In einer kleinen Wohnung am Stadtrand von Dresden, wo es nach frisch gekochtem Sauerkraut und alten Büchern roch, saß Karoline in der Küche und weinte bitterlich. Ihre Welt brach zusammen: ihre einzige Freundin Helene ließ sich von ihrem Mann Friedrich scheiden. Für Karoline, die selbst nie eine Familie gehabt hatte, waren sie wie Familie. Ihre Trennung zeriss ihr Herz wie ein Riss in einem alten Spiegel, der ihre Einsamkeit widerspiegelte.
Helene und Friedrich schwiegen über die Gründe. „Das ist privat“, sagten sie knapp, und Karoline nickte: „Natürlich, ich mische mich nicht ein.“ Doch innerlich fand sie keinen Frieden. Wer war schuld? Eine Scheidung passiert doch nicht ohne Grund! Dunkle Gedanken wirbelten in ihrem Kopf. Sie schämte sich für ihre Vermutungen – Helene und Friedrich waren ihre Stützen, gute Freunde. Vielleicht hatte sie jemand verleumdet? Oder hatten Misstrauen und Neid ihre Liebe vergiftet? Karoline wäre bereit gewesen, Berge zu versetzen, um zu helfen – doch wie, wenn sie schwiegen? Ein Teufelskreis schnürte ihr Herz immer enger zu.
Die Scheidung veränderte Karolines Leben. Früher fuhren sie oft zu ihrem Wochenendhaus in einem kleinen Dorf in der Nähe – gemeinsam pflanzten sie Blumen, arbeiteten im Garten und lachten bis ihnen die Tränen kamen. Jetzt war das Haus leer, genau wie Karolines Seele. Helene war wie eine Schwester für sie gewesen. Schon als Kind, als Karoline in einem großen Haus mit ihren Eltern lebte, flüchtete Helene aus ihrer beengten Wohnung in die Welt Karolines. Karoline hatte alles: ihr eigenes Zimmer, gebildete Eltern – ihre Mutter war Malerin, ihr Vater Professor. Für Helene war das eine andere Welt, eine, um die sie insgeheim eifersüchtig war.
Im Haus mit der alten Holztreppe und den geschnitzten Geländern roch es nach Holzlasur und alten Büchern. Die Bilder ihrer Mutter schmückten die Wände, und ihr Vater erzählte gern von den Sternen. Friedrich, wenn er zu Besuch war, schraubte in der Werkstatt herum oder startete den alten Mercedes ihres Vaters. Das Leder der Sitze und das Holzarmaturenbrett trugen noch die Spuren seiner Hände. Er hätte sich gefreut, dass seine Werkzeuge und das Auto in Friedrichs Händen weiterlebten. Doch jetzt war die Werkstatt verschlossen, und der Mercedes stand unter einer Staubschicht.
Karoline hatte immer gewusst, dass sie nicht hübsch war, dass sie unbeholfen wirkte und nie eine eigene Familie haben würde. Ihre Eltern hatten versucht, sie mit dem Sohn eines Freundes zu verkuppeln, doch es kam nichts dabei heraus. Nach der Scheidung war Helene verschwunden – keine Anrufe, keine Nachrichten. Karoline, von Einsamkeit verzehrt, wusste nicht, wie sie weiterleben sollte. Und dann rief Friedrich plötzlich an: „Karo, kann ich vorbeikommen? Wir müssen reden.“
Er kam an einem Samstag im goldenen Herbstlicht. Karoline kochte, wie früher, eine dicke Erbsensuppe und backte einen Kartoffelkuchen – ihr Lieblingsgericht. Friedrich stieg die knarzigen Stufen zum Haus hinauf, das einst so schön gewesen war und jetzt so müde wirkte wie Karoline selbst. Er schwieg, betrachtete die abblätternde Farbe an den Wänden, dann begann er zu erzählen.
