm die Chance zu geben, erwachsen zu werden, selbst wenn es Tränen und Vorwürfe gibt. Was passiert, wenn ich es endlich ausspreche? Vielleicht geht er wütend und wirft mir „Verrat“ vor. Vielleicht findet er seine Freiheit und sagt Jahre später „Danke“. Eins ist sicher: Ich kann diesen Wagen nicht mehr ewig ziehen. Dieser Gedanke – eine Mischung aus Angst und Erleichterung – pocht in meiner Brust. Mutterliebe heißt auch, irgendwann zu sagen: „Geh deinen eigenen Weg.“ Und das muss ich tun – für ihn und für mich.

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