Das geheimnisvolle Comeback: Eine Geschichte von Träumen und Schicksal

Die geheimnisvolle Rückkehr von Lina: Eine Geschichte über Träume und Schicksal

Lina verlässt ihren Arbeitsplatz in der Stadt spät am Abend. Nach Hause zu gehen hat keinen Reiz – die leere Wohnung wirkt noch kälter als der herbstliche Wind. Sie setzt sich auf eine Bank in einem kleinen Park. Vorbeieilende Passanten kümmern sich nicht um sie. Der Laden, in dem Lina arbeitet, schließt um elf, und oft geht sie erst gegen Mitternacht. Zu dieser Zeit sind die Straßen leer, nur die Laternen werfen trübes Licht auf den Asphalt.

„Gut so“, denkt Lina und betrachtet die gleichgültigen Silhouetten. In der Stadt ist jeder ein Fremder – selbst die Nachbarn im Treppenhaus scheinen wie Schatten, mit denen sie kaum ein Wort wechselt. Die Einsamkeit ist ihr ständiger Begleiter geworden, und sich daran zu gewöhnen, fällt schwer. Lina wirft den Kopf zurück und starrt in den dunklen Himmel. Der Herbst beginnt erst, und die Sterne, wenn auch schwach, funkeln noch. Doch sie weiß: Es liegt nicht am Wetter. Die Lichter der Stadt ersticken ihren Glanz. Plötzlich kehren Erinnerungen zurück. Sie ist sechs, eine schwüle Sommernacht im Dorf. Sie quengelt, und ihr Opa zwinkert verschmitzt: „Komm mit!“ Er packt eine alte Decke unter den Arm. Gemeinsam klettern sie auf den Heuboden. Dort ist es kühl, es duftet nach frisch gemähtem Gras, nach Freiheit. Durch das große Loch unter dem Dach leuchten die Sterne – riesig, wie die Augen einer Katze.

„Opa, kann man zu den Sternen fliegen?“, fragt Lina.

„Alles ist möglich, Enkelin“, antwortet er. „Aber man darf nicht stehen bleiben. Manche träumen, doch sie warten, dass sich alles von allein erfüllt. Aber der Traum rückt immer weiter weg. Irgendwann vergessen die Leute ihn und leben mit dem, was da ist. Und merken nicht, wie unglücklich sie werden.“

Lina überlegt: „Ist das wie in der Schule? Ich will gute Noten, aber wenn ich mich nicht anstrenge, klappt es nicht?“

„Genau so“, lächelt der Opa.

Seitdem ist der Heuboden ihr Zufluchtsort. Wenn sie traurig ist, klettert sie hinauf, schaut zu den Sternen und glaubt: Wenn man nicht aufgibt, wird alles gut. In der fünften Klasse, als die Lehrerin ihr Aufsatz vor der Klasse lobt, entdeckt Lina ihren Traum, Lehrerin zu werden. In der siebten Klasse verliebt sie sich in den Neuen, Ben, dessen Vater einen alten Schuppen zu einer Farm umbaut. Da träumt sie von einer großen Familie, Kindern und einem eigenen Hof – am besten mit Ben. Sie hilft Oma und Opa im Haushalt, gießt die Beete, kocht Marmelade und stellt sich vor, wie ihre Träume wahr werden.

Doch in der achten Klasse zerplatzt alles. Lina fährt zum ersten Mal ans Meer, mit einer Reise, die ihre Oma für sie organisiert hat. Das Meer beeindruckt sie so sehr, dass sie einen neuen Traum fasst: mit der ganzen Familie dorthin zu fahren. Doch bei ihrer Rückkehr erwartet sie ein Schock: Das Haus ist abgebrannt, Oma und Opa sind tot. Lina ist allein. Ihre Eltern verlor sie mit drei Jahren – sie starben bei einem Autounfall auf dem Heimweg von der Stadt vor Silvester. Oma und Opa waren ihre Welt.

Die entfernten Verwandten, Tante Helga und Onkel Karl, sind nicht unbedingt schlecht, aber eben fremd. Sie haben einen neunjährigen Sohn, Tim. Tante Helga arbeitet halbtags und fährt Tim danach zu Kursen und Training. Onkel Karl verbringt seine Zeit zwischen Sofa und Laptop. Tim versinkt in seinem Tablet. Die Familie lebt ihr eigenes Leben, und Lina fühlt sich wie ein Fremdkörper. Sie versucht zu helfen – putzt, kocht, bietet an, Tim von der Schule abzuholen – doch Tante Helga runzelt nur die Stirn.

