Mama hat mir unser Familienhaus am See versprochen… Doch nach der Renovierung hat sie plötzlich ihre Meinung geändert. Schon als Kind habe ich von diesem Haus geträumt. Ein kleines, altes Holzhaus am Bodensee – mit dem Duft von Tannennadeln, feuchter Erde, frischem Apfelkuchen und langen Sommerabenden. Jeden Sommer sind wir hingefahren: Mein Bruder, meine Schwester und ich sind bis unsere Lippen blau waren im See geschwommen, haben mit Papa geangelt und abends dem leisen Plätschern des Wassers und dem Knarren der alten Veranda gelauscht. Für mich war dieses Haus nicht nur ein Ferienort – es war ein Stück Seele, ein Teil der Familie, ein Ort, an dem es sich wirklich nach Zuhause anfühlte.
Als ich fünfunddreißig wurde, hat Mama fast beiläufig gesagt:
„Greta, du weißt doch, dass das Haus einmal dir gehört. Das habe ich schon lange entschieden. Du liebst es, du kümmerst dich immer darum.“
Ich hatte nicht darum gebeten, nichts verlangt. Ich habe es einfach geglaubt.
Ein Jahr verging. Das Haus begann zu verfallen: Das Fundament sackte ab, das Dach leckte, die Fenster klapperten im Wind. Mama wurde älter, Geld für die Sanierung hatte sie nicht. Und ich konnte nicht zusehen, wie dieser geliebte Ort zerfiel.
Ich verzichtete auf Urlaub, auf die geplante Reise, auf die neue Küche in meiner Wohnung. All meine Ersparnisse – alles für das Haus. Ich organisierte Handwerker, fuhr jedes Wochenende hin: kontrollierte, wählte Farben aus, half mit. Kaufte Möbel, suchte passende Stoffe aus. Ich habe diesem Haus buchstäblich neues Leben eingehaucht. Und Mama lächelte nur:
„Mein Gott, wie schön es geworden ist… Fast wie früher.“
„Ich habe dir ja gesagt, dass es noch einmal atmen wird“, antwortete ich, müde, aber glücklich.
Als alles fertig war, saßen wir auf der neuen Terrasse. Die Sonne ging unter, der Tee in unseren Tassen wurde kalt. Plötzlich senkte sie den Blick und flüsterte fast:
„Greta… Ich habe das Haus Lotte gegeben.“
„Wie bitte?“ – Ich verstand nicht gleich.
„Nun, deiner Schwester… Sie hat es doch schwer. Die Scheidung, das Kind, keine Wohnung. Ich dachte, sie braucht es mehr…“
Ich war wie gelähmt. Saß einfach da und schwieg. In mir riss alles ab. Als hätte mir jemand ins Herz getreten. Dieses Haus war mein Sinn, mein Halt. Ich hatte geglaubt, es würde immer meins sein. Ich habe nicht nur Geld hineingesteckt – Kraft, Seele, Erinnerungen. Und Lotte? Sie hatte nie an dieses Haus gedacht. Nie hingefahren. Dieser Ort hatte sie nie interessiert. Und Mama hat nicht einmal mit mir geredet. Einfach so – weggegeben.
Ich habe keinen Streit angefangen. Nicht geschrien. Bin nur still aufgestanden und gegangen. Tage lang konnte ich nicht essen, nicht schlafen, nicht sprechen. In meiner Brust war es so leer, dass selbst das Atmen schwerfiel. Es fühlte sich an, als hätte Mama mir etwas Lebendiges herausgerissen – und einfach weggeworfen. Als hätte sie gesagt: „Du schaffst das schon, du bist stark.“ Nur… ich habe es nicht geschafft.
Nach einer Woche habe ich mich endlich aufgerafft und angerufen:
„Mama, bereust du es wenigstens ein bisschen?“
Sie schwieg. Dann sagte sie:
„Ich wollte euch beiden helfen… Aber ich habe wohl die verletzt, die immer da war.“
Seitdem komme ich immer seltener zu Besuch. Meine Schwester lebt in dem Haus. Wir reden kaum noch. Das Haus am See ist kein Zuhause mehr. Es ist nur noch ein Ort. Leer. Kalt. Wie der Teil meiner Seele, der dort zurückblieb.
Manchmal kommt der Verrat nicht von Fremden, sondern von den Nächsten. Versprechen, die in Liebe gegeben werden, besonders zwischen Eltern und Kindern, sollten heilig sein. Denn der Verrat, der durch die Hände der eigenen Familie geschieht, heilt nicht mit der Zeit, nicht mit Vergebung. Er lässt sich nicht mit Worten kitten, nicht mit Erklärungen wiedergutmachen. Er bleibt einfach – bei dir. Für immer.