**Tagebucheintrag**
Mit meiner ersten Ehe hatte ich wirklich Pech. Mein Verlobter schien aufmerksam und höflich, doch nach der Hochzeit fiel die Maske. Robert arbeitete nicht, hing den ganzen Tag mit Freunden in Hauseingängen und Hinterhöfen herum und redete von „anständigen Nebenjobs“. Abends kam er betrunken nach Hause, während der Kühlschrank leer blieb. Kein Cent, keine Hilfe, kein Engagement – alles lag allein auf meinen Schultern. Ich arbeitete, schleppte Einkaufstüten, gebar und zog unsere Tochter auf, während er nur da war. Ein toter Ballast.
Als Lotte ein Jahr alt war, reichte ich die Scheidung ein. Nicht, weil es leicht war. Sondern weil es unerträglich wurde. Müde und erschöpft entschied ich mich für mich und meine Tochter. Damals dachte ich, es gäbe keine bessere Zukunft. Doch ich lag falsch.
Jetzt ist Lotte neun. Sie geht zur Schule, liebt es zu malen und träumt davon, Designerin zu werden. All die Jahre hat ihr leiblicher Vater sich nicht gemeldet. Kein Anruf, kein Spielzeug, kein einziger Euro. Und ich bestand nicht darauf – verlangte kein Unterhalt, bat nicht um Kontakt. Ich lebte einfach weiter, für mein Kind.
Meine ehemalige Schwiegermutter, Gertrud Schmidt, habe ich selbst zu Hochzeiten kaum gesehen. Sie kam nicht zur Geburt, nicht zur Taufe, bot nie Hilfe an. Ein paar kurze, kühle Anrufe – das war alles. Ich akzeptierte es: Nicht jedes Kind hat eine fürsorgliche Oma.
Die Zeit verging. Ich traf Markus – einen Mann, der mir zeigte, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden. Wir heirateten, bekamen einen Sohn, Finn. Markus nahm Lotte von Anfang an als seine eigene an. Sie nennt ihn „Papa“, ohne zu ahnen, dass er nicht ihr leiblicher Vater ist. Ich finde, es ist noch zu früh, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie soll eine richtige Familie haben. Sie soll glauben, dass sie gewollt ist, dass sie geliebt wird – und das ist keine Lüge. Markus liebt sie abgotten.
Meine jetzige Schwiegermutter, Helga Bauer, ist eine wahre Goldgrube. Sie nennt Lotte ihre Enkelin, verwöhnt sie, umarmt sie fest, als wäre sie ihr eigen Fleisch und Blut. Und Lotte liebt sie ebenfalls. Bei uns herrscht Geborgenheit, Wärme, Frieden. Alles, was mir früher so gefehlt hat.
Doch plötzlich kam eine Schatten der Vergangenheit zurück.
Gertrud Schmidt hatte irgendwie unsere neue Adresse gefunden. Zuerst dachte ich an Zufall. Doch dann sah eine Nachbarin sie im Hof – sie sprach ein kleines Mädchen an, behauptete, ihre Oma zu sein, und erzählte, die „böse Mama“ würde sie trennen. Zum Glück war es nicht Lotte. Die Eltern des Kindes riefen die Polizei, und man warnte mich: Eine fremde Frau fragte nach mir.
Am nächsten Tag rief sie an. Ohne Scham, ohne Reue.
„Ich bin Lottes Oma, und du musst uns zusammenbringen. Ein Mädchen braucht ihre Familie!“
Ich rang mich um Fassung.
„Acht Jahre. Acht Jahre habt ihr nicht an sie gedacht. Wo wart ihr, als sie krank war? Als sie laufen lernte? Wo waren eure Glückwunschkarten? Geschenke? Anrufe?“
„Hauptsache, ich bin jetzt da. Du kannst mir den Kontakt nicht verbieten. Erst lebt sie bei dir, dann hole ich sie zu mir. Ich habe gerade eine freie Wohnung. Eigentlich hätte ich sie schon längst holen müssen, aber ich hatte Mitleid mit dir!“
Mir bebten die Hände. Wie konnte man so kalt über ein Kind reden, als wäre es ein vergessenes Gepäckstück?
„Hören Sie zu, Sie sind für Lotte eine Fremde. Sie kennt Sie nicht. Sie hat eine Oma, die sie liebt, und einen Papa, der jeden Tag für sie da ist. Sie haben kein Recht, sich einzumischen!“
„Das ist nicht mal dein Kind! Gib meinem Sohn seine Tochter zurück! Oder hast du vergessen, dass du ihn betrogen hast?“
Da wusste ich: Sie würde nicht aufgeben. Also log ich, um meine Tochter zu schützen:
„Wissen Sie was? Stimmt. Lotte ist nicht von Robert. Ich war ihm untreu. Deshalb ist er gegangen. Jetzt lassen Sie uns in Ruhe.“
Gertrud spuckte mir ins Gesicht – fast wortwörtlich durch den Hörer – und knallte auf. Ich dachte, es wäre vorbei. Doch sie schrieb weiter. Drohte. Telefonierte. Nicht als Oma, sondern als verbitterte Alte, die sich beraubt glaubte.
Jetzt sammele ich Dokumente und gehe zur Polizei. Ich lasse nicht zu, dass jemand das Leben meines Kindes zerstört. Ich werde sie nicht in diesen Schmutz ziehen lassen, in den man mich einst zwang. Lotte weiß von nichts. Und sie wird es auch nicht erfahren – noch nicht.
Denn meine Tochter verdient Frieden. Nicht die alten Sünden fremder Menschen.