In der neuen Schule findet Lina auch keinen Anschluss. Die Mitschüler lachen über ihren Dorfakzent und ihre Kleidung. Mit der Zeit gewöhnen sie sich an sie, aber Freundschaften entstehen nicht. Lina lernt noch härter, träumt vom Studium zur Lehrerin. Doch in der neunten Klasse fragt Tante Helga beiläufig: „Lina, nach der neunten Klasse solltest du eine Lehre machen. Mit achtzehn hast du einen Beruf und kannst für dich sorgen.“ Lina versteht: Die Verwandten warten darauf, dass sie geht. Die Klassenlehrerin ist überrascht, redet ihr aber nicht rein. So verabschiedet sie sich vom ersten Traum.

Ben taucht im ersten Lehrjahr auf. Er ist lustig, der Mittelpunkt der Gruppe, und Lina, obwohl nicht verliebt, sagt zu einem Treffen zu. Nach der Lehre findet sie einen Job im Supermarkt. Tante Helga gibt ihr etwas Geld, das aus Linas Waisenrente angespart wurde. Dankbar mietet sie mit Ben eine kleine Wohnung. Er arbeitet, doch die Abende verbringt er mit Freunden, kommt morgens heim. Lina bemüht sich um Gemütlichkeit, doch Ben bemerkt es nicht. Gespräche über die Zukunft enden mit seinem: „Sei nicht so anstrengend.“ Nach einem Jahr geht sie, verabschiedet sich auch vom Traum einer Familie.

„Vielleicht ans Meer?“, denkt Lina, doch die Chefin im Supermarkt schießt sofort: „Urlaub? Wir haben Personalmangel.“ Lina fügt sich. Sie arbeitet, kommt in die leere Wohnung, liest oder schläft sofort ein. „Es ist noch Zeit“, sagt sie sich. „Lernen kann ich später, Liebe finde ich noch, und ohne Urlaub verdiene ich mehr.“

Eines Tages, auf der Parkbank, bleibt Lina unschlüssig am Zebrastreifen stehen. Ein Autofahrer ruft: „Was stehst du da rum?“ Sie winkt ihn durch und erinnert sich an Opas Worte: „Der Traum rückt immer weiter weg, und die Leute merken nicht, wie unglücklich sie werden.“ Am nächsten freien Tag fährt sie ins Dorf.

Das Haus steht nur noch knapp, der Hof ist verwildert, vom Heuboden bleiben Ruinen. Nur die Sommerküche ist noch intakt. Lina tritt ein, und die Erinnerungen erwachen: ihr kindliches Lachen, Omas Stimme, Opas Schritte. Sie stürmt auf die Veranda – doch natürlich ist niemand da.

„Guten Tag. Interessieren Sie sich für das Haus?“, erklingt eine Stimme. Hinter dem Zaun steht ein Mann.

„Ja“, lächelt Lina. „Ben, bist du das? Erkennst du mich nicht?“

„Lina?“, staunt Ben, ihr ehemaliger Banknachbar. „Jahrelang niemand, und jetzt fahre ich vorbei, sehe jemanden im Haus. Wollte nachschauen. Wie geht’s? Bleibst du lange?“

„Nur kurz“, sagt Lina verlegen. „Was macht ihr so?“

Ben erzählt von ehemaligen Klassenkameraden: Wer in die Stadt gezogen ist, wer studiert hat. Er blieb, um seinem Vater auf der Farm zu helfen. „Hier ist Platz, nicht wie in der Stadt.“ Lina erinnert sich an die Felder hinterm Dorf, den Fluss, den Wald. „Ist es hier jetzt schön?“, fragt sie.

„Sehr. Willst du kommen?“, schlägt er vor.

Sie fahren zum Fluss, setzen sich auf einen umgefallenen Baum, trinken Tee aus der Thermoskanne und essen frische Brötchen. Ben erzählt, Lina hört zu und atmet die Luft ihrer Kindheit ein. Es fühlt sich leicht an.

„Und du?“, fragt Ben.

Lina erzählt alles: von der Arbeit, der Einsamkeit, den zerplatzten Träumen. „Ich bin hierher gekommen, um neu anzufangen. Ich will alles ändern.“

„Gut so“, nickt Ben. „Es ist nie zu spät.“ Sein Telefon klingelt. „Ich muss los. Wohin bring ich dich?“

Lina drückt seine Hand und lächelt, während die ersten Sterne am Himmel auftauchen, und weiß, dass sie endlich dort ist, wo sie hingehört.

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Das geheimnisvolle Comeback: Eine Geschichte von Träumen und Schicksal
Das Schicksal lässt nicht einfach los