**Tagebucheintrag: Die Rückkehr des Sohnes**
„Heute habe ich mit Marina gesprochen. Sie fragte nach meinem Jungen, und ich konnte nicht anders, als stolz zu sein. Lukas ist wirklich fleißig – immer Bestnoten in der Schule, hat selbst das Holz für den Winter gehackt und ordentlich gestapelt. Aber sein Wesen… es hat sich verändert. Früher hatte er keine Lust, Wasser zu holen oder den Garten zu gießen. Jetzt aber erledigt er alle schweren Aufgaben im Haus, steht dann vor dem Spiegel, reckt die Schultern, prüft seine Muskeln, als wäre er ein Bodybuilder.“
Marina tauchte ihr Butterhörnchen in den Tee. „Wieso wunderst du dich? Wie alt ist er? Fünfzehn?“
„Bald sechzehn“, antwortete ich. „Er will auf die Berufsschule, sagt: ‚Mama, ich werde wie Daniel, ich werde Geld verdienen. Bauer sein, zurück ins Dorf kommen und dir helfen.'“ Ich schwieg, wischte mir eine Träne mit dem Taschentuch weg.
„Und Daniel?“, fragte Marina vorsichtig. „Ruft er wenigstens an?“
Das Thema Daniel liegt mir schwer im Magen. Mit siebzehn ging er in die Stadt. Nicht, weil er unbedingt wollte, aber wir kamen kaum über die Runden. Ich zog die beiden Jungen allein groß – mein Mann starb, als Lukas gerade ein Jahr alt war. Sein Herz versagte, und ich blieb als Witwe mit zwei Söhnen zurück.
Damals dachte ich, Daniel hätte in der Stadt bessere Chancen. Mein entfernter Verwandter, Heinrich Bauer, arbeitete dort in einer Fabrik und versprach, ihm mit einer Wohnung zu helfen. Ich gab ihm, was ich konnte – etwas Geld für den Anfang – und verabschiedete ihn unter Tränen.
Doch Daniel fühlte sich verstoßen. Er nahm es mir übel, glaubte, ich liebte Lukas mehr und schickte ihn fort. In der Stadt war er zunächst unglücklich, fand aber Arbeit und begann eine Lehre. Später gründete er mit einem Freund eine Firma für Bauschuttentsorgung. Die Geschäfte liefen gut – sie kauften Fahrzeuge, verdienten immer mehr. Nur von der Familie entfernte er sich. Er meinte, alles allein geschafft zu haben und niemandem etwas schuldig zu sein.
Selten besuchte er mich, mit Lukas sprach er kaum – der Altersunterschied war groß, die Interessen verschieden. Ich sagte nichts, aber es zerbrach mir das Herz. Neulich erwähnte ich am Telefon, dass das Haus langsam verfiel: Die Terrasse schief, die Farbe blätterte ab. Im Dorf hatten alle längst fließend Wasser, Duschen, Toiletten – wir lebten noch wie früher, mit Brunnen und Plumpsklo.
Daniel nur ein kurzes Lachen: „Du hast doch einen Mann im Haus, der kann das reparieren.“ Ich hätte weinen können. Seitdem wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte.
Lukas kam von der Schule, setzte sich zum Essen. Ich schenkte ihm Erbsensuppe ein, blieb aber still. Marina stand auf: „Reg dich nicht auf, Lena. Alles wird gut, du wirst sehen.“
Eine Woche später klingelte das Telefon. Mein Herz hämmerte.
„Mama, ich bin’s“, Daniels Stimme war ungewohnt sanft. „Wir kommen morgen. Bist du nachmittags da?“
„Natürlich, mein Junge.“
„Und Lukas soll auch da sein. Ich brauche ihn.“
„Gut“, sagte ich, doch eine Angst stieg in mir auf. Was hatte er vor?
Am nächsten Tag hielt ein Auto vor dem Haus. Daniel stieg aus, daneben ein Mädchen. Zwei junge Männer folgten. Ich stand auf der Terrasse, atmete kaum.
Daniel holte Taschen aus dem Kofferraum. Das Mädchen trat auf mich zu, lächelnd: „Guten Tag, Frau Schneider. Ich bin Laura.“ Ihre Stimme war warm.
Daniel umarmte mich – zum ersten Mal seit Jahren. Mir blieb die Luft weg.
„Mama, das ist Laura, meine Verlobte“, sagte er. „Vergib mir, ich war ein Idiot. Laura hat mir die Augen geöffnet. Sie sagte, du hast mich zum Mann gemacht. Wegen dir habe ich die Lehre geschafft, Arbeit gefunden, das Geschäft aufgebaut. Du hast uns allein großgezogen, und ich… war undankbar. Wir haben alles vermessen. Wir bringen Material, reparieren die Terrasse, legen Wasserleitungen, bauen ein Badezimmer. Und du, Lukas“ – er drehte sich zu seinem Bruder – „vergiss nicht, du hast einen großen Bruder. Immer schon. Erinnerst du dich, wie ich dir Schwimmen beigebracht habe?“
Lukas nickte verlegen. Ich sah sie an, Tränen liefen über meine Wangen.
„So sind wir, Mama“, lächelte Daniel. „Oder?“
Zwei Monate später war das Haus wie neu. Die Terrasse strahlte in frischem Grün, die Diele knarrte nicht mehr. Es gab fließend Wasser, eine Dusche, eine Toilette. Lukas half seinem Bruder, trug Bretter, reichte Werkzeug. Die beiden fanden endlich zueinander, scherzten, erinnerten sich an die Kindheit.
Ich konnte die Tränen nicht halten, umarmte Daniel fest. „Verzeih mir auch, mein Junge. Ich dachte, du wärst uns entfremdet. Dabei bist du nur erwachsen geworden. Ein richtiger Mann.“
Er hielt mich fest, und in diesem Moment spürte ich: Meine Familie, zerrissen durch Jahre und Missverständnisse, war wieder ganz. Draußen rauschten die Linden, im Haus roch es nach frischer Kartoffelsuppe und neuer Hoffnung.