In einer kleinen Stadt im Schwarzwald, wo alte Fachwerkhäuser die Wärme familiärer Traditionen bewahren, hat sich mein Leben, das ganz der Fürsorge für meine Tochter gewidmet war, in bittere Einsamkeit verwandelt. Ich, Helga Sommer, habe Anika allein großgezogen und ihr all meine Liebe geschenkt, doch ihre Gleichgültigkeit und Vorwürfe haben mir das Herz gebrochen und mich in einer kalten Leere zurückgelassen.
Anika ist mein einziges Kind, mein Stolz und mein Schmerz. Ihr Vater ging, als sie fünf war, und ich habe sie allein durchgebracht: Ich arbeitete zwei Jobs, nähte ihr Kleider und brachte sie zu Freizeitaktivitäten. Der Unterhalt kam unregelmäßig, doch ich beschwerte mich nie – ich wollte, dass Anika alles hatte. Sie wuchs auf, absolvierte die Universität und fand eine Stelle in der Stadtverwaltung. Ich freute mich, als ich sah, wie sie ihr Leben aufbaute, doch ich bemerkte nicht, wie ich mich von ihr entfernte. Nun, mit 62 Jahren, fühle ich mich fremd in ihrer Welt.
Gestern war der Tag, auf den ich mich gefreut hatte. Anika hatte versprochen, mich zu besuchen, um gemeinsam den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt zu besuchen. Ich bereitete mich seit dem Morgen vor: backte Plätzchen, zog mein bestes Kleid an und schminkte mich sogar, was ich seit Jahren nicht mehr getan hatte. „Wie war’s gestern?“, fragte ich, als sie in meine kleine Wohnung kam. „Ganz okay“, schnauzte sie, ohne mich anzusehen, und vertiefte sich sofort ins Handy. Ihre Kälte traf mich, doch ich schluckte den Ärger runter, in der Hoffnung, dass wir auf dem Markt näher zueinander finden würden.
Wir gingen zusammen, aber Anika war gedanklich woanders. Sie telefonierte, lachte, während ich hinterhertrottete wie ein Schatten. Auf dem Markt war es voll: Weihnachtsmusik, der Duft von Bratwurst, Kinder mit leuchtenden Sternen in den Händen. Ich wollte ihr einen Schal kaufen, der ihr gefiel, doch sie winkte ab: „Mama, lass gut sein, ich kaufe mir selbst was.“ Bald darauf wurden sie von Kollegen abgefangen – jung, laut, mit glänzenden Augen. „Anika, komm mit ins Café, die anderen sind schon da!“, riefen sie. Sie nickte und warf mir nur noch hin: „Mama, du gehst doch nach Hause, oder? Ich rufe später an.“
Ich erstarrte. „Anika, was ist mit uns? Ich dachte, wir verbringen den Tag zusammen“, sagte ich mit zitternder Stimme. Sie rollte die Augen: „Mama, fang nicht schon wieder an. Du kriegst doch Unterhalt von Papa, wofür gibst du das überhaupt aus? Leb dein eigenes Leben, hör auf, mich zu kontrollieren!“ Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag. Unterhalt? Jeden Cent hatte ich für sie ausgegeben – für ihre Ausbildung, Kleidung, Träume! Und nun warf sie mir vor, ich sei eine Last. Wortlos drehte ich mich um und ging nach Hause, während mir Tränen über die Wangen liefen.
Der Heimweg kam mir endlos vor. Ich schlurfte durch die kalten Straßen, umringt von lachenden Menschen, die den Abend genossen. Meine Tochter hatte sich für das Café mit ihren Freunden entschieden, während ich, ihre Mutter, allein blieb. Zu Hause setzte ich mich an den Tisch, wo die unberührten Plätzchen standen, und weinte. Warum war sie so grausam? Ich hatte ihr alles gegeben, und sie wollte nicht einmal eine Stunde mit mir verbringen. Ihre Worte über den Unterhalt bohrten sich in meinen Kopf wie ein Messer. Dachte sie wirklich, ich hätte das Geld für mich behalten? Alles, was ich hatte, hatte ich für sie geopfert.
Die Nacht verbrachte ich schlaflos, erinnerte mich daran, wie Anika als kleines Mädchen zu mir gerannt kam, mit selbstgemalten Bildern, wie wir zusammen Kekse backten. Wo war dieses Mädchen geblieben? Nun war sie erwachsen, doch ihre Kälte zerstörte mich. Am nächsten Morgen rief ich sie an, in der Hoffnung auf eine Entschuldigung, doch sie antwortete nur knapp: „Mama, ich hab zu tun, wir reden später.“ Ihre Stimme klang distanziert, als wäre ich eine Fremde. Ich spürte, wie ich sie verlor, und das zerreißt mir die Seele.
Meine Nachbarin, die meine geröteten Augen sah, kam mit Tee vorbei. „Helga, mach dir nichts draus, die Jugend ist halt so“, sagte sie. „Anika wird noch verstehen, was du für sie getan hast.“ Doch ihre Worte trösteten mich nicht. Ich fürchte, meine Tochter wird nie zu mir zurückkommen, mich umarmen, „danke“ sagen. Ihre Vorwürfe und Gleichgültigkeit fühlen sich wie ein Urteil an. Ich weiß nicht, wo ich im Erziehen falsch lag. Vielleicht habe ich sie zu sehr verwöhnt? Oder ihr nie beigebracht, Familie wertzuschätzen?
Nun sitze ich in meiner leeren Wohnung, starre auf alte Fotos, auf denen Anika und ich lächelnd zu sehen sind. Mein Leben galt ihr, doch sie sieht es nicht. Ich möchte glauben, dass sie zur Besinnung kommt, um Vergebung bittet, doch mit jedem Tag schwindet diese Hoffnung. Meine Tochter hat ihr eigenes Leben gewählt, während ich am Rand zurückblieb – allein, mit Plätzchen, die keiner isst, und einem Herzen voller Schmerz. Dieser Tag auf dem Weihnachtsmarkt war mehr als eine Enttäuschung, er war eine Lehre: Selbst die größte Liebe kann ungesehen bleiben, und ich muss lernen, mit dieser Leere zu leben.