Ein geheimes Treffen, das alles veränderte
Sabine saß am Fenster und blickte gedankenverloren auf die Passanten, die über den Bürgersteig hasteten. Jeder von ihnen wirkte auf sie unerträglich glücklich. Sommer, Sonne, unbeschwerte Gesichter – alle schienen Pläne zu schmieden, zu träumen, das Leben zu genießen. Und sie? Sie hatte nichts als endlose Routine. Berge schmutzigen Geschirrs, Wäsche, Putzen, der ständig leer gefressene Kühlschrank – alles schien ihr das Leben auszusaugen. Ihr Geburtstag, der unaufhaltsam näher rückte, fühlte sich wie ein Hohn des Schicksals an, ein weiterer Grund, sich überflüssig zu fühlen.
„Alle haben Freizeit, nur ich nicht“, dachte sie bitter. Keine Freude, die Laune im Keller. Ihr Leben war ein ewiger Kreislauf, jeder Tag wie der vorige. Arme Frauen – durch ihre Hände geht der ganze Dreck der Welt, und ihre Gedanken werden immer düsterer. „Was für eine Frau bin ich, wenn ich nur in der Küche stehe?“, grübelte Sabine traurig.
Niemand schien sich für ihren Tag zu interessieren. Die Familie sah ihn als Pflicht: gratulieren, Geschenk besorgen. Klar, es würde Geschenke geben – aber welche? Praktische, abgesprochene, ohne Seele. Also beschloss Sabine, sich selbst ein bisschen Freude zu schenken.
Entschlossen stand sie auf, zog ein luftiges Kleid an und machte sich auf zum Einkaufszentrum in der Kölner Innenstadt. Sie wurde fünfundvierzig, aber niemand teilte ihre Lust zu feiern. Ihr Privatleben? Ja, sie war verheiratet, hatte ein Haus, Familie, Kinder, einen Ehemann. Doch der Mann … er flirtete ständig mit anderen Frauen. Anfangs kämpfte sie dagegen, dann vergab sie, bis sie irgendwann einfach müde war. Sie hatte ihn längst aus ihrem Herzen gestrichen, um sich nicht zu quälen.
Auf dem Weg zur Schmuckabteilung holte sie noch Lebensmittel für die Feier. Im Juwelier traf sie Martina, eine alte Bekannte. Gemeinsam suchten sie ein feines goldenes Armband aus – nicht, dass sie es brauchte, aber Sabine wollte sich verwöhnen. Martina verpackte es hübsch, und Sabine, den blauen Beutel in der Hand, klagte ihr das Leid. Doch die Freude über den Kauf blieb aus. Die Last auf ihrem Herzen wurde nur schwerer.
Sabine verließ den Laden, die vollen Tüten mühsam balancierend. Schon fast am Ausgang rief eine Jungenstimme sie zurück. Sie drehte sich um – ein Teenager hielt ihren blauen Beutel hoch.
„Sie haben das fallen lassen, hier“, sagte er.
„Ach, danke! Bin ich doch eine Schussel!“, rief Sabine und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.
Hinter dem Jungen kam eine Frau, schwerfällig gehend. Irgendetwas an ihrem Gang kam Sabine schmerzlich vertraut vor. Sie starrte – und erstarrte. Es war Nadine, ihre ehemalige Schulfreundin.
Damals, am Rande von Köln, hatten sie gemeinsam die Schule besucht. Nadine hatte schon damals gesundheitliche Probleme – ein Bein kürzer als das andere, sie humpelte, kam nur langsam voran. Für ein junges Mädchen war das eine harte Prüfung. Nadine hielt sich fern von Trubel und Klatsch. Sabine hatte sie bedauert, aber mit einer kalten, fast überheblichen Mitleidigkeit. „So ein Pech, wie soll sie bloß leben?“, hatte sie damals gedacht, sie selbst eine der beliebtesten im Kurs.
Sie erinnerte sich, wie ihre beste Freundin Laura ihr den Freund ausspannte, wie sie auf der Schultreppe weinte. Damals setzte sich nur Nadine wortlos zu ihr, und Sabine vergrub ihr Gesicht in deren Schoß, während Nadine ihr nur stumm über den Kopf strich. Doch selbst danach mied Sabine sie. Nadine war zu „anders“, passte nicht in ihre bunte Welt.
Jetzt, Jahre später, war die Begegnung seltsam warm. Sabine schlug vor, sich zu setzen und zu plaudern. Sie erinnerten sich an Schulzeiten, Lehrer, Mitschüler. Sabine erzählte von sich – zuerst prahlerisch, wie oft bei Treffen mit der Vergangenheit. Doch Nadine … ihr Leben war nicht leicht gewesen. Die ohnehin schwache Gesundheit machte immer mehr Probleme. Sie lebte allein mit ihrem Neffen, den sie seit seinem fünfNach Hause zurückgekehrt, wusste Sabine plötzlich: Manchmal braucht es die Begegnung mit einem alten Schicksal, um das eigene neu zu schätzen.