Als Tamara Schmidt mit ihrem einjährigen Sohn allein zurückblieb, fühlte es sich an, als wäre ihre Welt zusammengebrochen. Ihr Mann hatte sie ohne einen Cent zurückgelassen, ohne Reue, und sogar seinen eigenen Sohn im Stich gelassen. Fast zwanzig Jahre waren seitdem vergangen. In all dieser Zeit trug Tamara alles allein – den Job, den Haushalt, die Erziehung ihres Sohnes. Mehr als alles andere wollte sie, dass Felix zu einem echten Mann heranwuchs, nicht wie sein Vater. Und genau das wurde er.
Der Junge schaffte es ohne Beziehungen auf die Medizinische Hochschule, bekam einen Studienplatz und absolvierte sein Studium mit Bravour. Schnell fand er eine gute Stelle, und Tamara war stolzer als je zuvor. Nur eines trübte ihr Herz: Felix war allein. Keine Andeutung einer Freundin, kein Gespräch über sein Liebesleben.
„Wann bringst du mir endlich eine Schwiegertochter nach Hause?“, fragte sie lächelnd.
„Mama, es ist noch zu früh. Erst muss ich richtig auf eigenen Beinen stehen“, wich er aus.
Eines Tages kam ihre Nachbarin und langjährige Freundin Gisela vorbei, die Tamara einst beim Aufziehen von Felix geholfen hatte.
„Meine Enkelin Anna ist genauso. Hübsch, klug, und trotzdem allein. Erinnerst du dich, wie sie und Felix als Kinder miteinander gespielt haben? Vielleicht sollten sie sich mal wiedersehen?“
Ein paar Wochen später kam Anna für das Wochenende zu Besuch. Gisela lud zum Kaffee ein, auch Tamara und Felix waren dabei. Die beiden unterhielten sich, lachten und erinnerten sich an alte Zeiten. Es war, als hätte das Schicksal selbst sie zusammengeführt – warm und vertraut. Danach blieb Felix häufiger weg, verbrachte die Wochenenden anderswo. Tamara hoffte: Vielleicht war es Liebe?
„Felix, trifftst du dich mit Anna?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein, Mama. Wir haben uns seitdem nicht mehr gesehen. Ich bin mit Lena zusammen.“
Tamara war verwirrt. Eine fremde Lena, noch dazu mit einem Kind.
„Mama, sie ist wunderbar. Aber ich habe sie noch nicht mitgebracht – ich fürchte, du würdest sie nicht akzeptieren. Und sie hat kaum Zeit, kümmert sich um ihren Sohn.“
„Wer ist diese Lena? Welcher Sohn? Sie nutzt dich aus, Felix!“, rief Tamara empört. „Du bist mein Einziger, und ich werde nicht zulassen, dass man dich betrügt.“
Es kam zum Streit. Felix packte seine Sachen und ging. Eine Woche lang sprachen sie nicht. Bis sie sich zufällig im Park trafen. Felix spazierte mit einem etwa fünfjährigen Jungen.
„Felix, er sieht dir so ähnlich!“, entfuhr es Tamara.
„Das ist Tom, mein Sohn. Lena hat ihn noch während des Studiums bekommen. Damals hatte ich Angst. Heute weiß ich, wie dumm das war.“
Tamaras Herz wurde weich. Sie gingen lange spazieren, redeten. Felix schlug vor, sie mit Lena bekannt zu machen.
Den ganzen Tag über bereitete Tamara alles vor. Als Lena dann abends ihre Schwelle betrat, war sie überrascht: freundlich, herzlich, aufmerksam. Der Abend verlief unerwartet harmonisch. Doch als Lenas Telefon klingelte und „Mama“ auf dem Display erschien, erbleichte Tamara. Das Foto zeigte dieselbe Frau, der einst ihr Mann gefolgt war.
„Felix, wer ist diese Frau?“, flüsterte sie.
„Das ist Lenas Mutter … Wieso?“
„Mein Sohn … Sie ist diejenige, mit der dein Vater damals durchgebrannt ist.“
Felix erstarrte:
„Heißt das … Lena und ich … sind wir Geschwister?“
„Nein, mein Junge. Ich war damals von einem anderen schwanger. Dein Vater erfuhr davon und verließ uns. Er ist nicht dein Vater.“
Mit bebenden Händen rief Tamara Lenas Mutter an. Das Gespräch war schwer, aber ehrlich. Zwei alleinerziehende Mütter, die vieles begriffen. Die Vergangenheit war vorbei. Jetzt zählte nur die Gegenwart – ihr Enkel Tom und das Glück ihrer Kinder.
Heute sind Felix und Lena ein Paar. Und Tom hat zwei Omas, die sich bei jedem Treffen umarmen, anstatt zu streiten. Das Schicksal hat alles wieder ins Lot gebracht. Tamara und Claudia sehen sich oft, erinnern sich lächelnd an die Vergangenheit – denn sie gehören nun zu einer großen Familie.
Manchmal führt der Weg zum Glück über unerwartete Umwege – und am Ende findet jeder seinen richtigen Platz.