Gebrochenes Herz und frischer Mut

In einer kleinen Wohnung am Rande von Leipzig, wo der Duft von frisch gekochter Kohlsuppe und alten Büchern hing, saß Heike in der Küche und weinte bitterlich. Ihre Welt brach zusammen: Ihre einzige Freundin Birgit ließ sich von ihrem Mann Markus scheiden. Für Heike, die nie eine eigene Familie hatte, waren sie wie Familie. Ihre Trennung zerriss ihr Herz wie ein Riss in einem alten Spiegel, der ihre Einsamkeit widerspiegelte.

Birgit und Markus schwiegen über die Gründe. „Das ist privat“, sagten sie knapp, und Heike nickte: „Natürlich, ich mische mich nicht ein.“ Doch innerlich fand sie keinen Frieden. Wer war schuld? Es gibt doch keine Scheidung ohne Grund! Dunkle Gedanken wirbelten in ihrem Kopf. Sie schämte sich für ihre Zweifel – Birgit und Markus waren ihre Stütze, gute Freunde. Vielleicht hatte sie jemand verleumdet? Oder hatten Misstrauen und Neid ihre Liebe vergiftet? Heike hätte Berge versetzt, um zu helfen, aber wie, wenn sie schwiegen? Der Teufelskreis zog ihr Herz immer enger zu.

Die Scheidung von Birgit und Markus veränderte Heikes Leben. Früher fuhren sie oft zu ihrem Wochenendhaus in dem Dorf Tannenwald – pflanzten Blumen, arbeiteten im Garten, lachten bis die Tränen kamen. Jetzt war das Haus leer, genau wie Heikes Seele. Birgit war wie eine Schwester für sie. Schon als Kinder, als Heike in einem großen Haus mit ihren Eltern lebte, flüchtete Birgit, die aus einer kinderreichen Familie stammte, zu ihr, um dem Chaos ihrer Zweizimmerwohnung zu entkommen. Heike hatte alles: ein eigenes Zimmer, Eltern aus der Bildungsschicht – ihre Mutter Elke, eine Malerin, ihr Vater Friedrich, ein Mathematiker, ihr kirschroter Mercedes und das zweistöckige Ferienhaus. Für Birgit war das eine andere Welt – eine Welt, auf die sie heimlich neidisch war.

Im Ferienhaus, mit Holztreppe und kunstvoll geschnitzten Geländern, roch es nach Lack und alten Büchern. Die Bilder ihrer Mutter schmückten die Wände, und ihr Vater erzählte gern von den Sternen. Markus, wenn er zu Besuch war, schraubte in der Werkstatt ihres Vaters herum, reparierte etwas oder startete den alten Mercedes. Die samtigen Sitze und das Holzarmaturenbrett bewahrten noch die Wärme von Friedrichs Händen. Er hätte sich gefreut, dass seine Werkzeuge und das Auto in Markus‘ Händen wieder lebendig wurden – auch wenn er kein Blutsverwandter war, aber ein geschickter Mann. Doch jetzt war die Werkstatt mit einem rostigen Schloss verschlossen, und der Mercedes verstaubte.

Heike wusste schon immer, dass sie nicht hübsch war, unbeholfen, dass sie nie eine Familie haben würde. Ihre Eltern versuchten, sie mit dem Sohn eines Freundes zu verkuppeln, doch es kam nichts dabei heraus. Nach der Scheidung war Birgit verschwunden – sie meldete sich nicht, schrieb nicht. Heike, vor Kummer zerfressen, wusste nicht, wie sie weiterleben sollte. Und dann rief Markus plötzlich an: „Heike, darf ich vorbeikommen? Wir müssen reden.“

Er kam an einem Samstag, bei strahlendem Herbstsonnenschein. Heike kochte, wie früher, eine Kohlsuppe mit frischem Grün und backte eine Kartoffeltorte – ihr Lieblingsessen. Markus stieg die knarzenden Stufen zum Ferienhaus hinauf, das einst so prächtig wirkte, jetzt aber müde aussah, genau wie Heike selbst. Er schwieg, betrachtete die abblätternde Farbe, und dann begann er zu sprechen.

