**Ein bitteres Neujahrsgeschenk**
Lena wischte den Staub von den Regalen, als das Telefon klingelte. Die Nummer ihrer Mutter ließ ihr Herz stocken – Helga rief selten an, und wenn, dann brauchte sie meist etwas. *„Lena, hallo!“* – die Stimme klang wie immer befehlshaberisch. *„Mama? Lange nichts von dir gehört“*, antwortete Lena, während eine leise Unruhe in ihr aufstieg.
*„Keine Zeit, mein Kind. Arbeit, Haushalt, alles muss gemacht werden. Wie geht’s dir?“* – Doch hinter der Frage lag die übliche Kälte.
*„Alles gut“*, erwiderte Lena, schon argwöhnisch.
*„Dein Vater und ich laden alle zu Silvester ein. Kommst du mit Markus?“* – Die Worte trafen Lena wie ein Schlag.
*„Ihr ladet uns ein?“*, fragte sie ungläubig.
*„Natürlich“*, schnaubte Helga. *„Du bist doch unsere Tochter. Deine Schwester Greta, dein Bruder Thomas mit ihren Familien kommen auch. Alle mit Kindern, Frauen und Männern. Ihr zwei sollt auch kommen.“*
*„Gut, wir kommen“*, flüsterte Lena, ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Ihre Eltern luden sie selten ein – das hier war fast ein Wunder.
*„Prima. Silvester, Punkt sieben. Und vergesst die Geschenke nicht! Kommt nicht mit leeren Händen“*, fügte Helga hinzu. *„Den Männern guten Parfüm, Greta und Thomas’ Frau Goldschmuck. Mir ein Porzellanservice, am besten Villeroy & Boch. Verstanden?“*
*„Ja, Mama“*, stammelte Lena. *„Ich wollte eh ins Einkaufszentrum. Vielleicht Spielzeug für die Kinder?“*
*„Spielzeug?“* – Helga lachte spöttisch. *„Die wollen doch die neuesten Handys. Der Älteste träumt von einem neuen iPhone.“*
*„Das ist aber teuer…“*, seufzte Lena.
*„Gibt doch Rabatt“*, konterte Helga und legte auf.
*„Bis dann“*, flüsterte Lena in die Stille, doch ihre Freude blieb. Endlich fühlte sie sich wieder dazugehörig.
Lena war die Jüngste. Mit ihrer Schwester Greta und Bruder Thomas sprach sie kaum. Auch zu den Eltern war der Kontakt schwach. Nach der Schule verließ sie das Haus, machte eine Ausbildung zur Buchhalterin und traf Markus, den erfolgreichen Geschäftsführer einer großen Firma. Ihre Liebe führte schnell zur Hochzeit. Als die Familie erfuhr, dass Lena gut verheiratet war, änderte sich ihr Verhalten. Neid, versteckt hinter höflicher Kälte, war plötzlich spürbar.
Greta jammerte offen, das Leben sei unfair. Sie fand, Lena verdiene keinen so reichen, charmanten Mann – während ihre eigene Ehe langweilig war. Helga unterstützte die Ältere, die ihrer Meinung nach mehr „verdient“ hätte. Thomas und der Vater musterten Markus misstrauisch und nannten ihn arrogant, obwohl er bescheiden war. Zur Außenseiterin geworden, verstand Lena nicht warum. Die Familie rief nur an, wenn sie Geld brauchte – und Lena gab es stets, froh, helfen zu können.
Zu Silvester stellten sie eine Liste teurer Geschenke zusammen. Helga rief an, um Lena zu locken – und erwähnte natürlich, was sie erwarteten. Lena widersprach nicht. Geld hatten sie genug. Sie arbeitete, Markus führte sein Unternehmen.
Mit teuren Geschenken beladen fuhren sie am 31. Dezember zu den Eltern. Ein Neffe öffnete, doch kein Erwachsener kam zur Begrüßung. Lena spürte einen Stich, aber sie schüttelte ihn ab. *„Hallo allerseits!“* – rief sie im Wohnzimmer – und traf auf Schweigen. Gerade noch war es laut gewesen, doch ihre Ankunft schien den Ton abzustellen.
*„Na, da seid ihr ja“*, murmelte Greta und warf Markus einen abschätzenden Blick zu.
*„Ihr habt uns doch eingeladen“*, entgegnete Lena verunsichert.
*„Kann man nicht übersehen“*, brummte Thomas.
*„Wir haben Geschenke mitgebracht!“* – Lena versuchte, die Stimmung zu lockern, und griff nach den Paketen.
*„Oooh, das gefällt uns!“* – Helga hellte auf. Die Kinder rissen sich um die Tüten.
Lena verteilte lächelnd die Gaben, hoffend auf Freude. Doch die Reaktionen trafen sie wie Schläge. *„Der Duft ist nichts für mich“*, verzog Thomas das Gesicht. *„Die Kette ist okay, aber ich hab was Besseres erwartet“*, sagte Greta herablassend. *„Porzellan?!“* – rief Helga. *„Das ist doch was fürs Museum, nicht für den Esstisch!“* – Alle prahlten mit ihren Geschenken – kein Danke, kein Lächeln.
Als man sich zum Essen setzte, blieben Lena und Markus an der Tür stehen. Kein Platz, keine Rücksicht. *„Mama, wo sollen wir sitzen?“* – fragte Lena leise. *„Kannst du nicht im Stehen essen?“* – lachte Thomas. *„Hol dir ’nen Stuhl von den Nachbarn, du Prinzessin“*, schnauzte Helga.
*„Sollen wir gehen?“* – flüsterte Markus. Endlich verstand Lena: Sie waren hier nicht willkommen. *„Ja, aber nicht mit leeren Händen.“* Sie packte die mitgebrachten Speisen ein, Markus nahm die Flaschen und zog Gretas Armband von ihrem Handgelenk. *„Das steht dir besser“*, sagte er zu Lena.
*„Was fällt euch ein?!“* – kreischte Greta.
*„Mama, das Porzellan passt nicht zu dir“*, sagte Lena, nahm das Service aus der Tüte und ließ es fallen. *„Zum Glück. Frohes Neues!“* – Markus griff nach ihrer Hand, und sie gingen.
Nach den Feiertagen rief niemand an. Zuerst traurig, begriff Lena bald: Sie musste sich keine Liebe kaufen. *„Ohne sie geht’s dir besser“*, sagte Markus. Sie wischte sich die Tränen weg und nickte. Ihre Familie war er – nicht die, die in ihr nur eine Geldbörse sahen.