**Schatten des Verdachts: Ein Bruch in Marlenes Leben**
Marlene betrat ihre Wohnung im ruhigen Münchner Vorort, müde von einem langen Arbeitstag. Kaum war sie über die Schwelle getreten, bemerkte sie, wie ihr Mann Thomas hektisch ihre Kleider in einen Koffer warf. Seine Bewegungen waren ruckartig, sein Gesicht wie versteinert.
„Tom, was machst du da?“, fragte Marlene mit einem gezwungenen Lächeln, während sie ihren Mantel ablegte. „Planen wir etwa einen Urlaub?“
„Nein, du ziehst aus“, antwortete er kalt, ohne sie anzusehen.
„Warum denn, Schatz?“, versuchte sie scherzhaft zu klingen, doch in ihr rumorte bereits eine dumpfe Angst.
„Schatz? Nenn den so, mit dem du am Samstag rumgemacht hast!“, fuhr er, sich abrupt umdrehend, sie an.
Marlene erstarrte, als hätte sie der Blitz getroffen. Ihr Herz stürzte in einen Abgrund, seine Worte hallten in ihrem Kopf nach. Erst jetzt verstand sie, worauf er hinauswollte.
Thomas war am Vortag erschöpft in den Aufzug seines Hauses gestiegen, gähnend. Die Nacht mit Marlene war leidenschaftlich gewesen – doch daran war nichts Ungewöhnliches. Im fünften Stock stieg Nachbar Jens ein und grinste verschmitzt.
„Tom, könnt ihr’s nicht etwas leiser machen?“, zwinkerte er. „Am Samstag habt ihr die ganze Etage wachgehalten, und heute wieder. Woher nehmt ihr nur die Energie?“
Thomas lächelte zunächst, geschmeichelt – doch dann verfinsterte sich sein Gesicht.
„Am Samstag?“, fragte er stirnrunzelnd. „Ich war doch bei meinen Eltern auf dem Land!“
Jens erstarrte, realisierte seinen Fehler.
„Oh, entschuldige, das wusste ich nicht“, murmelte er eilig und verließ den Aufzug im Erdgeschoss.
Den ganzen Tag über war Thomas wie auf Nadeln gesessen. Marlene hatte früh das Haus verlassen, eine Aussprache war nicht möglich gewesen. Er hatte versucht, sie anzurufen, doch sie ging nicht ran – sie hatte gewarnt, dass der Empfang auf dem Land schlecht sei. Seine Gedanken wirbelten: Wer war in ihrer Wohnung gewesen? Mit wem hatte sie die Nacht verbracht? Wut und Enttäuschung brodelten in ihm. Am Abend war seine Entscheidung gefallen: Scheidung. Keine Diskussion – sie sollte gehen.
Als er vor ihr nach Hause kam, bereitete er kein Abendessen zu wie sonst. Stattdessen packte er ihren Koffer voll – Kleider, Pullover, alles, was ihm in die Hände fiel. Jede Bewegung war von Zorn getrieben, jedes Stück ein stummes Urteil.
Marlene kam ahnungslos nach Hause und erstarrte beim Anblick ihres Mannes.
„Tom, was tust du da?“, fragte sie, die aufkeimende Panik überspielend. „Planen wir etwa einen Urlaub?“
„Nein, du ziehst aus“, warf er hin, ohne sich umzudrehen.
„Warum denn?“, presste sie ein Lächeln hervor, doch ihre Stimme zitterte. „Bist du krank, Schatz?“
„Schatz? Nenn den so, mit dem du in unserem Bett getobt hast!“, fuhr Thomas auf, seine Augen glühten.
Marlene rang nach Luft, trat einen Schritt zurück.
„Hast du die Tage verwechselt?“, stammelte sie, versuchte ihre Gedanken zu ordnen. „Gestern war doch Montag.“
„Ich hab nichts verwechselt!“, explodierte er. „Jens hat alles erzählt! In unserer Wohnung! Wie konntest du?“
Erst jetzt begriff Marlene das Missverständnis. Sie überlegte kurz und sagte dann, ein Lächeln unterdrückend:
„Tom, ich war am Samstag bei meiner Schwester. Habe ich dir das nicht gesagt?“
Thomas erstarrte, seine Hände über dem Koffer.
„Stimmt …“, murmelte er, ins Leere starrend. „Du hast es erwähnt.“
Er wirkte verwirrt, doch in seinen Augen glühte noch ein Rest Argwohn.
