Himmelsschicksal: Ein zweiter Versuch

**Der zweite Chance, geschenkt von oben**

„Es tut so weh…“, flüsterte Lina kaum hörbar, ihre aufgesprungenen Lippen bewegten sich kaum.

Der Versuch, sich umzudrehen, scheiterte – ihr Körper gehorchte nicht, jeder Muskel schmerzte, als wäre er von einem Panzer überrollt worden. Der linke Arm hing leblos wie eine fremde Peitsche, durchzogen von einem schneidenden Schmerz. Ihr Bewusstsein, getrübt von Rauch und Entsetzen, vermochte kein klares Bild zu formen. Nur Fragmente: Feuer, Einschläge, ein Himmel, schwarz wie die Nacht… und seine Stimme. Wo war er? Wo war Anton?

Ein Schrei erstickte in ihrer Kehle. Ihr Körper bebte vor Schmerz, als würde jede Zelle in Agonie aufflammen und erlöschen. Dann drang der beißende Gestank von Rauch in ihre Nase – scharf, verkohlt, bedrohlich. Lina versuchte, sich von der Hitze wegzuziehen, von den Flammenzungen, die sich in ihre Beine fraßen. Das war keine Wirklichkeit mehr – das war die Hölle, genau wie in ihren Albträumen.

Sie verlor das Bewusstsein.

Im Traum kehrte zurück, was längst verloren schien. Sie saßen am Tisch. Kristallgläser, perlender Sekt, Anton lächelte, während er die Flasche öffnete.

„Na also, Linlein, jetzt bist du offiziell verrückt“, lachte er. „Die einzige Frau, die es in die Fliegerjäger-Ausbildung geschafft hat! Ich weiß nicht, wie du die Prüfer rumgekriegt hast!“

„Ich kann mehr als nur mit den Wimpern klimpern“, zwinkerte sie zurück.

„Eher eine Rabaukin als eine Pilotin“, schüttelte Anton den Kopf. „Aber du liebst den Himmel. Genau wie ich. Flugnavigation ist kein Kinderspiel. Das ist ernst. Danke, dass ich dich im Simulator gedrillt habe – du hast es gepackt.“

„Beruhig dich, Hauptmann. Trinken wir, bevor die Blasen verschwinden“, lächelte sie und nippte am Wein.

Anton erzählte vom Himmel, wie er als Kind zum ersten Mal in einem Hubschrauber gesessen hatte. Wie er davon geträumt hatte. Wie er die Wolken als Tiere sah, die im Himmel Zuckerwatte sammelten. Lina hatte damals gedacht: „Was für ein Träumer…“

Aber sie hatte auch geträumt. Mit ihm. Zusammen waren sie in die Ausbildung gegangen. Zusammen hatten sie die Prüfungen bestanden. Zusammen – in der Luft. Und leider – zusammen im Krieg.

Als sie wieder zu sich kam, knirschte etwas unter ihrer Seite. Die MI-8. Verkohlt, zerfetzt. Ihr Hubschrauber – nur noch ein Trümmerhaufen aus totem Metall. Und daneben, zwischen den Resten, lag er. Anton. Die Hände noch immer am Steuer, als könnte ihn nicht einmal der Tod aus dem Cockpit reißen. Er hatte bis zum Ende gekämpft.

Lina taumelte, das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Zu geschwächt, um näher zu kommen, starrte sie darauf, wie Ameisen über seinen Körper krochen, wie das Blut auf seiner Uniform Fliegen anzog.

Näher heranzugehen hieße, es anzuerkennen. Zu begreifen. Seinen Tod zu akzeptieren. Aber wie? Wie, wenn seine Stimme noch in ihrem Kopf erklang? Wenn sie seinen letzten Kuss vor dem Abflug noch auf ihren Lippen spürte?

Der Krieg war abrupt in ihr Leben eingebrochen. Sie hatten sich nur auf einen Routineflug vorbereitet. Der Spitzname „Die Unzertrennlichen“ war auf dem Stützpunkt hängen geblieben. Fünf Jahre – eine Crew. Ein Rhythmus. Ein Weg.

„Bereit, Copilotin?“, zwinkerte Anton, während er seine Jacke zuknöpfte. „Windeln eingepackt?“

„Nur für deinen Hintern“, grinste Lina.

„Weißt du noch, wie alles anfing? Du, die Äpfel, die Zöpfe… die Diebin aus Großmanns Garten.“

„Und du – der naive Trottel, der mich über den Zaun gehoben hat“, kicherte sie.

Es war ihr letztes Gespräch vor dem Abflug.

Jetzt war es still. Lina band sich den Arm mit einem Riemen fest – der Schmerz schoss wie Strom durch sie hindurch. Sie sammelte, was sie konnte, nahm Antons Erkennungsmarke von seinem Hals. Er war tot. Aber sie lebte. Also musste sie weiter. Sie musste hier raus. Für ihn. Für die Erinnerung. Für eine Zukunft, die in ihr gerade erst zu wachsen begann…

Ein Rascheln.

Stimmen.

Sie kamen.

Lina verkroch sich im hohen Gras. Der Schmerz war nichts. Sie durfte sich nicht verraten. Nicht atmen. Nicht bewegen. Wenn sie sie fanden – war alles vorbei. Sie kroch. Langsam. Kratzte sich den Bauch auf, presste die Zähne zusammen, bis es knackte. Sie kroch, bis sie in Ohnmacht fiel.

Erwachte nachts. Sterne. Schwarzer Himmel. Sie war allein.

Morgen. Ein Mohnfeld. Der Durst machte sie verrückt. Die Feldflasche leer. Der Arm gebrochen. Doch ihr Herz schlug.

„Herr, wenn du da bist…“, flüsterte sie, „lass mich nicht sterben. Für ihn. Für uns.“

Als sie wieder aufwachte, lag sie in einem Krankenbett. Weiße Decke. Infusion. Antons Erkennungsmarke in ihrer Hand.

„Mein Sohn wird den Himmel lieben“, sagte sie und strich über ihren Bauch.

„Woher willst du wissen, dass es ein Junge wird?“, fragte die Mutter.

„Ich weiß es einfach. Damals, im Wald, zwischen Feuer und Rauch, habe ich Gott gebeten, mein Leben zu verschonen. Meins. Seins. Und er hat mich erhört. Das ist meine zweite Chance. Für ihn.“

Der Krieg hatte alles genommen, aber sie nicht gebrochen. Das Leben ging weiter. Und dort, wo die alte Träume starben, wurde eine neue geboren. Stark wie seine Arme. Rein wie sein Blick. Und hell wie der Himmel, für den er gestorben war.

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