Warum denkst du, nur weil ich in Rente bin, muss ich auf deine Kinder aufpassen? Oma hilft nicht mit den Enkeln und geht auf Dates!
Hat mein Privatleben in meinem Alter kein Recht zu existieren? Diese Frage stelle ich mir, während ich in das verärgerte Gesicht meiner Tochter blicke, die verlangt, dass ich alles für ihre Kinder opfere. Aber ich bin nicht bereit, mich aufzuopfern. Nicht jetzt, wo ich endlich Freiheit gefunden habe.
„Mama, können wir mit den Kindern eine Weile bei dir wohnen?“ flehte Katja an, während sie auf meinem Sofa in unserer gemütlichen Wohnung in der Münchner Innenstadt saß. Ihr Gesicht war so sauer, als hätte sie eine Zitrone gegessen.
Ich drehte mich nicht einmal um. Vor dem Spiegel stehend, tupfte ich Gesichtscreme auf und strich sie über meinen Hals.
„Und warum genau sollt ihr bei mir wohnen?“ warf ich hin. „Du hast einen Mann, eine eigene Wohnung. Die Kinder wolltest du selbst bekommen, da hättest du vorher nachdenken sollen!“
„Ich bin müde, es ist zu viel! Ich will mal ausschlafen, mich erholen! Du bist doch in Rente!“ jammerte Katja.
„Und du in Elternzeit!“ Ich wandte mich vom Spiegel ab und sah sie kalt an. „Warum glaubst du, nur weil ich in Rente bin, muss ich auf deine Kinder aufpassen?“
„Das sind deine Enkel!“ rief sie empört.
„Nein, das sind vor allem deine Kinder! Deine und Tims!“ Meine Geduld riss. „Geh nach Hause. Dein Mann kommt bald zurück, und du hast wahrscheinlich noch nichts gemacht.“
„Ich sehe ihn kaum mehr!“ Katja begann zu schreien. „Er kommt von zwei Jobs heim und geht sofort schlafen! Alles liegt an mir – die Kinder, der Haushalt, das Kochen! Er würde eine Woche ohne mich klarkommen, aber ich könnte bei dir ausruhen, ausschlafen, nicht kochen. Du könntest auf die Enkel aufpassen!“
„Soll ich dir ein Taxi rufen, Schätzchen?“ fragte ich gleichgültig. „Die Kinder sind satt, sie müssen nur noch ins Bett, und deinem Mann machst du ein anständiges Abendessen.“
„Schon gut, ich ruf selbst eins!“ Katja bestellte ein Taxi und packte die Kinder zusammen. „Großmutter mein Fuß! Alle Omas kümmern sich, aber die da denkt mit über 60 noch an ihr Liebesleben! Keine Scham? Schande!“
Ich explodierte.
„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?!“ Mein Schrei ließ die einjährige Lina weinen und den dreijährigen Finn zurückzucken. Ich beruhigte die Kleinen und flüsterte weiter: „Ich habe dich und Jan alleine großgezogen! Euer Vater ist zu einer anderen durchgebrannt und hat dort Kinder gezeugt. Jan kommt allein klar, hängt mir nicht seine Kinder an! Und ich habe meine Eltern nicht gequält, obwohl sie direkt nebenan wohnten!“
Katja holte tief Luft, um zu widersprechen, doch dann klingelte das Telefon – das Taxi war da. „Dann renn du mal weiter deinen Männern hinterher, wenn du deine Enkel nicht liebst!“ fauchte sie als Abschied und knallte die Tür hinter sich zu.
Ich kehrte zum Spiegel zurück. Zeit, die Creme abzuwaschen und Make-up aufzutragen – gleich hatte ich ein Date im Restaurant. Ich weiß, was ich tue. Zwanzig Jahre habe ich im Schönheitssalon gearbeitet, und mein Leben war nicht einfach. 1991 wurde Jan geboren, 1997 Katja. Als meine Tochter noch kein Jahr alt war, erfuhr ich, dass mein Mann ein Kind mit einer anderen erwartete. Er diskutierte nicht, rechtfertigte sich nicht – er packte einfach seine Sachen, als ich nicht da war, und verschwand. Dann zur nächsten, und wieder ein Kind. Auf Unterhalt konnte ich nicht hoffen. Meine Eltern schämten sich, um Geld zu bitten – sie waren gegen meine Ehe mit Klaus. Immerhin blieb die Wohnung.
