Als ich sieben Jahre alt war, bekam mein Vater in seiner zweiten Familie einen Sohn, den er nach sich selbst benannte: Stefan. Stefan Stefanowitsch.
Eines Tages kam mein Vater mit dem Kleinen auf dem Arm in den Hof meiner Oma (Mutters Mutter). Der dunkelhaarige, dunkeläugige Winzling schmatzte heftig an seinem Schnuller und starrte uns alle mit seinen riesigen Augen an. Die Spitzenhaube mit den Rüschen ließ kaum erahnen, dass es ein Junge war.
„Steffi, das ist deine Schwester“, sagte mein Vater knapp.
Kürze war eine seiner Stärken. Mit einem Satz stellte er den anderthalbjährigen Brocken vor die Tatsache einer Verwandten. Omas mütterlicher Instinkt besiegte das tiefe Erstaunen, und sie nahm Steffi auf den Arm. So betrat Stefan Stefanowitsch am 15. September 1983 unsere rein weibliChe Runde. Mama nannte ihn nur „Steffi“, Oma „Schwarzäugchen“.
Bei Oma war alles klar. Ihr fehlte jedes Gen für Lieblosigkeit.
Doch meine Mutter verblüffte mich. Ihr Groll gegen Papa war so groß, dass er oft in glühenden Hass umschlug – bis mein jüngerer Halbbruder auftauchte.
Steffi kam schwächlich zur Welt, mit einem angeborenen Herzfehler. Man pflegte ihn gesund, doch die Krankheit meldete sich oft. Schon als Kind war er Stammgast in den Kinderkardiologien. Doch trotz aller Prognosen kämpfte er sich durch.
Wenn Papa ihn zu uns brach, begann im Haus das Chaos. Der lebensfrohe Knirps riss alle mit. Er verschlang Omas Kuchen und Mamas Maultaschen, baute inmitten des Wohnzimmers Burgen aus Kissen. Federn wirbelten durch die Luft. Die Katzen blieben bis zum Abend verschwunden. Gelächter hallte über unser ganzes Grundstück. Mama sagte immer: „Bring ihn öfter mit.“
Dank meinem Bruder konnte Papa unseren Kontakt aufrechterhalten. Dank Steffi wurde Mama weicher und geduldiger mit ihm. Es war nicht Mitleid. Steffi war einfach nicht zu widerstehen. Er umarmte uns, schlang Ärmchen und Beinchen um uns wie Mogli seine Python, und grinste von einem Ohr zum anderen. „Tante Nina, ich hab dich lieb. Oma Lotte, ich hab dich lieb. Paps, ich hab dich lieb.“
Einmal fuhr Papa mit uns nach München, in den Englischen Garten. Die Kastanien blühten, der Park versank im Weiß. Damit wir Steffi nicht verloren, kaufte Papa ihm im Kaufhof ein Spielgewehr mit Batterien. Steffi drückte ab, das Ding knatterte, und wir wussten immer, wo der „Knirps“ steckte. Doch dann ging der Akku leer. Papa, mit mir auf den Schultern, rannte durch den Kaufhof und brüllte: „Tochter, such gut, wo der Bengel ist!“
Wir fanden Steffi in der Handtaschenabteilung, wo er drei Verkäuferinnen um den Finger wickelte. Er machte Kulleraugen und mampfte die „Bonbons, die die Tanten ihm gaben“.
Als er älter wurde, mussten wir zusammen „Besserungsarbeit“ bei Papa und Onkel leisten. Kaum ein Tag verging, ohne dass unsere Erzieher für unsere Streiche büßten. Doch am Ende des Sommers wollten wir nie nach Hause! Mit Gebrüll und Tränen brachte Papa uns am 29. August zurück.
An einem Silvesterabend fuhr Papa uns zum Stadtweihnachtsbaum. Er band zwei Schlitten zusammen und kurvte durch den Park. Ich höre noch unser Lachen und die Schneebälle, die Papa auf uns warf. Doch das Fest endete in der Klinik. Plötzlich sackte Steffi lachend in den Schnee und rang nach Luft. Sein Herzfehler meldete sich.
In der Notaufnahme saßen wir alle: ich, Papa, Steffis Mama im Taxi, und dann stürmten meine Mama und Oma herein. Wir starrten uns wortlos an. Danach kam Steffi lange nicht mehr. Seine Mama wollte kein „seltsames Zusammenleben“.
Unsere Frauengruppe trauerte. Papa kam allein. Oma und Mama schwiegen verständnisvoll.
Nach vier Monaten donnerte es plötzlich am Gartentor, und eine Stimme rief: „Ich bin da, wo seid ihr? Oma!!!“ Ich sehe noch, wie Mama und Oma Steffi vom Zaun zerrten und sein Fahrrad in den Hof schleppten. Wir drei zerzausten und knuddEr stand da, lachte uns an, und in diesem Moment wussten wir alle – egal was kommt, diese Liebe bleibt unzerstörbar.