Greta hatte immer geglaubt, ihr Leben sei gut verlaufen. Sie hatte früh einen anständigen Mann kennengelernt, ihn geheiratet und mehr als dreißig Jahre in Liebe und Respekt mit ihm verbracht. Ihre Tochter Lina war geboren worden – klug, eigensinnig, genau wie die Mutter in jungen Jahren. Alles schien seinen geregelten Lauf zu nehmen. Bis eines Tages der Tod ihren Mann holte. Zunächst fühlte es sich an, als würde die Welt zusammenbrechen. Doch dann kam die Erkenntnis: Sie musste nicht nur ihre eigene Trauer bewältigen, sondern auch zusehen, wie ihre Tochter ihr eigenes Leben ruinierte.
Lina hatte sich in Markus verliebt. Blind, bis zur Selbstaufgabe. Greta sah ihn zum ersten Mal und spürte sofort – dieser Mann war nichts für sie. Sein Blick war zu glatt, zu viele Worte, zu wenig Taten. Doch ihre Tochter wollte nicht hören. Sie entschied allein, heiratete ihn und zog ihn in ihre Zweizimmerwohnung, die sie vom Opa geerbt hatte.
Greta hielt sich zurück. Sie kannte Linas Dickköpfigkeit. Erklärungen wären nutzlos gewesen. Doch im Stillen wuchs ihre Sorge: Der Schwiegersohn kam ihr wie ein Schmarotzer vor. Markus wollte weder richtig arbeiten noch im Haushalt helfen. Selbst sein Abendessen aufzuwärmen, war für ihn eine Herausforderung. Lina trug alles allein, arbeitete Doppelschichten und jobbte zusätzlich von zu Hause. Markus hingegen suchte entweder den „perfekten Job“ oder verdiente sich als Hilfskraft durch.
Als Lina schwanger wurde, wurde alles noch schlimmer. Sie kündigte, und Markus versprach: „Ich sorge für uns.“ Doch nach einigen Monaten packte er einfach seine Sachen und reichte die Scheidung ein. Greta atmete erleichtert auf. Endlich, dachte sie, würde ihre Tochter begreifen, mit wem sie sich eingelassen hatte.
Doch Lina weinte, wollte nicht allein sein. Greta tröstete sie, half mit Geld und Essen. Sie hoffte, dass ihre Tochter mit der Zeit zur Vernunft kommen würde. Doch nach einem Jahr stand Markus wieder vor der Tür. Mit schönen Worten, Reue und Tränen. Lina öffnete. Und ließ ihn wieder herein. Nicht nur das – sie gab ihm Geld, nahm einen Kredit auf, um ihm ein neues Handy zu kaufen, kochte für ihn, vergab ihm.
Dann wiederholte sich alles. Ein zweites Kind, neue Versprechen, erneut verschwand er. Und wieder kam er zurück. Lina glaubte weiter. Greta schimpfte nicht mehr, sah nur still zu, wie ihre Tochter sich selbst zerstörte. Doch als Markus zum vierten Mal ging und zum fünften Mal zurückkam, war ihr Maß voll.
„Wenn du ihn noch einmal hier reinlässt“, sagte sie zu Lina, „helfe ich dir nicht mehr. Ich bin für die Enkel da, füttere sie, nehme sie über Nacht, bringe ihnen bei – aber für dich habe ich kein Mitleid mehr.“
Lina nickte nur schweigend und senkte den Blick. Ihre Augen – genauso stur wie Gretas einst, doch erfüllt von blinder Liebe, von der nichts übrig war außer Schmerz.
Und so lebte Greta nun zwischen zwei Welten: die Enkel, für die sie sich aufraffte, und die Tochter, an die sie nicht mehr glaubte. Sie war müde, zuzusehen, wie diese sich das Herz brach, immer wieder, indem sie einen Mann akzeptierte, der sie nicht verdiente. Markus war wie eine Brandwunde, die nie heilte, weil sie immer wieder mit schmutzigen Händen berührt wurde.
Manchmal wachte Greta nachts auf und fragte sich: Hätte ich früher eingreifen müssen? Hätte ich ein Ultimatum stellen, schreien sollen? Aber dann hätte sie ihre Tochter vielleicht ganz verloren. So verlor sie sie langsam, aber sicher.
Lina lebte noch immer mit Markus. Er war wieder gegangen – und versprach, zurückzukommen. Greta fragte nicht, wann. Sie wusste: Ihre Tochter würde die Tür wieder öffnen. Doch wer ihr danach die Augen öffnen würde – darauf gab es keine Antwort mehr.
Am Ende bleibt nur die Erkenntnis: Liebe sollte nicht wehtun. Doch manche müssen erst selbst erfahren, wann es Zeit ist, loszulassen.