Verlorene Seele im Land der Birken

Einsame Seele im Land der Birken

In dem kleinen Dorf Birkenau, versteckt zwischen den Wäldern Niedersachsens, wo kaum fünfzig Höfe stehen, lebte Helga Meier. Eine kräftige Frau von über fünfzig, mit schweren, abgearbeiteten Händen, die eher an die eines Mannes erinnerten. Ihr Gesicht, vom Wind und der harten Arbeit gezeichnet, war nicht von Schönheit geprägt, und in ihren Augen lag eine stille Einsamkeit. Vor fünfzehn Jahren waren ihre Eltern nacheinander gestorben und hatten sie in einem großen Haus, voller Erinnerungen und Leere, zurückgelassen. Verwandte hatte sie keine, und so hielt sie den Hof allein am Laufen: Der Stall war voller Tiere, die Scheune voller Vorräte. Jede Woche fuhr Helga zum Markt, um Fleisch, Speck und Milch zu verkaufen. Erst mit dem alten Mercedes ihres Vaters, später mit einem neuen, glänzenden Wagen – so glänzend wie ihre unerfüllten Träume. Die Nachbarn tuschelten: »Wozu braucht sie das alles? Sie ist doch allein, kein Mann, keine Kinder!« Doch insgeheim hoffte Helga immer noch, dass ein Mann sie eines Tages nicht nur als Bäuerin, sondern als Frau sehen würde. Doch nur wenige schauten hin: ihre groben Hände, der schwere Gang und die bittere Wahrheit – Kinder konnte sie keine bekommen.

Allein war der Hof zu viel. Manchmal halfen Männer aus dem Dorf – beim Pflügen, beim Heumachen – aber nur gegen Bezahlung, ohne Herz. Holz hacken, Tiere schlachten, das Dach flicken – alles lastete auf Helgas Schultern. So wäre ihr Leben wohl weitergegangen, grau wie Herbstregen, wenn nicht eines Tages ein Fremder in Birkenau aufgetaucht wäre. Ein Landstreicher, wie man ihn hier noch nie gesehen hatte. Am ersten Tag streifte er durchs Dorf, suchte nach einem Ausweg wie ein gefangenes Tier. Doch der Hunger trieb ihn weiter: Er bot seine Hilfe an. Die meisten schickten ihn fort, nur einige alte Frauen gaben ihm manchmal eine Scheibe Brot.

An einem frostigen Morgen lud Helga wie immer Fleisch und Milch für den Markt in den Mercedes. Die Zeit drängte, doch das Auto sprang nicht an. Obwohl sie vieles konnte, war Technik nicht ihr Fachgebiet. Sie fluchte, trat gegen den Reifen, als plötzlich der Fremde neben ihr stand. Er schaute sie an und sagte leise, mit einer scheuen Höflichkeit:

»Lassen Sie mich helfen.«

»Was willst du schon tun?«, fauchte Helga und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ich versuche, das Auto zu starten.«

»Na dann los«, brummte sie und trat zurück.

Zwanzig Minuten später war es vollbracht: Der Motor sprang an. Ungläubig drückte Helga ihm zwei Hundert-Euro-Scheine in die Hand und murmelte: »Nimm das«, bevor sie ins Auto stieg. Die Ware durfte nicht verderben.

»Kann ich sonst noch helfen?«, rief er ihr nach.

»Komm mittags zum Essen!«, warf sie zurück und fuhr davon.

Als sie abends zurückkehrte, müde, aber zufrieden – fast alles war verkauft –, stand der Fremde schon am Tor.

»Frau Meier, ich bin gekommen. Sie haben Arbeit versprochen.«

»Warte, ich stelle nur das Auto weg«, antwortete sie und band den Hund an. Dann nickte sie zu einem Holzstoß am Schuppen: »Kannst du Holz hacken?«

»Kann ich«, sagte er und musterte den Berg an Baumstücken.

Helga brachte die Axt. Der Fremde nahm sie, runzelte die Stirn:

»Sie ist stumpf.«

»Ich kann Messer schleifen, aber mit der Axt klappt es nicht«, gab sie verlegen zu. »Im Schuppen ist ein Schleifstein, doch der ist kaputt, seit mein Vater starb.«

»Darf ich ihn mir ansehen?«

»Geh und schau.«

Im Schuppen fand er den verstaubten Schleifstein, bastelte daran herum – und zu Helgas Erstaunen funktionierte er plötzlich wieder. Er schärfte die Axt und machte sich ans Werk. Er arbeitete schnell, geschickt, als hätte er nichts anderes getan. Helga schaute ihm eine Weile zu, schüttelte den Kopf und ging ins Haus.

