Herbstlicher Schicksalswirbel: Ein unerwartetes Treffen

Der Herbststurm des Schicksals: Eine unerwartete Begegnung mit Gisela

Für viele ist der Herbst eine Zeit der Melancholie: grauer Himmel, kalter Regen, kahle Bäume. Doch Gisela liebte diese Jahreszeit, besonders das Ende des Septembers, wenn die Wälder in Gold erglühten und die Luft vom Duft fallender Blätter erfüllt war. Sie war fünfzig, fühlte sich aber jung, als wäre das Alter bloß eine Zahl, an die sie selten dachte.

Gisela traf sich gern mit Freunden, manchmal fuhr sie zu Bernd und Monika, deren gemütliches Haus am Waldrand stand. Dort, zwischen den Bäumen, fühlte sie sich frei. Seit neun Jahren lebte sie allein. Ihre Ehe, zwei Jahrzehnte lang, war zerbrochen, als ihr Mann eines Tages nach Hause kam und ohne Umschweife verkündete: „Ich gehe. Ich liebe eine andere. Lass uns friedlich auseinandergehen.“

Die Nachricht traf sie wie ein Blitz. Mit bebender Stimme, Tränen zurückhaltend, erwiderte sie: „Verstanden. Geh. Es wird keinen Streit geben.“ Ihr Mann, überrascht von ihrer Fassung, fragte nach: „Meinst du das ernst? Ich gehe für immer.“

„Geh. Ich werde dir keine Träne nachweinen“, sagte sie entschlossen, doch als die Tür hinter ihm zufiel, brach sie in Tränen aus. Zum Glück war ihre Tochter nicht da – Gisela weinte, als stürze die Welt ein. Später wunderte sie sich, wie sie in diesem Moment so gefasst bleiben konnte.

Die Einsamkeit kam in Wellen, besonders nachdem ihre Tochter geheiratet und mit ihrem Mann in eine andere Stadt gezogen war. Doch ihre Freundinnen ließen sie nicht in Trübsal versinken: Sie luden sie in Cafés ein, zu Spaziergängen, zu Konzerten. Gisela lernte, ihr neues Leben zu schätzen, in dem sie ihre eigene Herrin war.

Drei Jahre später kehrte ihr Mann unvermittelt zurück. „Verzeih mir, ich habe einen Fehler gemacht. Lass uns neu anfangen“, bat er. Gisela lachte nur: „Mir geht’s allein gut. Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss.“

„Ist das dein Ernst? Gibst du mich so leicht auf?“, fragte er verblüfft.

„Du bist mir fremd. Wenn du gegangen bist, dann geh weiter“, entgegnete sie fest.

„Diese Frau war nicht die Richtige“, gestand er niedergeschlagen.

„Das Leben ist kein Verabredungsspiel. Familie ist etwas anderes“, sagte Gisela klar. Sie wies ihn vor die Tür, und er kam nie wieder. Es ärgerte sie, dass er dachte, sie würde ihn mit offenen Armen empfangen. Doch sie hatte die Vergangenheit längst losgelassen. Kollegen versuchten, ihr den Hof zu machen, doch Gisela hielt alle auf Distanz. Sie bevorzugte Freundschaft.

An diesem Septemberabend ging sie durch den Park nach Hause. Blätter raschelten unter ihren Füßen, die Luft war frisch. Sie liebte diesen Weg, obwohl er länger war. Morgen waren Freunde zum Picknick eingeladen, um die letzten warmen Tage zu genießen. In Gedanken versunken, bemerkte sie nicht, wie an der Kreuzung ein Auto um die Ecke bog. Der Fahrer bremste, doch der Stoßfänger streifte ihren Mantel und hinterließ einen Schmutzfleck. Der Mann sprang aus dem Wagen und entschuldigte sich: „Verzeihung, ich habe gehupt! Alles in Ordnung?“ Er begann sofort, ihren Ärmel abzuwischen.

