Der erste Geschenk nach seinem Tod

28 Jahre lang hatte Anna Bergmann in einer glücklichen Ehe gelebt, ohne jemals ein Geschenk von ihrem Mann erhalten zu haben. Doch eines Morgens, lange nach seinem Tod, klopfte es an die Tür – und ein Paket mit einer Erklärung enthüllte, warum er ihr nie etwas geschenkt hatte.

Als Anna Michael Hofmann heiratete, war sie überzeugt, die beste Entscheidung ihres Lebens getroffen zu haben. Sie hatten sich kennengelernt, als Michael, ein bescheidener Lagerarbeiter einer Möbelfirma, ein neues Sofa in das Hotel lieferte, in dem Anna an der Rezeption arbeitete. Seine warmherzige Art und die Freude an kleinen Dingen gewannen ihr Herz, und schließlich war sie es, die ihm einen Heiratsantrag machte. Trotz ihres einfachen Lebens war Michael voller Liebe, und Anna fühlte sich als die glücklichste Frau der Welt.

Jahre später erbte Michael die Möbelwerkstatt seines alten Chefs, des kinderlosen Handwerksmeisters Heinrich. Unter Michaels Leitung florierte das Geschäft, doch eine Sache trübte Annas Freude: Er schenkte ihr nie etwas. In den ersten Jahren, als Geld knapp war, sah sie darüber hinweg. Doch selbst als sie es sich leisten konnten, blieben Geschenke aus – weder zum Hochzeitstag noch zu ihrem Geburtstag. Dabei war er großzügig zu anderen: Er spendete für wohltätige Zwecke, verwöhnte die Kinder mit den schönsten Spielsachen, doch ihre versteckten Hinweise auf ein kleines Zeichen der Zuneigung schien er nie zu verstehen.

Einmal, beim Mittagessen mit Freundinnen in einem Café am Rhein, musste Anna mit ansehen, wie diese sich mit den Geschenken ihrer Männer brüsteten. Claudia zeigte stolz eine goldene Halskette, und Birgit erzählte von unerwarteten Blumensträußen, die sie im Büro überraschten. Als sie fragten, was Michael ihr geschenkt habe, log Anna mit bebender Stimme: »Wir haben uns entschieden, Liebe durch Taten statt durch Geschenke auszudrücken.« Ihre Tränen hielt sie nur mit Mühe zurück.

Eines Tages deutete Anna zaghaft auf einen Saphirbroschen, von dem sie träumte, in der Hoffnung, er würde ihn zu ihrem Hochzeitstag kaufen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne: Zwei Tage vor dem Jubiläum erhielten sie die niederschmetternde Diagnose – Michael hatte unheilbaren Krebs. Nur noch wenige Monate blieben ihm. Anna vergaß alle Wünsche und widmete sich ganz seiner Pflege. Sieben Monate später war sie untröstlich – er war für immer gegangen.

Zehn Tage nach seinem Tod, an ihrem 28. Hochzeitstag, fand Anna ein geheimnisvolles Paket vor der Tür. Darin lag ein Brief und ein besonderer Adventskalender mit 28 Fächern – eines für jedes gemeinsame Jahr. Mit Tränen in den Augen las sie:

»Meine geliebte Anna«, stand darin, »zum 28. Hochzeitstag. Verzeih mir, dass ich dir nie etwas geschenkt habe. Du weißt, wie schwer meine Kindheit war. Nach dem Tod meines Vaters nahm mir meine Stiefmutter alles, was er mir hinterlassen hatte. Ich schwor mir, nie eine Frau zu heiraten, die mich nur des Geldes willen liebte. Selbst als es uns besser ging, hatte ich Angst, Geschenke könnten die Reinheit unserer Liebe trüben. Doch ich lag falsch. Ich verstand nicht, wie sehr ich dich verletzt habe. Deine Andeutungen über die Saphirbrosche habe ich gehört, und obwohl die Zeit nicht mehr reichte, all deine Wünsche zu erfüllen, bat ich einen Freund, mir mit diesem Kalender zu helfen. Möge er dir Freude bringen. Der Tod hat uns getrennt, doch meine Liebe zu dir ist ewig. Dein nicht ganz so knausriger Michael.«

In den folgenden Tagen öffnete Anna ein Fach nach dem anderen, beginnend mit ihrem letzten gemeinsamen Jahr. Darin fand sie die ersehnte Saphirbrosche, Tickets nach München, wo sie ihre Flitterwochen verbracht hatten, ihr Lieblingsparfüm, eine Perlenkette und vieles mehr – für jedes Jahr ihrer Ehe ein symbolisches Geschenk. Jedes einzelne war mit so viel Liebe ausgewählt, dass sie spürte, wie Michaels Zuneigung in ihr weiterlebte.

Auch wenn er für immer gegangen war – jedes Geschenk war wie ein leises Echo seiner Seele und erinnerte sie daran, dass er sie auf seine eigene, stille Art immer geliebt hatte.

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