Eine Stunde später kam sie wieder.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte sie.

»Klaus.«

»Ich bin Helga«, sagte sie. »Komm, Klaus, es gibt Mittagessen.«

»Ist mir fast unangenehm«, zögerte er.

»Ach, hör auf!«, schnitt sie ihm das Wort ab.

Am Tisch, wo dampfende Kartoffeln, selbstgemachte Wurst, Speck und eingelegte Pilze standen, knetete er seine Hände. Helga schob ihm immer mehr zu:

»Iss, sei nicht so schüchtern!«

Bis zum Abend hackte er Holz, doch der Berg war noch nicht abgetragen. Helga trat heraus:

»Klaus, das schaffst du heute nicht mehr. Heiz die Sauna an, dann kannst du dich waschen. Morgen machst du weiter.«

»Wie du willst«, nickte er.

Nach der Sauna saßen sie beim Abendessen. Helga stützte ihr Kinn in die Hand:

»Erzähl mir von dir, Klaus.«

Er seufzte, senkte den Blick:

»Ich bin siebenundvierzig. War mal verheiratet, hat nicht gehalten. Mein Sohn lebt bei der Ex. Dann fing ich an zu trinken. Lebte bei meiner Tante, arbeitete als Lagerarbeiter, als Nachtwächter. Solange ich nüchtern war, lobten sie mich. Als meine Tante starb, ging es bergab. Die Wohnung versoffen, hauste in Kellern. Dann lernte ich eine Frau. Wir lebten zusammen, bekamen eine Tochter. Ich wusste nicht, dass sie selbst aus dem Sumpf kam, trotz Therapie. Wir tranken zusammen. Einmal prügelte ich mich mit dem Nachbarn, bekam zwei Jahre. Als ich zurückkam, hatte sie einen neuen. Meine Tochter sah ich nicht. Ich ging, wollte nicht zurück ins Gefängnis. Die Stadt konnte ich nicht ertragen – ich wusste, ich würde wieder trinken. Also lief ich einfach los. So kam ich hierher.«

»Ein schweres Leben«, sagte Helga leise. »Und jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Bleib bei mir, Klaus. Das Haus ist groß, du hast geschickte Hände. Wir finden Arbeit für dich.«

Seine Augen leuchteten:

»Helga, ich habe nirgendwo hin. Danke.«

Sie machte ihm ein Bett in der hinteren Stube. Klaus schlief zum ersten Mal seit Jahren in sauberer Wäsche ein. Helga dagegen lag wach, ihr Herz pochte – sie spürte, dass dieser Mann ihr Leben verändern würde.

Am nächsten Morgen weckte sie ihn mit dem Duft von Pfannkuchen. In der Dusche blieb er stehen:

»Helga, deine Wasserleitung ist undicht.«

»Kannst du auch das?«, staunte sie.

»Hab mal als Klempner geararbeitet«, grinste er. »Holz hacken, Werkzeug richten, dann kümmere ich mich um die Rohre.«

»Was bist du nur für ein Mann!«, lachte sie.

Klaus hackte das Holz, kehrte den Hof, mistete den Stall aus. Als Helga vom Markt zurückkehrte, staunte sie über die Ordnung. Nach dem Essen ging sie zum Unkrautjäten, er richtete den Werkzeugschuppen. Eine Freude erfüllte Helga – endlich war ein Mann im Haus.

Am Abend fragte er:

»Soll ich die Sauna heizen?«

»Tu das!«

Während er die Sauna vorbereitete, kochte sie Abendessen. Als sie frisch und rosig aus der Sauna kam, hatte er schon den Tisch gedeckt. Dann geschah es: Er trat nah an sie heran, legte seine Hände auf ihre Hüften, seine Lippen suchten die ihren. Helga stöhnte leise, ihre Augen schlossen sich, ihr Herz setzte aus…

Und so fanden sie endlich in den einfachen Dingen des Lebens – in der Arbeit, in der Wärme des Herdes, in dem Lachen der kleinen Lisa – ein Glück, das sie nie für möglich gehalten hätten.

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