Im Schatten des Sturms

Im Schatten des Gewitters

Maria Schneider betrat erneut die Schwangerschaftsberatungsstelle in der kleinen Stadt Waldbach. Im letzten Monat war sie schon mehrmals hier gewesen, und jedes Mal endete der Besuch mit Tränen, die unaufhörlich flossen. Tief in ihrem Herzen hoffte sie vielleicht, dass jemand sie davon abbringen, ihre Hand nehmen und sagen würde, dass alles gut wird. Doch eine Antwort auf diese stumme Frage gab es nicht. Das Leben hatte sich in einen festen Knoten verwandelt, und inmitten dieses Sturms befand sich ein unschuldiges Kind, das sie unter ihrem Herzen trug. Alle um sie herum – Verwandte, Bekannte, sogar die Ärzte – sagten dasselbe: „Wozu brauchst du als alleinstehende Frau in deinem Alter ein viertes Kind? Denk an dich selbst!“

Noch vor Kurzem war Marias Leben wie ein glückliches Gemälde gewesen: ein liebevoller Ehemann, ein gemütliches Zuhause in Waldbach, drei Kinder, deren Lachen und Getrampel das Haus mit Wärme erfüllten. Doch das Schicksal schlug zu: Ihr Mann kam bei einem Autounfall ums Leben und ließ sie allein mit drei Teenagern zurück. Das Überleben war schwer – Maria zog die Familie durch, so gut sie konnte, und vergaß dabei sich selbst. Sie fühlte sich nicht wie eine Frau, sondern wie eine erschöpfte Schattenfigur, die ständig von einer Sorge zur nächsten hetzte. Und doch sehnte sie sich irgendwann danach, sich wieder lebendig, begehrt und geliebt zu fühlen. Sie traf einen Mann, der ihr wie eine verlässliche Stütze erschien. Doch sobald das Thema Kind aufkam, verschwand er und warf ihr nur ein kaltes „Ich bin nicht bereit, Vater zu sein“ entgegen. Und Maria blieb allein zurück, mit einem schmerzerfüllten Herzen und Angst vor der Zukunft.

Die Zeit verging, doch eine Entscheidung fand sie nicht. Immer wieder kam sie in die Beratungsstelle, hörte sich die Argumente der Ärzte an, schüttelte den Kopf und weinte. Sie wusste nicht, wohin mit ihrem Schmerz, und die Wände der Klinik wurden zu ihrem stummen Zufluchtsort.

An diesem Abend saß Maria auf einem harten Stuhl im Flur, das Gesicht in den Händen vergraben. Tränen liefen über ihre Wangen, und ihre feuchten Haare klebten an ihrem Gesicht. Draußen tobte ein Gewitter, der Donner rollte über die Stadt, und plötzlich ging im Flur das Licht aus. Die Dunkelheit umfing Maria, und in ihrer Brust stieg Panik auf. „Lieber Gott“, flehte sie im Stillen und ballte die Fäuste, „beschütze mein Kind! Hilf mir, ich weiß nicht, was ich tun soll!“

Plötzlich flammte das Licht wieder auf, und der leitende Arzt erschien im Flur. Hinter ihm kam Klara Meier – Oma Klara, wie sie längst von allen genannt wurde –, klappernd mit einem Eimer und einem Wischmopp. Früher war sie Krankenschwester gewesen, die rechte Hand der Ärzte, die junge Mütter vor Komplikationen bewahrte und den Neugeborenen half. Ihre von der Arbeit geprägten Hände vollbrachten kleine Wunder, und ihre Gebete, von denen nur wenige wussten, brachten Heilung. Doch mit der neuen Leitung kam sie nicht zurecht, und so blieb sie im Ruhestand als Putzfrau in der Klinik. Oma Klara wurde respektiert und ein wenig gefürchtet: In ihr steckte eine unbeugsame Kraft, gemischt mit entwaffnender Güte.

Der Arzt ging vorbei, ohne Maria auch nur eines Blickes zu würdigen. Oma Klara dagegen blieb stehen. Sie wusch sich lange die Hände, wie sie es über Jahre in der Medizin gewohnt war, und setzte sich dann neben Maria.

„Na, erzähl mal, was dich so bedrückt“, sagte sie mit ihren klaren, fast jugendlichen Augen. „Schau, du hast den ganzen Flur mit Tränen geflutet.“

Maria hätte sich über diese Offenheit empören können, doch in Oma Klaras Augen lag so viel Wärme, dass sie nur noch stärker zu weinen begann. Die Worte sprudelten von selbst hervor: vom Tod ihres Mannes, vom schweren Leben mit drei Kindern, vom neuen Kind, das niemand erwartete – nicht der davongelaufene Vater, nicht die Verwandten, nicht die Ärzte.

Oma Klara hörte schweigend zu und fing dann leise an zu lachen – ihr Lachen war sanft wie ein Sommerwind. In ihren Augen blitzte es warm auf.

„Meine Mutter“, begann sie, „hat nach dem Krieg sechs Kinder allein großgezogen. Mein Vater kam nicht zurück, und sie nahm noch drei Nachbarskinder auf, Waisen. Sie arbeitete auf dem Feld, schlief drei Stunden am Tag, aber sie hat alle durchgebracht. Und alle sind etwas geworden, eine enge Familie, die die Mutter bis zuletzt verehrte. Und du, mein Kind, hör auf niemanden. Du wirst das Kind bekommen, und es wird deine Freude sein. Kinder sind Engel, die uns Gott zur Hilfe schickt. Hab keine Angst, bei Gott ist alles im Überfluss vorhanden.“

Diese Worte schienen Maria eine schwere Last von den Schultern zu nehmen. Sie spürte, wie sich Jahre der Müdigkeit und des Schmerzes auflösten und als wüchsen ihr plötzlich Flügel. Als sie wieder zu sich kam, stand sie schon draußen im warmen Regen, der ihre Tränen fortspülte. Ihr Herz war leicht, wie nach einem Gewitter, und das dunkle, bedrückende Gefühl war für immer verschwunden. Nun wusste sie genau, was sie tun würde.

Das Mädchen, das in jenem Jahr geboren wurde, wurde zum Herz der Familie. Klug, liebevoll, mit den gleichen blonden Haaren wie die Mutter, half sie mit fünf Jahren schon im Haushalt und war der Stolz ihrer älteren Brüder. Maria heiratete nie wieder – ein neues Wunder blieb aus. Doch was an jenem gewittrigen Abend geschah, war ein wahres Wunder. Ob es Oma Klara gewesen war oder ein Engel, den der Himmel geschickt hatte, wusste Maria nicht. Sie traf Klara Meier nie wieder. Manche nannten es ein Wunder, dass ihr ältester Sohn mit zwanzig zu verdienen begann und seine Mutter mit dem ersten Gehalt in ein Sanatorium schickte. Doch Maria lächelte nur: „Wir werden sehen, was aus meinen Kindern wird. Bei Gott, wie man weiß, ist alles im Überfluss.“

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