**Im Schatten der Prüfungen**
„Ich bin kein Babysitter“, knurrte Tobias. „Ich schufte den ganzen Tag.“
„Aber ich muss zum Friseur“, flehte Larissa.
„Hol dir jemanden nach Hause. Kostet nicht viel mehr.“
Eltern, die hätten helfen können, hatten sie nicht. Weder Larissa noch Tobias. Seine Eltern waren längst nach Kanada gezogen, nach Toronto, und planten nicht zurückzukommen. Nicht einmal für die Enkel.
„Er ist wunderbar!“, beteuerte Larissa von ihrem Mann, doch ihre Freundinnen schüttelten nur den Kopf.
Ihre engste Freundin, Katrin, presste die Lippen zusammen und warf ihr vor: „Ich würde mir das nie gefallen lassen! Du bist doch nicht seine Sklavin! Warum behandelt er dich so?“
Es ging um Tobias. Seit sechs Jahren waren sie verheiratet, doch ihre Freundinnen hielten ihre Entscheidung für einen Fehler. Für sie war Tobias ein Tyrann, ein Despot, der ihren Willen brach.
Ihr Familienleben war tatsächlich ungewöhnlich. Tobias verdiente das Geld – er besaß eine eigene Transportfirma –, doch zu Hause half er nicht. Kochen, Putzen, Waschen – alles lag an Larissa. Ihr vierjähriger Sohn, Maxim, war ebenfalls ihre Aufgabe. Allein mit dem Kind ließ Tobias sie nie.
„Ich bin kein Babysitter“, wiederholte er. „Ich bin müde.“
„Kommt zu uns!“, bat Schwiegermutter Helga. „Maxim und ich hätten unsere Freude. Und fliegen wollt ihr nicht, wir sind zu alt.“
Sie war kaum sechzig, doch Larissa konnte sie nicht in das kleine Städtchen Prien am Chiemsee locken. Tobias versprach, sie würden eines Tages nach Toronto ziehen, doch er schob es immer wieder auf.
Larissas Mutter, Anne-Marie, hatte sie nach der Scheidung allein großgezogen. Ihr Vater war aus ihrem Leben verschwunden, als sie zwei war. Vor sieben Jahren starb ihre Mutter an einer Krankheit. Damals, als Larissa am Boden zerstört war, wurde Tobias, mit dem sie gerade erst zusammenkam, ihr Halt. Nicht ihre Freundinnen, sondern er. Katrin, die im Nachbarhaus wohnte, war damals krank und kam nicht, als Larissa anrief. Das war verständlich – die Freundin schonte ihre Gesundheit –, doch in ihrer Trauer blieb Tobias an ihrer Seite.
Zwei Jahre später heirateten sie. Drei Jahre danach kam Maxim zur Welt. Da begriff Larissa: Zu Hause war Tobias keine Hilfe. Sie raffte sich auf, so gut sie konnte. Treffen mit Freundinnen wurden selten – sie mochten es nicht, wenn sie mit dem Kinderwagen kam. Maxim konnte quengeln, musste gefüttert und gewickelt werden. Larissa sah, wie das ihre Freundinnen nervte, die selbst eine Pause von ihren Kindern brauchten. Sie hörte auf, zu den Mädelsabenden zu gehen. Niemand vermisste sie.
Manchmal kam Katrin vorbei. Sie lebte mit einem Mann ohne Trauschein und wollte keine Kinder.
„Warum holst du dir kein Kindermädchen?“, fragte sie eines Tages.
Larissa war überrascht. Wozu? Sie kam ja klar. Tobias gab ihr Geld, sie konnte Handwerker bestellen.
„Wozu?“, zuckte sie mit den Schultern.
„Du bist immer nur bei Maxim! Da wird man ja verrückt.“
„Wieso? Er ist mein Sohn. Ich liebe ihn.“
„Du brauchst Pausen. Oder knausert er mit dem Geld?“
Larissa schwieg. Sie hatte Tobias nie nach einem Kindermädchen gefragt, doch sie ahnte, er würde sagen: „Komm allein zurecht.“
„Siehst du, und du redest von ‚wunderbar‘“, spottete Katrin.
„Er ist wunderbar! Mir passt alles. Was mischst du dich ein?“
Sie stritten, Katrin ging. Larissa seufzte. Alles war gut! Tobias war perfekt. Wer das nicht sah – tschüss!
