Der Schmerz der Entdeckung: Als der Junge seinen Stiefvater hasste.

Markus hasste seinen Stiefvater, als er erfuhr, dass dieser nicht sein leiblicher Vater war.
Es kam ihm sogar so vor, als könne er sich dunkel erinnern, wie er und seine Mama früher allein lebten – bevor dieser fremde Mann in ihr Haus einzog, den er plötzlich „Papa“ nennen sollte.
Aber was für ein Papa war das schon? Ein Hochstapler. Ein Lügner. Und Mama? Eine Lügnerin, weil sie die Wahrheit verschwiegen hatte. Nicht irgendeine Wahrheit. *Die* Wahrheit.

„Markl, versteh doch… Wir wollten es dir sagen, aber der richtige Moment kam nie…“

Der Stiefvater hockte sich vor Markus hin. Seine Mutter setzte sich auf sein Bett und nickte schweigend.
„Ihr habt mich angelogen“, murmelte Markus mit gesenktem Kopf.
„Wir haben nicht gelogen… na ja, eigentlich doch. Aber du warst noch so klein. Nicht mal zwei Jahre alt, deine Mama und ich heirateten, und du nanntest mich gleich Papa… Ich habe dich adoptiert – damit alles richtig ist. Wir wollten es dir sagen, wenn du älter bist, aber dann…“
„Der Moment kam nie? Zum Lügen aber schon! Lügen geht also immer?“ Markus spürte, wie ihm die Tränen kamen. Doch weinen? Unmöglich.

„Ich hab’s verstanden. Ihr wolltet nur mein Bestes. Und Oma auch – deshalb hat sie mit der Nachbarin über mich geredet und nicht mit mir… Und ich habe alles gehört. Geht jetzt. Ich will schlafen.“
„Markl, wir lieben dich. Ich liebe dich. Hörst du?“
Der Stiefvater streckte die Hand aus, wagte aber nicht, ihn zu berühren. Seine Mutter strich ihm rhythmisch über die Schulter, versuchte, seinen Blick zu erwischen.
„Ich verstehe. Ich euch auch… Kann ich jetzt schlafen?“

Die Eltern verließen das Zimmer, schlossen leise die Tür. Markus vergrub sein Gesicht im Kissen und weinte lautlos.
Am nächsten Morgen starrte er lange in den Badezimmerspiegel.
„Tja… wirklich kein Ähnlichkeit.“ Er betrachtete sein Profil, zwinkerte. „Und die Nase ist ganz anders.“
Die Nachbarin der Oma hatte recht gehabt – *„Sieht ihm gar nicht ähnlich.“*
*„Wem denn, dem Jungen? Sicher nicht euch!“*, hatte sie beim Kaffeetrinken gefragt. Und Oma hatte geplaudert… Und Markus hatte es zufällig gehört.

Diese Erkenntnis brannte – als hätte man ihm einen Eimer unsichtbaren Eiswassers über den Kopf geschüttet, der alle Farben aus seiner Welt spülte.
Er schämte sich sogar, dass er gelauscht hatte. Er konnte Oma nicht mehr in die Augen sehen. (*Oma?* Sie war doch gar nicht seine Oma. Niemand.)

Er rief seine Mutter an und bat sie, ihn früher abzuholen. Sie kam, sah ihn nur an – und verstand sofort.
Dann kam *das* Gespräch zu Hause, qualvoll, nutzlos…
Markus beschloss, nie wieder darüber zu reden.

Er wusste nicht, wie er seinen Stiefvater nun nennen sollte – also nannte er ihn gar nicht.
Zu Oma fuhr er nur noch an Feiertagen, mit seinen Eltern.
So lebten sie nun… größtenteils schweigend.
Markus wuchs heran, verbrachte mehr Zeit mit Freunden und im Sportverein. Nach der Schule schloss er sich in seinem Zimmer ein, hörte Musik oder saß am Laptop.
Der Stiefvater blieb freundlich, witzelte wie immer – aber drängte sich nicht auf. Markus war ihm sogar dankbar dafür.