Helene und Friedrich waren fünfzehn Jahre verheiratet gewesen. Als sie heirateten, hatte Helene ihm von ihrer schweren Kindheit erzählt – wie sie auf ihre Geschwister aufpassen musste, wie sie sich immer fremd gefühlt hatte in ihrer eigenen Familie. Friedrich hatte Mitleid mit ihr, verwöhnte sie mit Geschenken. Als Helene schwanger wurde, war er überglücklich – doch sie klagte über Übelkeit, zeigte keine Freude. Sie kam ins Krankenhaus, und später erzählte sie mit gesenktem Blick von einer Fehlgeburt. Die Ärzte hätten gesagt, das Kind wäre nicht lebensfähig gewesen. Friedrich tröstete sie, und sie versprach: „Später, irgendwann werden wir Kinder haben.“ Doch das „Später“ kam nie.
Mit der Zeit bemerkte Friedrich, wie Helene über Karoline spottete. Sie nannte sie „naives Huhn“, machte sich lustig über das Haus, den alten Mercedes, die Bücher und Bilder, auf die Karoline so stolz war. Anfangs stimmte Friedrich ein – Karoline war eigenartig, wie aus einer anderen Zeit. Doch als Helene sie eine „Jammerlappe“ nannte, weil sie den vermeintlich guten Heiratskandidaten abgelehnt hatte, stach es ihn. Er verteidigte Karoline, und Helene explodierte: „Du bist genauso ein Trottel wie sie! Ich dachte, du hättest Zukunft – und du lehnst den Job ab! Ich hatte genug Armut in meiner Kindheit, ich will nicht mehr darben! Aber du mit deinem Gewissen, du willst dich nicht auf unfaire Machenschaften einlassen und nimmst stattdessen einen Hungerlohn!“
Friedrich hörte zu, und sein Herz erstarrte. Das war nicht die Helene, die er liebte. Wie sollte es weitergehen? Doch Karoline wollte er nichts erzählen. Sie sollte nicht wissen, dass Helene ihr immer neidisch gewesen war und sich jetzt nur noch über sie lustig machte, weil es nichts mehr gab, worum sie sie beneiden konnte.
Während Karoline den Tisch deckte, hackte Friedrich Holz – die Nächte wurden kalt. Sie aßen, sprachen über Belangloses, doch etwas Neues, Ungekanntes lag in der Luft. Helene heiratete bald darauf ihren ehemaligen Chef und verschwand endgültig aus Karolines Leben. Und Friedrich kam immer öfter. Er half im Haus, brachte kleine Geschenke – einen Korb mit Äpfeln, einen Strauß Wildblumen. Sie spazierten am Fluss entlang, redeten über alles, und Karoline spürte, wie ihr Herz wieder zu leben begann.
Es war seltsam, fast ungehörig. Friedrich – der Ex-Mann ihrer besten Freundin. Doch er wurde ihr näher, vertrauter. Karoline verliebte sich, ohne es selbst zu glauben. Die Schuldgefühle quälten sie – fühlte sie sich doch wie eine Verräterin, die sich das Glück eines anderen nahm. Und vor allem glaubte sie nicht, dass jemand sie lieben könnte. Sie konnte es einfach nicht fassen.
Sie heirateten im Winter, während draußen ein Schneesturm tobte. Sie fuhren zum Wochenendhaus, entzündeten ein Feuer im Kamin und sprachen – schüchtern, verlegen – über ihre Liebe. Im Herbst wurde ihre Tochter geboren, sie nannten sie Elisabeth – nach Karolines Mutter. Manchmal kam es Karoline wie ein Traum vor. Mit achtunddreißig Jahren war sie geliebt und durfte lieben. Das Haus erfüllte sich mit Kinderlachen und dem Klopfen von Friedrichs Hammer – er reparierte die Veranda, den Zaun, als ob er Stück für Stück ihr vom Alleinsein verwundetes Herz heilte. Karoline erblühte, doch manchmal fürchtete sie noch immer, alles könnte nur ein Traum sein.
Und doch – das Leben lehrte sie, dass selbst das zersprungene Herz wieder heilen kann, wenn es Liebe und Geduld findet.