Eine schicksalshafte Reise ins Elternhaus
An einem frostigen Dezembermorgen machten sich Luisa und ihr Mann Markus auf den Weg in das kleine Städtchen Tannenberg, um Luisas Eltern zu besuchen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, und der bleierne Himmel kündigte einen Sturm an. Vor ihnen lag eine lange Fahrt voller Sorgen und unerwarteter Wendungen. Die Eltern erwarteten sie bereits, und als das Auto vor dem vertrauten Haus hielt, wurden sie mit warmen Umarmungen und fröhlichen Glückwünschen empfangen. Zusammen betraten sie das gemütliche Haus, wo dampfende Gerichte auf dem Tisch standen. Es roch nach frischem Gebäck, und im Kamin knisterte das Feuer, was eine Atmosphäre der Geborgenheit schuf.
Luisas Vater, Heinrich Weber, zog Markus ins Wohnzimmer, um über „Männerdinge“ zu sprechen – Politik, Autos und Angeln. Luisa und ihre Mutter, Gisela, zogen sich in die Küche zurück, wo sie bei einer Tasse Tee über Persönliches plauderten. Die Mutter war besorgt: Warum dachten die Jugendlichen noch immer nicht an Kinder? Luisa lächelte beruhigend:
„Es wird schon werden, Mama. Noch ein Jahr, dann klären wir das.“
Doch in ihrer Stimme lag Unsicherheit, und in ihrem Herzen ein unbestimmtes Gefühl der Angst. Die Nacht hüllte das Haus ein, und der Wind heulte draußen, als kündige sich ein Schneesturm an. Luisa kuschelte sich an Markus, und seine Umarmung war so zärtlich wie in den ersten Jahren ihrer Liebe. Sie schlief ein und fühlte sich sicher, doch tief in ihr nagte eine Vorahnung des Unglücks.
Am nächsten Morgen weckten sie der Duft von frischem Kaffee und goldbraunen Pfannkuchen. Luisa wusch sich mit eiskaltem Wasser, um die letzten Spuren des Schlafs abzuschütteln, und gesellte sich zu Markus. Dieser rieb sich die Schulter und stöhnte plötzlich vor Schmerz. Sein Gesicht verzog sich, und Luisa erstarrte – etwas war nicht in Ordnung.
„Nur die Schulter wieder“, murmelte er und zwang sich zu einem Lächeln. „Wird schon vergehen.“
Gisela, die das Gespräch hörte, brachte eine selbstgemachte Salbe und einen warmen Schal. Geschickt verband sie die Hand ihres Schwiegersohns und redete beruhigend auf ihn ein. Doch Luisa sah, wie er zusammenzuckte, und ihr Herz krampfte sich vor Sorge zusammen.
„Schatz, ich glaube, du musst fahren“, flüsterte Markus, als sie allein waren.
Sie nickte, obwohl jeder Nerv in ihr dagegen protestierte. Die Rückfahrt versprach beschwerlich zu werden, und nach dem nächtlichen Schneesturm war die Vorstellung noch beängstigender. Doch es gab kein Zurück mehr.
Dieses Jahr wurde für Luisa und Markus eine Prüfung. Silvester konnten sie nicht bei den Eltern verbringen: Markus bestand auf einem wichtigen Geschäftstermin mit Partnern, die seinem Unternehmen neue Chancen eröffnen könnten. Luisa verstand, dass es notwendig war, doch das schlechte Gewissen gegenüber ihren Eltern ließ sie nicht los. Sie beschlossen, sie zwei Wochen vor den Feiertagen zu besuchen, um Geschenke zu bringen und sich zu erklären. Die Geschenke – ein neues Smartphone für den Vater und warme Stiefel für die Mutter – waren sorgfältig verpackt, im Kofferraum lagen Obst, Wein und Süßigkeiten. So war es in ihrer Familie Brauch.
Doch unerwartet überschattete eine Nachricht ihre Stimmung. Am Vorabend der Reise erfuhr Luisa, dass ihre Kollegin Martina, mit der sie über zehn Jahre zusammengearbeitet hatte, gestorben war. Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihr Herz zersprang vor Schmerz. Markus umarmte sie tröstend, doch der Gedanke, wie zerbrechlich das Leben war, ließ sie nicht mehr los.