Eines Tages, als der Stiefvater nicht da war, nahm Markus seinen Laptop und ging in die Küche:
„Mama, zeig mir ihn. Du kannst das, oder?“
„Klar.“
Sie trocknete sich die Hände, zog den Laptop zu sich und öffnete mit wenigen Klicks ein Profil in den sozialen Medien.
„Da, schau.“
„Warte mal… Du hast ihn *so schnell* gefunden?“
„Na klar. Soziale Medien halt…“
„Dann könnte man dich auch so finden? Und mich?“
„Ich verstecke mich nicht. Und dich habe ich nie versteckt, Markus.“
„Mama, wenn er anrufen würde – würdest du es mir sagen?“
„Würde ich. Ehrlich. Ich lüge nicht.“
„Ich glaub dir, Mama. Danke.“

Markus ging zurück in sein Zimmer, schloss die Tür und starrte auf das geöffnete Profil.
Auf dem Profilbild lächelte ein blonder Mann mit Brille.
*Also daher die blonden Haare…* Mama war dunkelhaarig, der Stiefvater auch.
Markus betrachtete sein Spiegelbild im Fenster.
Er klickte auf das erste Foto – der Mann stand grinsend neben einem Auto. Dann in einem Boot, einen Fisch in der Hand. Danach umarmte er eine Frau. Und schließlich trug er einen lachenden, blonden Jungen auf den Schultern.
*„Ist das… mein Bruder?“*

Er sah sich den Jungen noch einmal an – und fühlte *nichts*.
Er scrollte weiter – der Mann wirkte auf jedem Bild glücklich.
*„Dann ist das also möglich…“* Er beendete den Gedanken nicht, klappte den Laptop zu.
Sein Magen war schwer und leer zugleich.

Er saß auf seinem Bett, lehnte an der Wand, die Augen geschlossen. Keine Gedanken.
Dann hörte er, wie der Stiefvater nach Hause kam.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, ein Lichtstreifen fiel herein.
„Markl, ich hab Steaks mitgebracht… Gleich gibt’s Abendessen. Kommst du?“
„Ich hab keinen Hunger… Danke, Pa…“
Die Tür ging weiter auf, der Stiefvater steckte den Kopf herein.
„Alles okay? Bist du krank, mein Junge?“
„Nein, Papa… Ich will nur nicht essen. Aber… fahren wir morgen Rad wie früher?“
„Natürlich, mein Junge!“ Der Stiefvater trat ganz ins Zimmer. „Ich hol gleich die Räder aus dem Schuppen, check die Reifen… Morgen geht’s los! Und wenn du dich umentscheidest – komm ruhig runter. Die Steaks sind klasse… mit Zwiebeln… folg einfach dem Duft!“
„Okay, Papa… Danke.“

Der Stiefvater schloss die Tür, Markus blieb sitzen.
Er schloss wieder die Augen, hörte die tiefe Stimme seines Vaters aus der Küche – er erzählte Mama bestimmt wieder eine seiner *„fast wahren Geschichten“*.
Mama lachte… Markus sah sie vor sich, wie sie den Kopf zurückwarf, die Augen umspielt von Lachfältchen.
„Ach, hör auf! Du erzählst wieder Quatsch!“
„Aber das ist *fast* die Wahrheit!“, brummte der Vater tief.

Markus vermisste diese Gespräche beim Abendessen. Er vermisste *alles*.

Von da an fuhren sie wieder samstags Rad und sonntags zu Oma zum Kaffee.
Oma backte Unmengen an Kuchen und bestand darauf, dass Markus von allem probierte.
*„Ein Junge in dem Alter braucht Kraft… Der treibt sich doch nur im Sport rum…“*
Das Leben normalisierte sich, plätscherte dahin, stolperte manchmal über Steine…

Einige Tage nach Markus’ stürmischem achtzehnten Geburtstag betrat seine Mutter sein Zimmer, schloss fest die Tür.
„Markus, ich habe versprochen, es dir zu sagen. Er hat angerufen. Du weißt schon…“
„Was wollte er?“
„Er fragte nur, wie es dir geht.“
„Mir geht’s gut.“
„Das habe ich ihm gesagt. Er fragte auch, ob du… und ich sagte, du wüsstest Bescheid.“
„Alles klar, Mama. Sag es nicht Papa, okay? Das betrifft nur uns.“
„Hab ich auch nicht vor.“
„Alles gut, Mama?“ Er stand auf, legte einen Arm um sie.

Ein paar Tage später sah er im Hof ein fremdes Auto.
Darin saß der Mann von den Fotos.
Nur grinste er nichtEr starrte Markus an, als wolle er etwas sagen, doch Markus hob nur kurz die Hand, wandte sich ab und ging wortlos ins Haus, während der Mann mit einem leisen Schalten des Motors davonfuhr.

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