**Bekenntnis im Schatten der Vergangenheit**
Greta konnte ihren Blick nicht von ihrem Mann lassen. Markus aß langsam seine Kartoffelsuppe, sorgfältig den würzigen Sud mit dem Löffel schöpfend. Unter ihrem durchdringenden Blick erstarrte er, als spürte er ein unerklärliches Frösteln der Angst im Nacken.
„Hast du etwas angestellt?“ – fragte er mit schelmischem Grinsen, um die Spannung zu brechen.
„Gibt es etwas, womit du dich mir anvertrauen müsstest?“ – konterte Greta in seinem Tonfall, doch ihre Augen blieben ernst. Nur für einen Moment entspannte sich ihr Gesicht, und Markus atmete erleichtert aus. Zu früh. Seine Frau ging sofort in die Offensive. „Ich möchte dir eine Frage stellen. Und bitte, antworte mir ohne Witze. Das ist wichtig.“
Markus legte den Löffel beiseite, runzelte die Stirn.
„Nun, soweit,“ – sagte er gedehnt und bereitete sich auf etwas Unangenehmes vor.
„Diese Frage stellt wohl jede Frau mindestens einmal im Leben,“ – Greta zögerte, zupfte nervös am Tischtuch. Sie spielte keine Zeit hinaus – sie fürchtete die Antwort. „Was denkst du, worüber ich dich fragen möchte?“
Markus dachte nach. Sein Gesicht wurde ernst, und schließlich sagte er:
„Ich schwöre, ich sehe keine andere an. Untreue? Nicht einmal im Traum.“
„Nein, darum geht es nicht,“ – winkte Greta ab, doch verspannte sich sofort. „Aber warum denkst du gleich an Untreue?“
„Gestern hast du doch diese Talkshows über Fremdgehen gesehen,“ – zuckte Markus mit den Schultern. Er war an ihre Direktheit und Naivität gewöhnt, fühlte sich aber dennoch wie unter Beschuss. „Ehrlich, ich habe auf diese Frage gewartet.“
„Nein, es geht um Liebe,“ – Greta faltete die Hände über der Brust, als schütze sie sich. „Sag mir, Markus, warum liebst du mich? Nur die Wahrheit.“
Stille trat ein. Jede Sekunde dehnte sich zur Ewigkeit, und Greta spürte, wie ihr Herz sich vor Angst zusammenzog. Doch seine Antwort war schlimmer als Schweigen. Ernst, ohne eine Andeutung eines Lächelns, sagte er:
„Einfacher wäre zu sagen, warum ich dich nicht liebe.“
„Warum denn?“ – Gretas Stimme bebte, klang fremd. Ihr schwindelte, als würde der Boden unter ihr weggezogen.
Diese Frage quälte sie seit ihrer Kindheit. Warum lieben Menschen einander? Eltern liebt man, weil sie Eltern sind. Großeltern für ihre Güte und Fürsorge. Kinder, weil sie die eigenen sind. Doch was hält Verliebte zusammen? Als Kind glaubte Greta: Finde den Grund der Liebe, und das Glück wird unendlich. Es schien so einfach, fast wie eine mathematische Formel. Sie suchte in Büchern, fand aber nur vage Begriffe wie „Funken“, „Chemie“, „Elektrizität“ – nichts Greifbares.
Einmal, als sie durch den Park ihrer Heimatstadt München spazierte, belauschte sie zufällig ein Gespräch. Ein junger Mann, Jakob, hatte seine Freundin zu einer Bank am alten Brunnen geführt. Sie flüsterten, unbeachtet von der Welt, und gestanden sich ihre Liebe. Jakob sagte, er liebe sie für ihre strahlenden Augen, ihre schlanke Figur und ihre sanfte Stimme. Sie erwiderte, er sei mutig und könne schön reden. Da entschied Greta: Wenn das Mädchen ihre Schönheit bewahrt, wird Jakobs Liebe ewig währen. Die Logik schien unumstößlich. Das Paar heiratete bald, und ihr Leben wirkte perfekt. Doch ein Jahr später kam ihr Kind zur Welt, und ein halbes Jahr danach sah Greta das weinende junge Mädchen mit dem Baby in ein Taxi steigen. Sie hatten sich getrennt.
