**Tagebucheintrag**
Meine langjährige Freundin, Johanna, kam heute zu mir – verstört, mit tränenverschleierten Augen und einer Last auf den Schultern, die sie kaum zu tragen schien.
„Weißt du“, begann sie mit zitternder Stimme, „in letzter Zeit ist mein Mann, Markus, so abweisend und still. Als hätte er eine unsichtbare Mauer um sich gebaut. Er hat sogar abgenommen, ich sehe es ihm an. Irgendetwas nagt an ihm, aber er sagt nichts. Kein Wort, nicht mal eine Andeutung. Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt – vielleicht ist er krank? Oder hat Probleme bei der Arbeit?“
Doch dann kam der Tag, an dem er nicht allein nach Hause kam… Ein Junge war bei ihm. Markus wagte nicht einmal, mir in die Augen zu sehen. Wie ein Schuljunge, der etwas Schlimmes verstecken muss.
Es stellte sich heraus: Vor acht Jahren, als ich für einen Monat zu meiner Mutter nach Freiburg fuhr, hatte er eine Affäre. Die Frau wurde schwanger und brachte einen Sohn zur Welt.
Markus beteuerte, es sei nur ein Fehler gewesen – dass er nur mich liebe. Aber er konnte sich nicht von dem Kind lossagen. All die Jahre half er ihnen heimlich: mit Geld, mit Unterstützung. Und ich… ich hatte keine Ahnung! Lebte in glücklicher Ignoranz, bis mein Leben mit einem Schlag zerbrach.
Nun hat diese Frau ein Alkoholproblem. Das Jugendamt will ihr das Sorgerecht entziehen. Sie hat keine Familie, der Junge sollte ins Heim.
Als Markus das erfuhr, konnte er es nicht hinnehmen. Er sagte, er würde nicht zulassen, dass sein Kind dort aufwächst. Also brachte er ihn hierher, in unser gemütliches Zuhause in München, wo wir unsere Familie aufbauten.
Er hatte Angst, es mir zu gestehen. Deshalb wich er mir aus, zog sich zurück. Doch schließlich wagte er es – brachte den Jungen mit, obwohl er wusste, dass es alles zerstören könnte.
Wir haben eine starke Familie. Eine Tochter, Luisa, unser ganzer Stolz. Markus vergöttert sie. Und jetzt… es fühlt sich an wie ein Messer in den Rücken.
Ich wollte gehen. Meine Sachen packen, Luisa nehmen und einfach verschwinden. Doch jedes Mal, wenn ich mir ein Leben ohne ihn vorstelle, tut es weh. Ich liebe ihn – trotz dieses Verrats. Zwei Tage weinte ich, eingeschlossen im Schlafzimmer, unfähig, ihn oder den Jungen anzusehen.
Dieser Junge, Felix… er sieht Luisa so ähnlich. Dieselben Augen, dieselben Gesichtszüge. Man sieht sofort, dass sie Geschwister sind. Mir bricht es das Herz. Er ist unschuldig in all dem. Klein und verängstigt schaut er mich an, als hoffe er, ich würde ihn nicht wegstoßen.
Aber was soll ich tun? Ich fühle mich betrogen. Mein Leben, das ich für perfekt hielt, war eine Lüge. Acht Jahre hat Markus geschwiegen, mir einen Teil seines Lebens verschwiegen. Und jetzt ist dieses Kind – eine lebendige Erinnerung an seinen Betrug – in unserem Haus.
Ich habe versucht, mit Markus zu reden. Er bat um Vergebung, schwörte, mich zu lieben, dass alles vorbei sei. Doch wie soll ich ihm glauben? Wie soll ich Felix akzeptieren, wenn sein Anblick mich jeden Tag an den Schmerz erinnert?
Luisa versteht noch nichts. Sie ist erst fünf, betrachtet Felix neugierig, versucht, mit ihm zu spielen. Und ich? Ich weiß nicht, wie ich ihr erklären soll, wer er ist. Wie sage ich ihr, dass sie einen Bruder hat, von dem wir nichts wussten?
Johanna saß an meinem Küchentisch, umklammerte ihre erkaltete Tasse Tee und starrte ins Leere. „Ich weiß nicht, ob ich vergeben kann“, flüsterte sie. „Aber Markus zu verlassen… das wäre, als risse ich mir ein Stück aus der Seele. Und der Junge… er ist doch unschuldig. Wie kann ich ihn wegschicken? Aber wie soll ich damit leben?“
Ich sah, wie sie hin- und hergerissen war. Auf der einen Seite die Liebe zu ihrem Mann, auf der anderen der Schmerz des Betrugs. Und mittendrin – ein unschuldiges Kind, das zum Spielball der Umstände wurde.
Manchmal hasse ich Markus für das, was er unserer Familie angetan hat. Doch dann sehe ich Felix, sein verunsichertes Gesicht, und weiß: Ihn kann ich nicht beschuldigen. Er ist wie Luisa – nur ein Kind, das Liebe und Geborgenheit sucht.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Markus vergeben? Felix als meinen eigenen akzeptieren? Oder gehen, um sie beide nie wiederzusehen? Jede Option scheint unerträglich. Ich fühle mich, als würde ich in diesem Chaos versinken, und niemand kann mir helfen.
Johanna verstummte, wischte sich die Tränen weg und sah mich an. „Vielleicht wird es mit der Zeit leichter… Aber jetzt weiß ich einfach nicht, wie es weitergehen soll.“