**Tagebucheintrag: Die Lektion, die ich von meinem Mann lernte**
Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, wie recht er hatte…
Wir waren kein junges Paar im klassischen Sinn – er traf mich mit 42, und ich war schon 36, als wir heirateten. Beide mit Gepäck: Berufe, Prinzipien, Ansichten, Ambitionen. Erwachsene Menschen, die zu wissen schienen, was sie vom Leben und voneinander wollten.
Zuerst war da die Euphorie: zärtliche Berührungen, „Ich liebe dich“-Zettel auf Servietten, Küsse im Regen. Dann kam der Alltag. Ein neuer Status, ein gemütliches Häuschen im Speckgürtel von München, in dem ich plötzlich zu ertrinken begann. Und ich merkte gar nicht, wie ich einen Fehler nach dem anderen machte…
Ich ließ mein Step-Aerobic und mein Englisch, für das ich so gebrannt hatte, liegen und widmete mich stattdessen dem Backen von Himbeermuffins und dem Aufräumen der Schränke nach der KonMari-Methode. Ich rief meinen Mann auf der Arbeit an und fragte mit gespieltem Interesse, wie die Verkäufe der Flanschkugelhähne bei seiner Firma liefen. Ich wollte „dazugehören“.
Ich nähte Patchworkdecken, kochte dreigängige Menüs, bügelte Bettwäsche bis zur Perfektion. Ich las Magazine über das Einlegen von Heringen und lernte sogar Dekupieren. Alles, um „die perfekte Frau“ zu sein. Selbst die Türgriffe bekamen eine Extraportion Pflege. Doch mit all diesen Pflichten verlor ich mich selbst – ich wurde blass, dünn, nervös.
Dann kam dieser Samstag, der alles veränderte. Erste Novemberwoche, grauer Himmel, Regen wie lauter Tee, und in der Küche brannte schon seit dem Morgen das Licht. Mein Mann saß da, hielt ein Glas Milch in der Hand und beobachtete gereizt, wie ich Käse, Schinken und Tomaten schnitt, obwohl er dreimal gesagt hatte, er wolle nur Milch. Keine Brote. Kein Extra.
Ich hantierte weiter wie ein aufgezogener Roboter. Da platzte ihm der Kragen:
„Hör mal, ich brauche keine Köchin oder Putzfrau. Du musst nicht die Toilette desinfizieren oder die Tassen polieren. Wir sind nicht Sklaven voneinander. Ich bin nicht dein ganzes Leben. Ich bin ein Teil davon. Durch Zufall haben wir uns gefunden. Einen Punkt, an dem es uns gut geht. Aber der Rest – der gehört dir. Und mir. Getrennt.“
Er sprach ruhig, aber in seiner Stimme lag Erschöpfung.
„Du musst dich nicht in mir auflösen. Nicht meine Interessen zu deinen machen. Nicht perfekt sein. Sei einfach du selbst. Die Frau, in die ich mich verliebt habe – leicht, frei, unbekümmert. Aber jetzt… jetzt verschwindest du. Du bist nur noch ein Schatten. Nichts ist von dir übrig.“
Er warf das Glas in die Spüle, wartete keine Antwort ab und ging ins Fitnessstudio. Ich blieb zurück. Stand in der Küche – es roch nach Dill, Dampf und Gebackenem. Tränen brannten in meinen Augen. Verletzend, weil wahr.
Schweigend warf ich den Blätterteig weg, schaltete den Schnellkochtopf aus, fegte die angefangene Stickvorlage beiseite und… rief meinen Englischlehrer an. Dann öffnete ich die Datei mit der Geschichte, die ich vor Monaten angefangen und „für später“ liegen gelassen hatte.
Ich bin keine Köchin. Keine Hausfrau aus der Zeitschrift. Keine Bastelqueen. Und schon gar keine Verkaufsassistentin für Armaturen.
Ich strebe nicht mehr nach Perfektion. Ich diene nicht. Ich errate keine Wünsche. Ich gehe nicht auf Zehenspitzen.
Jetzt bin ich ich. Ohne Anführungszeichen, ohne Zusätze. Mit Träumen, Englisch dienstags und Geschichten, die wieder auf dem Laptop zum Leben erwachen. Und weißt du was? Erst jetzt lachen wir wieder. Wirklich.
**Die Lektion:** Manchmal verliert man sich, um geliebt zu werden – und merkt erst zu spät, dass man gerade dadurch die Liebe verloren hat.