Mit 62 verliebt: Was ich zufällig über ihn erfuhr

Ich war 62, als ich mich verliebte… und dann aus Versehen sein Gespräch mit der Schwester hörte.

Nie hätte ich gedacht, dass man mit über sechzig noch so verliebt sein kann wie mit zwanzig. Dieses Kribbeln in den Fingern, das sanfte Erröten der Wangen. Meine Freundinnen lachten, schüttelten die Köpfe, aber ich strahlte von innen heraus. Sein Name war Friedrich, ein ruhiger, gebildeter Mann mit samtiger Stimme und gutmütigen Augen. Wir trafen uns zufällig im Stadthaus bei einem Kammerkonzert. In der Pause stand er plötzlich neben mir, und so begann ein Gespräch – als hätten wir uns schon immer verstanden.

Dieser Abend war erfüllt von einer besonderen Leichtigkeit. Leichter Sommerregen draußen, der Duft nasser Linden, Pfützen auf dem Pflaster… Auf dem Heimweg fühlte es sich an, als öffne sich ein neues Kapitel in meinem Leben.

Mit Friedrich traf ich mich oft. Wir gingen ins Theater, in Cafés, sprachen über Bücher und Filme. Er erzählte von seinem Leben, ich von meinem – vom Witwendasein, davon, wie lange Einsamkeit einen lehrt zu schweigen und zu ertragen. Dann schlug er vor, in sein Häuschen am See zu fahren. Ich sagte zu.

Der Ort war märchenhaft: Kiefern, die bis zum Himmel reichten, stilles Wasser, Sonnenlicht, das durch das Blätterdach fiel. Wir hatten ein paar wundervolle Tage. Doch eines Nachts musste Friedrich plötzlich zurück in die Stadt – seine Schwester hatte Probleme. Ich blieb allein. Später vibrierte sein Handy auf dem Tisch. Auf dem Display stand: *Gertrud*. Ich rührte es nicht an, doch ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf.

Als er zurückkam, fragte ich vorsichtig, wer Gertrud sei. Friedrich lächelte leicht: seine Schwester. Sie sei krank, habe Schulden, und er helfe ihr. Alles klang überzeugend. Doch von da an war er immer öfter weg, als zöge es ihn fort von mir. Die Anrufe von *Gertrud* häuften sich. Ich konnte es nicht länger ignorieren. Aber ich schwieg. Aus Angst, das zerbrechliche Glück zu zerstören.

Eines Nachts wachte ich auf. Er war nicht da. Durch den leicht geöffneten Türspalt hörte ich seine Stimme aus der Küche:

»Gertrud, bitte, halt noch ein wenig durch… Nein, sie weiß nichts. Sie ahnt nichts. Ich regel das, ich brauche nur noch etwas Zeit…«

Ich erstarrte. *»Sie weiß nichts«* – das musste ich sein. Aber was wusste ich nicht? Was verbarg er? Ich legte mich wieder hin und tat so, als schliefe ich, als er zurückkam. Mein Herz hämmerte wie wild.

Am nächsten Morgen ging ich in den Garten – angeblich, um Beeren zu pflücken, in Wahrheit, um Luft zu holen und nachzudenken. Ich rief meine Freundin an:
»Helga, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich glaube, er hält etwas vor mir geheim. Ich habe Angst davor, zu erfahren, dass… wieder einmal jemand mich belügt.«

Helga schwieg, dann sagte sie nur:
»Frag ihn. Ohne Wahrheit kannst du nicht mit ihm leben. Und wenn die Wahrheit wehtut – dann weißt du wenigstens, woran du bist.«

Als Friedrich zurückkam, fasste ich mir ein Herz.

»Friedrich, ich habe dein Gespräch gehört. Dass ich nichts ahne. Bitte sag mir, was los ist.«

Er erbleichte. Dann seufzte er schwer:
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anlügen. Gertrud ist wirklich meine Schwester. Sie hat furchtbare Schulden. Ich habe alles verpfändet – sogar dieses Haus. Ich hatte Angst, du würdest gehen, wenn du es erfährst. Ich wollte dich einfach… nicht verlieren.«

Mir brannten die Augen. Ich hatte Schlimmeres erwartet: ein Doppelleben, Betrug, Untreue. Doch stattdessen hatte er versucht, seine Schwester – und uns – zu retten.

»Ich gehe nicht«, flüsterte ich. »Ich weiß zu gut, wie es ist, allein zu sein. Wenn du mir vertraust – wir schaffen das. Zusammen.«

Er umarmte mich fest. Und zum ersten Mal seit langem spürte ich, dass es sich gelohnt hatte, mein Herz wieder zu öffnen. Sprachen redeten wir gemeinsam mit Gertrud. Ich half ihr mit den Papieren, fand einen Anwalt. Wir wurden mehr als ein Paar – wir wurden eine Familie.

Ich bin zweiundsechzig. Aber jetzt weiß ich: Das Alter ist kein Hindernis, wenn Liebe in einem lebt. Hauptsache, man hat den Mut, auf sein Herz zu hören. Und jemanden an der Seite, mit dem man sogar die Angst überwinden kann. Denn nur gemeinsam – und mit der Wahrheit – ist Glück möglich.

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