Birgit und Markus waren fünfzehn Jahre zusammen. Als sie heirateten, wirkte Birgit auf ihn zerbrechlich, vom Leben benachteiligt. Sie erzählte, wie sie als Kind ihre jüngeren Geschwister hüten musste, wie sie sich in ihrer eigenen Familie fremd fühlte. Markus hatte Mitleid, verwöhnte sie mit Geschenken. Birgit wurde schwanger, und er war überglücklich, doch sie, die von Schwangerschaftsübelkeit sprach, freute sich nicht. Sie kam ins Krankenhaus, und dann, mit gesenktem Blick, teilte sie mit, dass sie eine Fehlgeburt hatte. Die Ärzte sagten, das Kind wäre nicht lebensfähig gewesen. Markus tröstete sie, und sie versprach: „Später, irgendwann werden wir Kinder haben.“ Doch dieses „Später“ kam nie.

Mit der Zeit bemerkte Markus, wie Birgit über Heike spottete. Nannte sie eine „naive Tölpin“, machte sich über das Ferienhaus, den alten Mercedes, die Bücher und Bilder lustig, auf die Heike stolz war. Zuerst stimmte Markus zu – Heike wirkte wirklich etwas schrullig, als käme sie aus einer anderen Zeit. Doch als Birgit sie eine „arme Schluckerin“ nannte, die einen guten Part ausgeschlagen hatte, traf es ihn. Er verteidigte Heike, und Birgit explodierte: „Du bist genauso ein Trottel wie sie! Ich dachte, du hast Zukunft, aber du hast den Job abgelehnt! Ich habe genug Not gelitten, ich will keine Armut mehr! Und du mit deinem Gewissen, du hast dich geweigert, die Machenschaften des Chefs mitzumachen, bist zu einem Hungerlohn gegangen!“

Markus hörte zu, und sein Herz erstarrte. Das war nicht die Birgit, die er liebte. Wie sollte es weitergehen? Doch Heike wollte er nichts davon erzählen. Sie sollte nicht wissen, dass Birgit ihr ihr Leben lang neidisch war und sich nun, wenn es nichts mehr zu beneiden gab, nur noch über sie lustig machte.

Während Heike den Tisch deckte, hackte Markus Holz – die Nächte waren kalt. Sie aßen die Kohlsuppe, sprachen über Belangloses, doch in der Luft hing etwas Neues, Unerforschtes. Birgit heiratete bald darauf ihren ehemaligen Chef und verschwand endgültig aus Heikes Leben. Und Markus kam öfter vorbei. Er half im Haushalt, brachte kleine Geschenke mit – mal einen Korb Äpfel, mal einen Strauß Wiesenblumen. Sie spazierten am Ufer des Flusses entlang, sprachen über alles Mögliche, und Heike spürte, wie ihr Herz wieder zu leben begann.

Es war seltsam, fast ungeheuerlich. Markus – der Ex-Mann ihrer Freundin. Doch er wurde ihr näher, vertrauter. Heike verliebte sich, ohne es selbst zu glauben. Sie quälte ihr Gewissen – sie fühlte sich wie eine Verräterin, die das Glück eines anderen gestohlen hatte. Vor allem aber glaubte sie nicht, dass jemand sie lieben könnte. Sie konnte es einfach nicht glauben.

Sie heirateten im Winter, während ein Schneesturm tobte. Sie fuhren zum Ferienhaus, heizten den Ofen und sprachen, scheu vor dem Feuer sitzend, von Liebe. Im Herbst wurde ihre Tochter geboren – sie nannten sie Elke, nach Heikes Mutter. Manchmal kam es Heike vor wie ein Traum. Mit achtunddreißig Jahren war sie geliebt und liebte. Ihr Haus erwachte wieder zum Leben durch das Weinen des Kindes und das Klopfen von Markus‘ Hammer – er schien Stück für Stück ihr vom Einsamkeit zerschlagenes Herz zu reparieren. Heike erblühte, doch manchmal fürchtete sie noch immer, aufzuwachen und die Leere um sich zu finden.

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Gebrochenes Herz und frischer Mut
Ein altes Geheimnis, das mein Leben für immer veränderte