Tobias arbeitete viel, kümmerte sich persönlich um die Firma. Manchmal fand er Zeit für die Familie: Er ging mit Maxim in den Park oder ins Kino. Larissa sah, wie er seinen Sohn liebte. Doch zu Hause war er hilflos: Nicht einmal ein Brot schmierte er sich selbst – Frauensache. „Ich muss auf mich achten“, dachte Larissa, und ihr Herz zog sich zusammen. Warum dachte sie so etwas?
Eine Woche später erfuhr sie, dass sie schwanger war.
„Hurra! Maxim bekommt eine Schwester!“, freute sich Tobias.
„Du Poet“, lächelte Larissa.
Doch die Angst, die kürzlich im Park gekeimt war, blieb. Tobias und Maxim drehten sich im Karussell, sie stand daneben. Zum ersten Mal dachte sie: Ohne mich schafft er es nicht. Und jetzt – ein neues Leben. Freude, aber auch Furcht. Warum? Unklar.
Maxim kam in den Kindergarten.
„Damit du dich ausruhen kannst. Du bist schwanger“, sagte Tobias.
Doch zu Hause machte Larissa trotzdem alles.
„Wie willst du das schaffen, wenn ich im Krankenhaus bin?“, fragte sie.
„Ist nicht das erste Mal. Gestorben bin ich nicht.“
„Damals gab es Maxim noch nicht.“
„Quatsch. Im Kindergarten isst er. Abends bestell ich Pizza.“
„Sehr gesund“, seufzte Larissa.
Sie rief Schwiegermutter Helga an, deutete an, sie würde sich über Besuch freuen.
„Bring Maxim zu uns“, antwortete Helga.
Larissa hätte fast geschrien: „Er kennt euch nicht!“ Oma und Opa hatten ihren Enkel nur per Videochat gesehen. Das zählte nicht.
Es war klar: Sie würden nicht kommen. Larissa redete sich ein, drei Tage im Krankenhaus würden Tobias und Maxim schon überstehen.
Der Kindergarten erleichterte ihr Leben. Larissa ging einkaufen, zum Friseur, sogar ins Kino. Doch der Film war traurig, und sie fing an zu weinen. Einmal traf sie sich mit Freundinnen, doch sie lehnte Wein ab. Monika, eine ehemalige Klassenkameradin, verzog das Gesicht:
„Erst mit Kind – kein Essen, kein Trinken. Jetzt schwanger, Angst vor Wein. Was ist das für ein Leben?“
„Ein gutes. Es gefällt mir“, schnitt Larissa das Gespräch ab.
Sie beschloss, nicht mehr zu den Treffen zu gehen. Zwei Jahre ohne sie hatten funktioniert – es würde weitergehen.
Die Schwangerschaft verlief gut. Untersuchungen zeigten: Es wurde ein Mädchen. Doch mit den ersten Wehen begann der Albtraum. Larissa fuhr nachts im Krankenwagen ins Krankenhaus.
„Morgens bring ich Maxim in den Kindergarten und komme zu dir!“, rief Tobias.
Sie erklärte alles, hatte Angst, er würde etwas verwechseln.
„Was denn, Mama? Wo ist seine Gruppe?“, winkte er ab.
„Papa, ich kenne meine Gruppe!“, mischte sich Maxim ein.
Die Ärztin lächelte, der Wagen raste los.
Die Geburt dauerte zwölf Stunden. Larissa war erschöpft, doch es ging nicht voran. Eigentlich sollten zweite Geburten leichter sein, doch sie hatte Pech. Der Blutdruck war normal, die Ärzte bestanden auf natürlicher Geburt. Wehentropfen halfen nicht. Schließlich wurde ein Kaiserschnitt nötig.
Das Mädchen war gesund, doch Larissa fühlte sich schlechter.
„Mir geht es nicht gut!“, stöhnte sie.
Das Fieber stieg. Tests, Infusionen – nichts half. Die Entzündung wurde schlimmer, niemand fand die Ursache. Nach drei Tagen durfte das Baby mit Tobias nach Hause, Larissa blieb. Durch ihr Fieber quälte sie die Angst: Wie kamen sie ohne sie zurecht? Was, wenn sie starb? Was wurde aus ihren Kindern?
Professor Bergmann, der beste Gynäkologe der Region, wurde gerufen. Er sah Larissa an und befahl:
„Sofort zum CT!“
Das CT zeigte das Problem. „Halte durch, Kleine“, sagte der Professor. „Wir müssen dich ins Koma versetzen, sonst schaffst du die OP nicht. Alles wird gut.“
Larissa nickte schwach. VorLarissa erwachte aus der Narkose, spürte Tobias‘ Hand in ihrer und wusste, dass sie endlich die Familie hatte, auf die sie immer vertraut hatte – stark, liebevoll und unzerbrechlich.