Die Nacht vor der Abreise war unruhig. Luisa hatte Albträume, konnte sich aber am Morgen an keinen erinnern. Nur die schwere Last der Angst lastete auf ihrer Brust. Sie schwieg, um Markus nicht zu beunruhigen, und sie brachen bei Tagesanbruch auf.
Überraschenderweise war der Morgen klar. Ein leichter Frost und vereinzelte Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken. In der Stadt war die Straße glatt, doch auf der Autobahn atmeten sie erleichtert auf: Der Asphalt war frei. Doch nach hundert Kilometern änderte sich alles. Der Himmel verdunkelte sich, und Schneefall setzte ein. Das Auto kämpfte sich durch den Sturm, und Luisa umklammerte das Lenkrad, um nicht der Panik nachzugeben.
Als sie endlich in Tannenberg ankamen, warteten die Eltern schon am Tor. Umarmungen, Lachen, das warme Heim – all das vertrieb für einen Moment die Sorgen. Beim Abendessen fühlte sich Luisa wie in ihre Kindheit zurückversetzt: vertraute Düfte, die lustigen Sprüche der Mutter, die Geschichten des Vaters. Doch das Gespräch über Kinder ließ sie wieder von Verantwortung durchbohren. Die Mutter sah sie hoffnungsvoll an, und um sie zu beruhigen, versprach Luisa, dass sich bald etwas ändern würde.
In der Nacht schien der Sturm über sie hereinzubrechen. Der Wind heulte, als trauere er um unerfüllte Träume. Luisa kuschelte sich an Markus, in Decken eingewickelt. Seine Zärtlichkeit ließ sie für einen Moment alles vergessen. Doch der Gedanke an die morgige Fahrt ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Am Morgen, nach einem reichhaltigen Frühstück, gestand Markus, dass seine Schulter immer noch schmerzte. Luisa nahm allen Mut zusammen und setzte sich ans Steuer. Die Eltern verabschiedeten sie lächelnd, doch in den Augen der Mutter erkannte Luisa Besorgnis. Als das Auto anfuhr, flüsterte Gisela:
„Der Schutzengel möge euch begleiten…“
Die Fahrt war ein Albtraum. Unzureichend geräumte Abschnitte, glatter Asphalt, entgegenkommende Fahrzeuge – all das verlangte Luisas ganze Konzentration. Markus schwieg und wies nur hin und wieder auf die nächste Tankstelle hin. Er versprach, sie später abzulösen, doch sie sah, wie er vor Schmerz die Stirn runzelte.
Dann – das Unglück. Ein entgegenkommendes Auto geriet auf ihre Spur. Luisa riss das Lenkrad nach rechts, doch die Straße war spiegelglatt. Das Auto drehte sich, und ein Gedanke blitzte in ihr auf: „Jetzt ist es soweit.“ Die Sekunden dehnten sich zur Ewigkeit. Ihr Wagen rutschte von der Straße, versank im tiefen Schnee und kam schräg liegend an einem Baum zum Stehen.
Der Motor lief noch, aus den Lautspielern klang Musik. Luisa und Markus, angeschnallt, erstarrten und konnten kaum glauben, dass sie unverletzt waren. Ihr Mann brach das Schweigen:
„Luisa, geht es dir gut?“
Sie nickte, während ihre Hände zitterten. Markus, den Schmerz vergessend, umarmte sie fest, und in diesem Moment eilten andere Autofahrer zu ihnen. Mehrere Helfer reichten ihnen heißen Kaffee aus Thermoskannen. Ihr Auto hatte nur leichte Schäden: eine Beule und ein zerbrochener Spiegel. Die Rettungskräfte zogen es schnell auf die Straße zurück – alles war funktionstüchtig.
„Glück gehabt“, sagte einer der Helfer. „Der weiche Schnee hat euch gerettet. Könnt ihr weiterfahren?“
„Ja“, antwortete Markus entschlossen und übernahm das Steuer.
Sie setzten ihre Fahrt fort, und bald verschwanden die Begleitfahrzeuge in der Dämmerung. Zuhause riefen sie die Eltern an, ohne von dem Unfall zu erzählen. Doch Luisas Gedanken kreisten um die Worte ihrer Mutter. Der Schutzengel hatte sie bewahrt, da war sie sicher.
Ein paar Wochen später erfuhr LuBei der nächsten Arztuntersuchung erwartete Luisa die freudige Nachricht: Sie erwartete ein Kind – der Schutzengel hatte nicht nur sie, sondern auch das neue Leben in ihr bewahrt.