Gisela, verärgert über ihre Unaufmerksamkeit, murmelte: „Alles gut, nur der Mantel muss jetzt in die Wäsche.“

„Nochmals Entschuldigung!“, sagte er reumütig. „Ich bin Friedrich. Darf ich Sie nach Hause fahren?“

„Gisela. Keine Sorge, ich bin schon da“, antwortete sie und deutete auf das nahe Wohnhaus. Mit einem Lächeln winkte sie ab und ging. Friedrich sah ihr nach, bedauernd, nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. „Was für eine gelassene Frau“, dachte er. „Eine andere hätte vielleicht Theater gemacht.“

Den ganzen Abend war Gisela von der Begegnung berührt. Der Mann war unerwartet angenehm: Mitte fünfzig, mit grauen Schläfen, modischer Brille und sportlicher Figur. Sie rief sogar Monika an: „Stell dir vor, ich wäre fast überfahren worden – und der Fahrer war… sympathisch.“

„Wow, Gisela, bist du etwa verknallt?“, neckte die Freundin.

Friedrich hingegen konnte ihren Blick nicht vergessen. Er wohnte allein in der elterlichen Wohnung in einem kleinen Ort, wo er nach dem Tod seines Vaters Urlaub machte. In der Hauptstadt arbeitete er als Chirurg, und vor zwei Jahren hatte er sich scheiden lassen – seine Frau war mit seinem besten Freund durchgebrannt. Bei einem zufälligen Treffen mit seinem alten Schulfreund Bernd erhielt er eine Einladung zum Picknick.

Am Samstagmorgen wachte Gisela beschwingt auf. Nach dem Kaffee traf sie sich mit Monika im Supermarkt, um Süßigkeiten zu kaufen, dann fuhren sie aufs Land. Bernd hantierte schon am Grill, Monika schnitt Obst. Die Terrasse war geräumig, perfekt für ein herbstliches Fest. Acht Leute lachten und erzählten sich Geschichten.

„Essen ist fertig!“, rief Bernd. Die Gäste setzten sich, und der Raum füllte sich mit fröhlichem Gelächter. Plötzlich klingelte Bernds Telefon. „Komm rein, ich mach das Tor auf!“, sagte er. Ein schwarzer SUV rollte herein.

„Das ist mein alter Schulfreund“, erklärte Monika. „Er ist wegen der Beerdigung seines Vaters hier, wir sind zufällig aufeinandergetroffen.“

Ein Mann stieg aus. Gisela starrte, ihre Wangen glühten. „Monika, das ist er! Der von gestern!“, flüsterte sie.

Bernd umarmte den Ankömmling und führte ihn zur Terrasse: „Leute, das ist Friedrich, mein Schulfreund aus Berlin. Lange nicht gesehen!“

Friedrich begrüßte alle, doch als er Gisela erblickte, stockte ihm der Atem: „Was für ein Zufall! Ich habe die ganze Nacht überlegt, wie ich Sie finden könnte, und hier sind Sie!“

Bernd fragte verdutzt, wo sie sich kannten. Friedrich erzählte von der gestrigen Begegnung, und alle brachen in Gelächter aus. „Das ist Schicksal!“, rief Monika und klatschte in die Hände.

Friedrich setzte sich zu Gisela: „Jetzt lasse ich Sie nicht mehr los. Gestern war ich sprachlos, heute nutze ich meine Chance.“

Gisela und Friedrich leben jetzt in einem großen Haus in der Nähe ihrer Freunde. Friedrich verkaufte seine Wohnungen in Berlin und in der Heimatstadt, um ein neues Zuhause zu bauen. Er arbeitet im örtlichen Krankenhaus, und Gisela geht bald in Rente. Sie träumt von einem Blumenmeer, das ihren Garten in Farben taucht. Immer wieder sagt sie, der Herbst sei ihre glückliche Zeit: Sie wurde im Oktober geboren, und nun schenkte ihr der Herbst Friedrich – den Mann, der ihr Schicksal wurde.

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