Die verschwundene Liebe – und eine unerwartete Rückkehr
Lena saß in ihrem Büro und vertiefte sich in die Berichte. Ihren Geburtstag verbrachte sie wie immer allein. Kein Kollege gratulierte ihr, niemand warf ihr auch nur einen Blick zu. Das hätte sie nicht verwundert – im Büro sah man in ihr längst nicht mehr die Frau, sondern nur noch die strenge Chefin. Hinter ihrem Rücken wurde getuschelt – mal spöttisch, mal mit bösen Bemerkungen.
„Vielleicht sollte sie sich mal einen Mann suchen, hm? Sonst schimpft sie weiter auf alle wie auf Feinde“, hörte Lena von einer Mitarbeiterin, die gerade vorbeiging.
„Ja, klar, dann kann sie sich mit ihm auch noch streiten. Armer Kerl! Sie ist so mürrisch, und alt ist sie doch auch schon!“
Alt… Lena war gerade einmal dreiundvierzig. Nur wenige Jahre älter als die jungen Frauen, die von morgens bis abends zu Kosmetikerinnen hetzten und ihr Alter verbargen. Trotzdem traf es sie. Besonders heute.
An diesem Tag fühlte sie sich immer verletzlich. Normalerweise nahm sie sich frei und blieb mit einem Buch oder einem Glas Wein zu Hause. Doch diesmal klappte es nicht. Und so gab es morgens schon spitze Bemerkungen, dann Stille, schließlich das Geflüster.
Plötzlich – ein Klopfen an der Tür. Lena blickte auf.
„Alles Gute zum Geburtstag, Lena Müller!“, sagte der neue Kollege Markus mit einem Lächeln und trat ins Zimmer. In der Hand hielt er einen Blumenstrauß und eine Schachtel Pralinen.
Das Büro erstarrte. Niemand hatte es gewagt, Lena zu gratulieren, man kannte ihre Kühle. Markus aber war neu, er wusste nichts von den ungeschriebenen Regeln. Alle dachten: Der hat keine Chance. Doch Lena wies ihn nicht ab. Sie… lächelte. Und lud ihn sogar zum gemeinsamen Mittagessen in ein Café ein.
Die Belegschaft war geschockt. Das Büro summte wie ein Bienenstock. Manche wetteten, wie lange diese Romanze wohl halten würde. Andere fragten sich, was er eigentlich wolle. Doch Lena scherte es nicht. Markus erwies sich als erstaunlich unkompliziert, aufrichtig und fröhlich. Er katzbuckelte nicht – er sprach mit ihr wie mit einem Menschen, nicht mit der „Chefin“. Und an diesem Tag, vielleicht zum ersten Mal seit Jahren, fühlte Lena sich wieder wie eine Frau.
Nach ein paar Treffen erlaubte sie sich mehr. Restaurants, Spaziergänge… Dann blieb er bei ihr über Nacht. Schließlich schlug sie ihm vor, ganz zu ihr zu ziehen. Lena konnte kaum glauben, dass etwas Echtes daraus werden könnte. Doch es machte ihr Freude, das Abendessen zu planen, nach Hause zu eilen und zu wissen, dass jemand auf sie wartete.
Natürlich hörten die Gespräche im Büro nicht auf. Um den Tratsch etwas zu mildern, versetzte Lena Markus in eine andere Abteilung. Doch das Getuschel ging weiter.
„Der will hoch hinaus“, spotteten einige. „Sich mit Schmeicheleien nach oben schleichen.“
Doch er bat nie um eine Beförderung, erwähnte nie die Karriere. Stattdessen kümmerte er sich. Machte Kaffee, brachte ihr Mittagessen, wickelte sie in einen Schal, wenn es windig war. Und irgendwann begann Lena zu vertrauen.
Doch dann… verschwand er.
Einfach so. Sein Telefon antwortete nicht. Auf Arbeit blieb er weg. Seine alte Wohnung schien leer. Sie erstattete Anzeige, doch die Polizei zuckte nur die Schultern:
„Frau Müller, er wird wohl irgendwo feiern. Junger Mann, vielleicht braucht er eine Auszeit.“
Lena schlief nicht mehr. Die Kollegen tuschelten wieder: „Ist ihm wohl klar geworden, hat sie sitzen lassen.“ Ihre sonst so harte Schutzmauer schien verschwunden. Nur Leere blieb. Eine Woche verging wie ein Albtraum.
Dann zwei. Und plötzlich – eine Nachricht im Fernsehen. In einem Nachbarlandkreis: Ein Unbekannter war verunglückt. Erinnerungsverlust. Lag im Krankenhaus, erkannte niemanden, wusste nicht einmal seinen Namen.
Lena zögerte keine Sekunde. Sie griff nach den Schlüsseln und raste ins Krankenhaus. Nur um zu sehen – war es wirklich er?
„Sind Sie sicher, dass Sie ihn kennen?“, fragte der Arzt. „Der Patient hat Amnesie. Vielleicht für immer.“
„Ich möchte ihn einfach sehen“, flüsterte sie.
Und als sie das Zimmer betrat, hob Markus den Kopf.
„Ich war auf dem Weg zu meinen Eltern… um zu sagen, dass ich dich heiraten will…“
Er erinnerte sich. Und sie weinte.
Monate der Rehabilitation standen ihm bevor. Doch Lena zögerte keine Sekunde. Sie nahm Urlaub, blieb bei ihm. Pflegte ihn, kochte, wärmte ihn. Langsam ging es bergauf. Mit ihr an seiner Seite.
Und ihre Liebe wurde stärker. Sie hatten die Probe bestanden. Schmerz, Angst, Unverständnis überwunden.
Zwei Jahre später standen sie im Standesamt. Hielten sich an den Händen. Und wussten: Vor ihnen lag nur noch das Glück.
Manchmal braucht es den Bruch, um zu erkennen, was wirklich zusammengehört.