In einer engen Wohnung am Stadtrand von Hannover, wo der Wind durch die alten Fenster pfiff, ertönte ein lautes Kratzen. »Das Biest! Es wird gleich die Tür eintreten!«, murmelte Viktor, unterbrach sein morgendliches Windelchaos und schlurfte barfuß zum Kinderbett. Dort blubberte der kleine Finn vergnügt vor sich hin. Beruhigt, dass seinem Sohn nichts fehlte, ging Viktor zur Küchentür, hinter der der Kater Baron tobte.
Frei gelassen, schnaubte Baron verächtlich, sauste wie ein Pfeil zum Bett und starrte das Baby an, als versuche er zu begreifen, welches Wesen sein Reich betreten hatte. Vorsichtig streckte er eine Pfote aus, ohne die Krallen zu zeigen. Viktor bemerkte es, doch seine Frau Lena geriet in Panik: »Viktor, der muss raus! Er ist gefährlich für Finn!«
»Lena, wovon redest du? Baron war wie unser Kind, auch wenn er stur ist. Wir haben ihn doch selbst verzogen!«, widersprach Viktor, doch seine Worte halfen nicht. Lena, von ihrem Mutterinstinkt überwältigt, sah im Kater eine Bedrohung. »Er glotzt so! Er will zum Kind! Weg mit ihm, ins Tierheim oder sonstwohin!« Eine halbe Stunde später packte Viktor den verdatterten Baron beim Fressnapf, stopfte ihn in die Transportbox und verschwand mit knallender Tür.
Er kehrte erst spät zurück. Den Tag hatte er bei Freunden auf dem Land verbracht, wo Baron angeblich glücklicher sein sollte: Mäuse, viel Platz, keine Hunde. Doch der Kater, mit abgeknickten Ohren, schien kein Wort zu glauben. Zweimal sah er Viktor so durchdringend an, dass ihm das Herz einfror, und miaute klagend: »Mrrrr?« Als Viktor ging, beobachteten ihn nur grüne Augen, die zu schreien schienen: *Und ich? Bin ich keine Familie mehr?*
Am nächsten Abend rief der Freund an: »Vik, der Kater ist abgehauen. Ein Loch im Zaun. Seine Spuren führen zur Landstraße – Richtung Stadt.« Fünfundzwanzig Kilometer, zwei stark befahrene Straßen, Vororte mit streunenden Hunden. Für Baron, ein Stubenhüter, gab es keine Chance. Viktor fluchte nur.
Die Zeit verging. Der Mai brachte blühende Gärten, der Sommer Hitze und Pappelflusen. Finn lernte sitzen und erkundete tapsig sein Laufgitter. Dann, an einem schwülen Julitag, ratterte die Wohnungstür, als würde jemand mit einem nassen Sack dagegen schlagen. »Viktor, schau nach!«, rief Lena.
Viktor öffnete die Tür an der Kette – und erstarrte. Hindurch schlüpfte etwas Abgemagertes, Staubiges, mit struppigem Fell. Es flitzte direkt zu Finns Gitter. Lena erkannte Baron, ließ die Tasse fallen. Der Kater, bis auf die Knochen abgemagert, stellte sich auf die Hinterbeine, stützte sich am Gitter ab und schnurrte wie ein alter Traktor. »Baron…«, Lenas Stimme brach.
»Ach, du Landstreicher!« Viktor hob den Kater hoch. Unversehrt, nur dreckig wie ein Schornsteinfeger. Ohne Absprache stürmten sie ins Bad. Baron musste gewaschen, gefüttert, gerettet werden.
Der Tag wurde chaotisch. Viktor kaufte das beste Futter, denn Baron, einst wählerisch, verschlang gierig ein Stück Roggenbrot. Unterwegs schrieb Lena: »Baron spielt mit Finn! Er schnurrt so laut wie noch nie!«
Zu Hause angelangt, spürte Viktor, wie sein Herz jubelte. Die Familie war wieder vereint: zwei Erwachsene, ihr »menschliches Kätzchen« Finn und Baron, der nun Wache hielt. Selbst bei Besuch knurrte er Omas und Opas an. Verwandte, die ihn früher skeptisch betrachteten, dachten nun über eigene Haustiere nach. Und Lena? Sie blühte auf. Die Schuld, die sie wegen Barons Verbannung gequält hatte, verflog. Ohne ihn war das Leben einfach nicht dasselbe.