Das Schicksal lässt nicht los

Schicksal lässt nicht einfach los

Erika betrat ihren Hof und hob automatisch den Blick zu den Fenstern im dritten Stock. Ein schmerzhaftes Ziehen durchfuhr ihr Herz – dort hatte er einst gelebt. Sie verharrte einen Moment, als sammle sie ihre Gedanken, dann drehte sie sich abrupt um und ging zur Haltestelle. Sebastian Haus fand sie schnell. Vor dem Eingang zögerte sie.

„Wozu bin ich hier?“, dachte sie bitter. „Meine Freundin hatte recht: Er hat mich nie geliebt… und wird es auch nie tun. All diese Jahre lebte er sein ruhiges Leben. Kein Anruf, keine Nachricht…“

Sie wollte schon gehen, als sie plötzlich erstarrte – eine Gestalt stand vor ihr.

Nur wenige Stunden waren seit dieser Begegnung vergangen, doch in Erikas Kopf hallten noch immer die Worte von Claudia nach.

Sie hatte gerade den Supermarkt verlassen, als ein rotes Auto vor ihr hielt. Eine Frau in einem luftigen Kleid stieg aus. Der Wind spielte mit ihren Haaren, der Saum ihres Kleides hob sich verspielt – ein fast theatralischer Anblick. Erika traute ihren Augen nicht.

„Claudia? Bist du das?“

Die Frau drehte sich um und musterte Erikas Gesicht lange.

„Erkennst du mich nicht? Ich bin Erika Bauer.“

„Erika… Stimmt, wirklich. Man lebt lange. Habe dich nicht erkannt“, antwortete Claudia gleichgültig.

Sie gingen ins Café, setzten sich ans Fenster. Claudia bestellte schnell, ohne die Karte zu lesen, und richtete ihren Blick auf Erika:

„Na, wie geht’s dir?“

„War verheiratet, nicht lange. Keine Kinder. Bei dir, so wie es aussieht, läuft alles perfekt.“

„Kann mich nicht beschweren“, erwiderte Claudia spöttisch und zeigte ihr Ring. „Mann ist vermögend, das Leben ist gut. Und Sebastian… hängst du immer noch an ihm?“

Die Worte trafen sie wie ein Messer.

„Du hattest eine Familie, Liebe. Und ich? Nur Schönheit. Also nahm ich ihn mir. Damals dachte er, er liebt mich. Aber wir sind zu unterschiedlich. Ich wollte leben, genießen – er wollte Familie, Kinder…“

Claudia lehnte sich zurück.

„Wir haben uns getrennt. Er hat sich eine kleine Wohnung gekauft, lebt allein. Also, die Bahn ist frei. Aber wozu brauchst du ihn?“

Erika antwortete nicht. Sie stand auf.

„Entschuldige, ich muss los.“

„Lass gut sein, ich habe eingeladen“, winkte Claudia ab, als scheuchte sie lästiges Personal weg.

Doch an der Tür blieb Erika stehen.

„Schreib mir seine Adresse.“

Claudia zögerte kurz, holte dann einen Stift hervor und kritzelte die Adresse auf eine Serviette.

„Hier, nimm. Viel Glück“, spottete sie.

Erika ging und presste die Serviette an ihre Brust. Abends im Büro entfaltete sie sie und starrte lange auf die Adresse. Claudias Stimme hallte in ihrem Kopf: „Wozu brauchst du ihn?“ Doch ihr Herz kannte die Antwort.

Später, am Abend, ging sie wieder durch den vertrauten Hof. Der Wind raschelte im Laub. Vor Sebastians Haus blieb sie stehen.

„Er hat nicht angerufen, nicht gesucht. Also hat er dich nie geliebt. Schluss jetzt, Erika, geh!“

Sie drehte sich um – und erstarrte. Vor ihr stand Sebastian.

„Erika?.. Du?“, seine Stimme voller Überraschung… und Freude.

Sie war verwirrt:

„Ich… war bei einer Kollegin. Aber sie war nicht da.“

Er sah bleich aus, unrasiert. Seine Augen gerötet.

„Stell dir vor, ich bin krank“, hob er eine Tüte Milch hoch. „Musste noch schnell einkaufen.“

„Du solltest dich hinlegen! Komm.“

Sie betrat seine bescheidene Junggesellenwohnung, öffnete den Kühlschrank – leer. Unter der Spüle fand sie Kartoffeln, begann, sie zu braten. Dann wärmte sie die Milch, fütterte ihn und schickte ihn ins Bett.

Als sie ins Zimmer kam, schlief er bereits. Sie betrachtete ihn lange. Das war derselbe Sebastian, den sie ihr ganzes Leben lang geliebt hatte. Leise ging sie…

„Wo warst du?“, fragte ihre Mutter, ohne vom Fernseher aufzusehen.

„Claudia getroffen“, antwortete Erika knapp.

„Seltsam. Ich dachte, ihr habt keinen Kontakt mehr.“

„Wir waren nur kurz im Café.“

„Und wie geht’s ihr?“

„Reich, schön, wie immer.“

„Und du? Wann heiratest du?“

„Mama, fang nicht an…“

Später, vor dem Schlafengehen, reichte ihr die Mutter das Telefon.

„Sebastian ist dran. Er hat deine Nummer gefunden.“

„Danke, dass du gekommen bist. Sorry, dass ich eingeschlafen bin. Kommst du morgen?“

„Willst du das?“

„Natürlich. Sag mir wo – ich hol dich ab.“

„Ich komme“, sagte Erika, und Tränen traten ihr in die Augen.

Am nächsten Morgen brauchte sie besonders lange: Kleid, dezentes Make-up. Doch als sie den spöttischen Unterton in der Stimme ihrer Mutter hörte, wusch sie sich das Gesicht, zog sich um und rannte ohne Erklärung hinaus.

Sie flog zur Arbeit, wissend – heute Abend würden sie sich wieder sehen. Und vielleicht begann ein neues Leben.

Drei Monate später heirateten sie. Es war eine echte, erkämpfte Liebe, der weder Jahre noch Entfernungen etwas anhaben konnten. Das Schicksal hielt sie fest – gegen alle Widrigkeiten.

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