Emma stand vor dem Badezimmerschrank, den Schwangerschaftstest in der Hand. Ein Streifen. Wie beim letzten Mal. Und wie beim Mal davor. Sie starrte darauf und hoffte, dass doch noch ein zweiter Streifen erscheinen würde. Vielleicht ganz blass, vielleicht nur schwach. Doch nichts veränderte sich.
Ihr blieb die Luft weg. Sie ließ die Hand sinken, atmete aus und ging langsam ins Wohnzimmer. Es wiederholte sich alles. Falsche Hoffnungen, Warten, Verzweiflung. Und dabei hatte sie diesmal so sicher gefühlt – es hätte klappen müssen.
Abends kam Markus, ihr Mann. Kaum war er eingetreten, sagte sie schon:
*„Ich bin wieder nicht schwanger.“*
Er trat näher, umarmte sie, und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, während sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
*„Die Ärzte haben gesagt, es gibt noch eine Chance“*, flüsterte er. *„Wir können es noch mit künstlicher Befruchtung versuchen. Wir geben nicht auf.“*
*„Und wenn das auch nicht funktioniert? Was machen wir dann?“*, fragte Emma und sah ihn an.
Markus lächelte und strich ihr über das Haar:
*„Dann leben wir weiter. Zusammen. Glücklich.“*
Doch das beruhigte Emma nicht. Irgendwann würde er sich doch ein Kind wünschen. Ein richtiges. Und dann? Würde er gehen? Würde er bereuen, sein Leben mit einer Frau verbunden zu haben, die ihm das nicht geben konnte?
Sie hatten es schon drei Jahre lang versucht. Erleichtert am Anfang, ohne Druck. Dann mit genauen Berechnungen, Arztbesuchen. Es gab zwar ein kleines Problem, aber nichts Ernstes. Alles wurde behandelt. Laut den Untersuchungen war alles perfekt. Und trotzdem – kein Kind.
Jeden Monat durchlebte Emma denselben Kreislauf: Hoffnung – Warten – Enttäuschung – Tränen. Und dann war da noch die Schwiegermutter. Helga.
Seit Markus und Emma geheiratet hatten, wartete seine Mutter auf Enkelkinder. Zuerst nur Andeutungen. Dann Fragen. Danach Vorwürfe.
Markus hatte versucht, mit ihr zu reden, sie bat, sich nicht einzumischen. Doch nichts hielt sie auf.
*„Alle haben schon zwei, und ihr nicht einmal eins!“*, empörte sie sich. *„Was ist das denn für eine Familie?“*
Wenn sie zu Besuch kam, frohr Emma innerlich zusammen. Denn sie wusste: Wieder würden Gespräche über Kinder kommen. Über die *„Schwiegertochter, die etwas verbirgt“*. Über den *„armen Sohn, der seine besten Jahre verschwendet“*.
Helga sah Emma immer herablassend an. Sie schimpfte nicht, war nicht grob, aber jedes ihrer Worte war wie eine Nadel. Und irgendwann kroch Emma ein Gedanke ins Herz: Vielleicht brauchte Markus wirklich eine andere? Eine, die ihm ein Kind schenken konnte. Vielleicht wäre das fair?
Eines Tages ging Helga besonders unzufrieden. Und als Markus ein paar Tage später auf Dienstreise war, klingelte es an der Tür.
*„Hat er etwas vergessen?“*, dachte Emma.
Doch vor der Tür stand nicht Markus, sondern… Helga. Im Mantel, mit einer Tasche, Entschlossenheit in den Augen.
*„Darf ich reinkommen? Wir müssen reden, Emma.“* Ohne Einladung betrat sie die Wohnung und ging in die Küche.
Automatisch machte Emma den Wasserkocher an.
*„Wollten Sie etwas?“*
*„Emma, du bist ein gutes Mädchen. Lieb. Klug. Aber du musst gehen. Lass meinen Sohn frei.“*
Emmas Hand zitterte. Die Tasse wäre fast zu Boden gefallen.
*„Was haben Sie gesagt?“*
*„Du verstehst es doch selbst“*, fuhr die Schwiegermutter fort. *„Ihr habt seit drei Jahren keine Kinder. Markus schweigt, aber ich sehe – er ist unglücklich. Er braucht eine richtige Familie. Du liebst ihn doch? Dann gib ihm das Glück. Lass ihn gehen. Bevor es zu spät ist.“*
Emma schwieg. Es zerriss sie innerlich. Was sie selbst verdrängt hatte, wurde nun laut ausgesprochen. Und so selbstsicher, dass es fast logisch klang. Altruismus in der Verpackung von Fürsorge.
*„Wir entscheiden das selbst“*, sagte Emma leise.
*„Er wird nicht von alleine gehen. Er tut dir leid. Aber du weißt doch… so ein Leben ist kein Leben. Er braucht eine Frau, die ihm alles gibt, was du nicht kannst.“*
Dann ging sie. Und Emma blieb allein in der Küche zurück. Etwas würgte in ihrer Brust. Sie wollte schreien, hatte aber keine Kraft. Sie wollte Markus anrufen – doch was sollte sie sagen?
Als er drei Tage später zurückkam, brach es aus ihr heraus:
*„Ich… ich lasse dich frei. Du verdienst Glück, Markus. Du sollst Vater werden.“*
*„Was redest du da für einen Unsinn?“*, packte er sie an den Schultern. *„Bist du verrückt geworden?“*
*„Ich kann dir kein Kind geben. Du träumst doch davon. Und ich…“*
*„Und? Ist das ein Grund, mich aus unserem Leben zu werfen? Ich liebe dich, Emma. Nicht wegen Kindern. Nicht wegen Zukunft. Wegen dir.“*
*„Und wenn ich es niemals kann?“*
*„Dann bleibe ich trotzdem. Für immer. Ohne Bedingungen.“*
Sie weinte. Und erzählte ihm alles. Den Besuch. Das Gespräch. Die Worte.
Markus wurde blass. Am nächsten Morgen fuhr er zu seiner Mutter.
Was in ihrer Wohnung geschah, wurde noch lange von den Nachbarn besprochen. Er schrie. Er sagte, sie würde niemals wieder ihre Wohnung betreten. Dass sie sich nicht einmischen dürfe. Dass er es nicht dulden würde…
Und er hielt Wort. Ein halbes Jahr lang sah Helga ihren Sohn nicht. Weder Emma noch das Enkelkind, von dem sie so geträumt hatte. Denn das Wunder geschah. Zwei Monate nach dem Gespräch zeigte der Test endlich zwei Streifen. Den, auf den Emma so lange gewartet hatte.
Vielleicht lag es daran, dass sie ihre Angst losließ. Dass Markus’ Gewissheit ihre Sorgen schmelzen ließ.
Doch Markus wollte es seiner Mutter nicht erzählen. Emma dagegen schon. Aber sie wusste – es war zu früh. Erst als der Bauch schon deutlich zu sehen war, sagten sie es.
Helga weinte. Sie bat um Verzeihung. Versprach, sich nie wieder einzumischen. Der Enkel wurde gesund und stark geboren. Und sie wurde eine gute Oma. Doch zwischen ihr und Emma blieb immer eine Distanz. Stumm. Eisig.
Emma konnte viel verzeihen. Aber nicht, dass man sie ausradieren wollte. Nicht, dass man ihr ihren Mann nehmen wollte. Und die Liebe. Und die Hoffnung. Und das Leben.
Sowas vergisst man nicht.