„Willst du deinen eigenen Bruder auf die Straße setzen?“ – so verletzt war meine Mutter, weil wir meinen erwachsenen, arbeitslosen Bruder und seine schwangere Frau nicht bei uns aufnehmen wollten.
In jeder Familie gibt es Konflikte und Missverständnisse. Manchmal sind sie flüchtig, manchmal aber hinterlassen sie tiefe Risse zwischen den engsten Menschen. Meine Familie aus München bildet leider keine Ausnahme.
Meine Mutter, Helga Schmidt, zittern noch heute die Hände vor Wut, weil mein Mann und ich uns weigerten, meinen jüngeren Bruder Timo und seine junge Frau in unserer Wohnung unterzubringen. Einfach so. Ohne Miete, ohne Vertrag, „nur für ein paar Monate, bis sie sich sortiert haben“. Das Problem ist nur: Aus „ein paar Monaten“ werden schnell Jahre, und wir vermieten die Wohnung mit diesem Geld, um unseren Kredit abzuzahlen. Und ja, die Wohnung gehört nicht meiner Mutter, sondern offiziell meinem Mann, weil er – im Gegensatz zu meinem Bruder – arbeitet, zahlt und plant.
Aber für meine Mutter zählt nur eines: „Blut ist dicker als Wasser“, also „müssen“ wir.
Mein Vater starb, als ich zwölf war und Timo gerade eingeschult wurde. Wir beide trauerten schwer, aber meine Mutter entschied irgendwie, dass er es am schlimmsten traf. Damals schon hat sie ihn wie ein rohes Ei behandelt. Keinen Teller abwaschen, kein Zimmer aufräumen – „er ist noch so klein“. Ich war älter, also lag alles an mir.
Ich musste früh erwachsen werden. Waschen, kochen, putzen. Als es Zeit für die Uni war, war meine Mutter dagegen. „Die Familie hängt von dir ab“, „Studieren ist ein Luxus“, sagte sie. Ich jobbte nebenher: Vorlesungen am Morgen, Kellnern am Abend. Meine Mutter mochte es nicht, nahm das Geld aber trotzdem. Und machte mir Vorwürfe für jeden Euro, den ich für mich ausgab. Jeden Versuch, auszuziehen, nannte sie „Verrat“.
Dann traf ich Markus. Drei Jahre älter, Ingenieur, verlässlich wie ein Fels. Nach einem Jahr machte er mir einen Antrag. Wir heirateten und mieteten eine Zweizimmerwohnung. Bei der Familie wohnen? Niemals – wir wollten unser eigenes Leben. Ich fing im Büro an, wir sparten. Sein Gehalt deckte die Kosten, meins ging in den Bausparvertrag.
Dann starb sein Vater. Meine Schwiegermutter war am Boden zerstört. Ihre Schwester in Spanien lud sie ein – frische Meeresluft sollte helfen. Sie besaß eine große Altbauwohnung. Wir schlugen vor: „Lass uns die Wohnung vermieten, wir schicken dir das Geld – für die Rente, für Reisen.“ Alles sauber, alles fair.
Drei Jahre vergingen. Meine Schwiegermutter fühlte sich wohl, eine Rückkehr war nicht geplant. Wir sparten weiter, zahlten den Kredit ab. Dann sagte sie: „Ich überschreibe die Wohnung auf Markus. Ihr habt es verdient. Ihr braucht Sicherheit.“ Wir waren gerührt.
Doch dann kam alles anders. Mein Bruder Timo hatte inzwischen geheiratet. Seine Frau, Lisa, gerade achtzehn, im vierten Monat schwanger. Beide lebten bei meiner Mutter – ein Zimmer, dauernd Streit. Meine Mutter mochte Lisa nicht, aber rauswerfen? Und dann erfuhr sie von der überschriebenen Wohnung.
Helga Schmidt stand plötzlich mit einem „selbstgebackenen Kuchen“ vor unserer Tür, strahlend:
„Ihr seid so wunderbar! So klug! Ich dachte mir… Vielleicht könnt ihr Timo und Lisa bei euch aufnehmen? Nur ein paar Monate. Die Wohnung steht doch leer. Es ist nicht so, als hättet ihr keinen Platz!“
Ich blieb ruhig. Doch innerlich kochte ich.
„Mama, die Wohnung ist vermietet. Das Geld geht in den Kredit. Das ist keine Laune, das ist Pflicht. Wir können sie nicht einfach räumen“, erklMeine Mutter packte wortlos den Kuchen ein, warf mir einen enttäuschten Blick zu und ging – und bis heute weiß ich, dass wir die einzige Entscheidung treffen konnten, die uns nicht selbst zugrunde gerichtet hätte.