Jan kam in die Schule, Katja erst mit drei in den Kindergarten. Meine Freundin rettete mich: Sie brachte Kosmetik einer bekannten Marke, und ich nahm Katja mit, um morgens bei Kundinnen zu verkaufen, nachmittags holte ich Jan von der Schule ab. Als meine Eltern von der Scheidung erfuhren, schimpften sie mich aus, weil ich nichts gesagt hatte, aber sie halfen mit Geld. Ich lehnte ab – ich wollte allein klarkommen.
Bald fand ich eine Putzstelle im Schönheitssalon. Mein Wissen über Kosmetik beeindruckte die Besitzerin, und sie riet mir zur Ausbildung. Ich machte Kurse für Visagistin und Maniküre, perfektionierte meine Fähigkeiten und wurde ihre rechte Hand. Jan ist erwachsen, verheiratet, hat eine tolle Frau und zwei Kinder, wohnt allerdings in einer Mietwohnung. Als meine Eltern starben, erbte Katja ihr Haus – Jan verzichtete: „Lass die Schwester dort wohnen, aber schreib es nicht auf ihren Mann, nur für den Fall.“
Mit 57 hatte ich einen Mini-Schlaganfall. Ich erholte mich und dachte: Genug gestresst. Ich kündigte, nehme nur noch Kundinnen zu Hause an. Die Salonbesitzerin unterstützte mich. Jetzt bin ich 61, in Rente und treffe mich mit Matthias – einem geschiedenen Mann in meinem Alter mit erwachsenen Kindern. Er hat seine eigene Wohnung, aber wir wissen noch nicht, ob wir zusammenziehen. Hauptsache, zwischen uns funkt es – und ich bin glücklich. Nach einem Leben voller gescheiterter Beziehungen habe ich das verdient.
Aber Katja! Mit 19 heiratete sie, bekam sofort zwei Kinder. Es war ihre Idee – obwohl Tim warten wollte. Und jetzt jammert sie: „Mama, ich bin so müde, du bist in Rente, pass auf die Kinder auf!“ Dachte sie, Muttersein sei einfach? Tim rackert sich mit zwei Jobs ab, geht um sieben, kommt um neun heim, und sie regt sich auf. Sie will ausschlafen! Was für eine Egoistin!
Im Restaurant, neben Matthias, klingelte mein Telefon. Es war halb elf abends, besorgt nahm ich ab.
„Mama, ich sitz hier und denk: Warum bist du so egoistisch? Dein Privatleben ist wichtiger als deine Enkel?! Ich finde keinen Frieden! Du hast mich rausgeworfen, ohne mir anzubieten zu bleiben! Was fällt dir ein, Männer mit nach Hause zu nehmen?“ Katja keuchte vor Wut.
„Hast du Tim was gekocht?“ fragte ich ruhig. „Was gab’s? Tiefkühlravioli?“
„Was interessiert dich das?!“ fauchte sie. „Ja, Ravioli, und?“
„Er schuftet für dich und die Kinder, und du kochst nicht mal richtig?“
„Wem tut’s mehr leid – mir mit den Kindern oder deinem Schwiegersohn?“ spottete sie.
„Ihm und den Kindern!“ schnitt ich ab. „Es ist meine Schuld, dass ich, beschäftigt mit Arbeit, nicht gemerkt habe, wie ich eine faule Egoistin großgezogen habe. Die Kinder und Tim leiden unter dir! Wag es nicht, mich ohne Grund anzurufen, und vergiss, sie mir zum Ausruhen in die Schuhe zu schieben!“
Das Gespräch endete. Matthias, verlegen, fragte:
„Ist nicht mein Business, aber tut’s dir nicht leid, deine Tochter so zu verletzen?“
„Matthias, wer verletzt hier wen?“ seufzte ich. „Woher kommt das Klischee, dass Omas ihr Leben für Enkel opfern müssen? Nein, müssen sie nicht! Wenn ich meine Tochter schlecht erzogen habe, dann versuche ich wenigstens, es jetzt geradezubiegen. Leid tun? Nein, sie tut mir überhaupt nicht leid.“