Greta schloss: Schönheit ist der Schlüssel zur Liebe. Verblasst sie, stirbt auch die Liebe. Doch das Leben warf neue Rätsel auf. In ihrem Sommerhaus in den bayerischen Alpen lebten Nachbarn – Tante Elfriede und Onkel Heinrich. Sie stritten oft, neckten einander, doch ihre Augen strahlten Wärme aus. Tante Elfriede war rundlich, mit müden, von Krampfadern gezeichneten Beinen, und trug stets ein Tuch, um ihr dünnes Haar zu verbergen. Heinrich dagegen wirkte jugendlich, witzelte und fand mühelos Anschluss bei Menschen. Ihre Ehe war Greta ein Rätsel.
Abends buk Tante Elfriede Apfelkuchen, kräuterte Tee, während Onkel Heinrich Würstchen grillte. Sie luden Gretas Familie ein, bewirteten sie mit Gartengaben – Beeren, Gemüse –, sodass das Auto der Eltern auf dem Rückweg fast den Boden streifte. Gretas Eltern dankten mit Taten: Die Mutter nähte für Tante Elfriede Kleider, der Vater half Heinrich beim Schuppenbau. Als Tante Elfriede schwer erkrankte und ins Krankenhaus musste, opferte Heinrich alles, um sie zu retten. Er verkaufte sein Auto, wachte an ihrem Bett. Greta, die noch in Schwarz-Weiß dachte, verstand nicht: Was war ihm eine kranke, ältere Frau?
Die Mutter bewunderte Heinrich, nannte ihn einen wahren Mann. Der Vater brummte, sich um die Frau zu kümmern sei kein Heldentum, sondern Pflicht. „Wärst du krank, würde ich alles verkaufen, um dich zu retten,“ – sagte er zur Mutter. „Aber das ist keine Heldentat, das ist die Angst, den zu verlieren, den man liebt.“ Greta sah, wie die Mutter lächelte, und verstand: Der Vater wollte nur seine Gefühle bekräftigen.
Als Tante Elfriede genesen war, lebten sie weiter wie zuvor – mit Kuchen, Grillabenden und liebevollem Gezanke. Greta wagte die Frage an Heinrich: „Warum liebst du deine Frau?“ Er antwortete einfach: „Sie ist meine Hälfte. Ohne sie bin ich nicht ich selbst.“ Die Antwort war schön, aber leer. Greta verstand es nicht. Vielleicht war das die mysteriöse „Chemie“ aus den Büchern? Unsichtbare Magie, die sich nicht erklären ließ.
Jakob liebte mit den Augen, Heinrich mit dem Herzen. Doch beide liebten wahrhaftig. Greta sah die Welt weiterhin in Kontrasten: Liebe war entweder perfekt oder zum Scheitern verurteilt. Das Leben zeigte ihr Beispiele: Paare schworen ewige Treue, trennten sich dann, als wären die Schwüre nie gefallen. Besonders erschreckend waren Geschichten von Paaren, die jahrzehntelang zusammenlebten, bis sie plötzlich merkten: Sie waren Fremde geworden.
Tante Brigitte und Onkel Klaus, Verwandte von Mutters Seite, waren so. Sie schienen perfekt: schön, klug, ohne Streit. Die Mutter pries sie oft als Vorbild, wenn sie sich mit dem Vater zankte. „Klaus denkt im Gegensatz zu dir immer an die Familie,“ – sagte sie. Der Vater erwiderte: „Und bei Brigitte ist immer Ordnung, für so eine Frau lohnt sich jeder Einsatz.“ Greta hielt ihre Ehe für vorbildlich. Doch eines Tages trennten sie sich – leise, ohne Skandal. Tante Brigitte gestand, die Trennung habe ihr Erleichterung gebracht. Sie sehnte sich nach Freiheit, neuen Begegnungen. Klaus dachte ebenso. Nach zwei Jahren fanden sie wieder zueinander, als hätten sie ihre Gefühle „gelüftet“.
Greta entschied: Solche Beziehungen brauchte sie nicht. Lieber wie bei Oma und Opa. Sie lebten ein halbes Jahrhundert zusammen, durchlitten alles – von Armut bis Untreue. Die Mutter erzählte, wie Opa trank, wie Oma es ertrug, zwei Jobs hatte, während er den Lohn versoff. „Warum blieb sie?“ – fragte Greta. „Damals war das so,“ – antwortete die Mutter. „Man reparierte, anstatt wegGreta spürte plötzlich, wie Markus ihre Hand nahm und sie sanft an seine Lippen führte – in dieser winzigen Geste lag mehr Wahrheit, als jede noch so kluge Antwort je geben könnte.