Ich bin eine schlechte Schwiegermutter. Dieser Gedanke nagt an mir wie ein alter Schmerz. In unserer Familie heißt es, das liege im Blut, aber ich kann mich damit nicht entschuldigen. Ich habe zwei Kinder – einen Sohn und eine Tochter. Nach dem Tod meines Mannes zog ich sie alleine groß, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Freiburg. Ohne Hilfe, ohne Unterstützung. Zum Glück konnte mein älterer Sohn, damals vierzehn, schon im Haushalt helfen. Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft – ich mag mir gar nicht ausmalen, was sonst passiert wäre.
Das Leben war hart. Als die Kinder auszogen, blieb ich allein zurück. Schwierigkeiten gab es natürlich, aber ich brauche nicht viel. Der Garten ernährt mich, die Hühner legen Eier. Schlimmer ging immer. Die Kinder gründeten Familien und ließen sich in der Stadt nieder. Meine jüngere, Lieselotte, heiratete einen Arzt – ich freute mich für sie, sie hat alles, was wir früher nicht hatten. Sie zog nach München, Hunderte Kilometer von unserem Dorf entfernt. Gerüchte besagen, sie lebt in einem großen Haus, ganz anders als meine schiefe Hütte. Manchmal kam sie mit ihrem Kind vorbei, aber wir verstanden uns nicht. Sie brachte immer Geschenke, Elektrogeräte, dabei wollte ich nur reden. Aber nein, sie hatte immer Eile. Einmal im halben Jahr ruft sie an, fragt, wie es geht, und verabschiedet sich. Sie hat drei Kinder, aber ich habe sie nur auf Fotos gesehen.
Mein Sohn, Friedrich, heiratete ein Mädchen aus armen Verhältnissen. Gisela – eine Waise, ohne Ausbildung. Zuerst mieteten sie eine Wohnung in der Stadt, aber dann wurde es zu teuer, und sie fragten, ob sie zu mir ziehen dürften. Wie hätte ich nein sagen können?
Gisela war zwar nicht faul, aber eine Stadtpflanze. Das Dorfleben war für sie eine fremde Welt. Sofort merkte ich, dass sie keine Ahnung hatte, wie alles hier funktionierte. Aber ich war nicht nett zu ihr. Wenn Holz geholt werden musste – rief ich sie. Wenn gekocht werden sollte – musste sie es tun. Genauso war man früher mit mir umgegangen. Während sie sich im Haus abmühte, kümmerte ich mich um meine Enkelin – ein kluges, aufgewecktes Mädchen, das ihrem Vater glich. Ich liebte sie über alles, verwöhnte sie, so gut ich konnte. Aber jetzt verstehe ich: Je mehr ich meine Enkelin liebte, desto strenger war ich zu ihrer Mutter. Dafür schäme ich mich.
Ich weiß nicht, ob ich schuld war oder sie einfach nach einem besseren Leben suchten, aber Friedrich beschloss, im Ausland zu arbeiten, und nahm Gisela mit. Die fünfjährige Tochter ließen sie bei mir. Ich widersprach nicht. Essen, Kleidung – es reichte für alles. Aber mein Herz brach: Mein Sohn ging so weit weg, und die Schwiegertochter mit ihm. Was blieb mir anderes übrig?
Eineinhalb Jahre waren sie weg. In dieser Zeit wuchs meine Enkelin mir ans Herz. Ich brachte ihr alles bei, von Liedern bis zum Gießen des Gemüsebeets. Wir waren unzertrennlich. Doch dann kamen Friedrich und Gisela zurück, holten das Mädchen ab und zogen in die Stadt. Niemand fragte mich, aber was hätte ich sagen sollen? Das ist ihre Familie.
Vier Jahre vergingen. Friedrich rief an, manchmal durfte ich mit der Enkelin sprechen. Aber besuchen kamen sie nicht. Ich spürte, dass Gisela mir etwas nachtrug. Das Leben ging weiter, die Nachbarn halfen, aber das Haus verfiel. Das Dach leckte, und ich hatte kein Geld, es zu reparieren. Im Winter stopfte ich die Löcher mit Lumpen, aber das half wenig. Ich beschwerte mich nicht, doch die Sorge um die Zukunft ließ mich nicht los.
Vor einem Monat kam Friedrichs Familie unerwartet zu Besuch. Sie wirkten glücklich, die Enkelin war zu einer richtigen Schönheit herangewachsen. Sie hatten im Ausland gut verdient und das Geld in ein Geschäft gesteckt. Ich war stolz auf meinen Sohn – beide meiner Kinder hatten es geschafft. Aber am meisten überraschte mich Gisela. Beim Abendessen erzählte sie ununterbrochen, wie sehr die Enkelin sich an die Zeit bei mir erinnerte. Wie viel ich ihr beigebracht hatte. Sie dankte mir, als hätte sie vergessen, wie hart ich gewesen war.
Später redeten wir unter vier Augen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und entschuldigte mich für mein Verhalten. Gisela lächelte und sagte, sie habe viel von mir gelernt. Sie blieben zwei Tage, hinterließen Geschenke und fuhren weg. Am nächsten Morgen hielt ein Lastwagen mit Arbeitern, Ziegeln und Werkzeug vor meinem Haus. Sie sagten, die „Chefin“ habe befohlen, das Dach und den Zaun zu reparieren. Da wusste ich – Gisela hatte das organisiert. Die Arbeiter machten ihre Sache gut, und ich wusste nicht, wie ich mich bedanken sollte. Sie lachten nur und meinten, alles sei bezahlt.
Ich schäme mich für meine Ungerechtigkeit. Ich war zu streng, zu fordernd. Aber es stellt sich heraus: Menschen können viel netter sein, als man denkt. Gisela hat mir verziehen, und ihre Dankbarkeit wärmt mein Herz. Jetzt weiß ich: Selbst in den schwierigsten Beziehungen gibt es Platz für Vergebung. Auch wenn nicht immer alles so gut ausgeht…