„Ich kam erst am Sonntagabend zurück“, fügte Marlene hinzu. „Katies Freund hat sie verlassen, ich habe sie getröstet – die ganze Nacht und den ganzen Tag.“
Thomas ließ die Kleider fallen und setzte sich schwer aufs Bett.
„Wer war dann hier?“, fragte er finster. „Hast du jemandem den Schlüssel gegeben?“
„Nein, aber ich habe die Hausverwaltung angerufen, bevor ich zu Katie fuhr“, erinnerte sich Marlene. „Ich bat darum, morgens unsere Katze zu füttern, damit ich nicht extra zurückmüsste. Sie haben einen Ersatzschlüssel. Vielleicht war es die Hauswartin?“
„Ach du …“, Thomas schlug sich gegen die Stirn. „In unserer Wohnung! Wer hatte dann Dienst?“
„Keine Ahnung, ich habe die Stimme nicht erkannt“, zuckte Marlene mit den Schultern. „Morgen fragen wir nach.“
„Es tut mir leid, Liebes, ich …“, begann Thomas, doch Marlene unterbrach ihn, die Arme verschränkend.
„Es tut dir leid?“, zischte sie. „Zuerst räumst du meine Sachen ordentlich zurück. Die zerknitterten Kleider bügelst du. Und ein neues kaufst du mir!“
„Wofür?“, empörte er sich.
„Damit du mich nie wieder grundlos verdächtigst!“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Nach dieser Nacht hättest du ohnehin keine Zweifel haben sollen!“
„Na gut, na gut“, ergab sich Thomas, die Hände hebend. „Am Wochenende kaufen wir ein Kleid. Und Schuhe. Und Jens werde ich Bescheid sagen, dass er den Mund hält!“
„Nein, Jens sei Dank“, grinste Marlene. „Ohne ihn wüssten wir nicht, was in unserer Wohnung los war.“
Thomas umarmte sie, schalt sich innerlich für seine voreiligen Schlüsse. Er begann ihre Sachen auszupacken, versuchte sich zu erinnern, wo was hingehörte. Ein Gedanke ließ ihn nicht los: Wie konnte er dem Nachbarn so leicht glauben? Dabei lief es zwischen ihm und Marlene doch so gut. Vor zwei Jahren, zu Beginn ihrer Ehe, hatten sie gestritten – doch jetzt schätzten sie einander.
„Die Schuhe kaufe ich“, murmelte er, ihr Kleid glättend.
Am nächsten Morgen traf Thomas Jens erneut im Aufzug.
„Na, deine Frau zurechtgewiesen?“, grinste der Nachbar.
„Nein, sie war auch nicht da“, antwortete Thomas mit einem kleinen Lächeln.
„Echt?“, staunte Jens. „Wer war dann bei euch?“
„Das kläre ich gerade“, sagte Thomas. „Marlene bat die Hauswartin, die Katze zu füttern. Weißt du, wer am Samstag Dienst hatte?“
Jens erbleichte und drückte hastig die Stopp-Taste, dann wählte er die oberste Etage.
„Was machst du?“, fragte Thomas verwirrt.
„Wer Dienst hatte? Meine Simone!“, stieß Jens hervor, den Blick gesenkt.
Thomas grinste, schwieg aber. Gerechtigkeit hatte gesiegt. Den ganzen Abend hatte er mit Marlenes Sachen verbracht, ihr Gejammer ertragen – jetzt war Jens an der Reihe.
Jens stürmte in seine Wohnung, wo seine Frau Simone noch schlief. Er riss ihr die Decke weg.
„Also hast du dich in der Wohnung der Müllers vergnügt?“
Simone rieb sich die Augen, setzte sich auf.
„Was?“, murmelte sie. „Wo soll ich gewesen sein?“
„Thomas hat alles erzählt!“, tobte Jens. „Marlene bat dich, die Katze zu füttern, und du hast dir einen Typen mitgebracht!“
„Jens, bist du verrückt?“, runzelte Simone die Stirn. „Das ist nicht passiert!“
„Doch, am Samstag!“, beharrte er. „Pack deine Sachen und verschwinde!“
Simone holte tief Luft und sagte ruhig: „Am Samstag war ich bei deiner Mutter, um ihr beim Einmachen zu helfen, und unsere Tochter Lisa hat den Dienst übernommen – und ja, vielleicht war sie mit ihrem Freund da, aber wir sollten wirklich mal über vertrauensvolle Gespräche in dieser Familie reden.“